Wandelbarer Newcomer: Schauspieler Felix Kammerer.
Foto: Heribert Corn

Mit der Aktualisierung seiner Instagram-Seite kommt der junge Mann gar nicht mehr nach. Die Ereignisse überschlagen sich, fast täglich müssen Neuigkeiten vermeldet werden. Dabei dreht es sich nicht um alltägliche Statusmeldungen: Bei dem 27-jährigen Wiener geht es um die Golden Globes, die britischen Filmpreise Bafta und jetzt sogar um die Oscars. Die Hauptrolle im Film Im Westen nichts Neues spielt Felix Kammerer – ein Name, der binnen weniger Tage auch außerhalb Österreichs prominenten Status erhalten hat.

Denn die deutsche Neuverfilmung des Klassikers von Erich Maria Remarque (Regie: Edward Berger) befindet sich mit neun Nominierungen im Rennen um die Oscars – eine Seltenheit für eine nichtenglischsprachige Produktion. Die Rolle des Soldaten Paul Bäumer, der in den Ersten Weltkrieg einrückt und an der Front kämpft, katapultierte Kammerer ins internationale Rampenlicht. Wer das Drama bereits auf Netflix gesehen hat, mag es nicht glauben, aber es handelt sich dabei überraschenderweise um sein Filmdebüt – der Lockenkopf stand davor noch nie vor der Kamera.

In dem neunfach für die Oscars nominierten Film "Im Westen nichts Neues" ist der Wiener in der Hauptrolle eines jungen Soldaten zu sehen.
Foto: AP / Reiner Bajo

Excel-Tabelle für die Angst

Bisher kannte man Kammerer als Burgtheater-Schauspieler, der 2019 von Direktor Martin Kušej ans Wiener Haus geholt wurde. Unter anderem war er in Elfriede Jelineks Schwarzwasser zu sehen, steht aktuell in Arthur Schnitzlers Das weite Land und ab Samstag in Der Zauberberg auf der Bühne.

Neben Jan Bülow und Franz Pätzold zählt er zu den jüngeren Talenten des Ensembles und wurde 2022 als bester männlicher Nachwuchs für seine Rolle in Moskitos mit dem Nestroy-Theaterpreis ausgezeichnet. Auch wenn seine androgynen, oft jugendlichen Rollen jedes Mal Interesse weckten, auf den Zenit im Theater steuert Kammerer noch zu, sprich: Die Titel- und Hauptrollen stehen ihm noch bevor.

Vor allem die ungewohnte, nicht chronologische Arbeit am Filmset war neu für ihn. Weswegen sich Kammerer ein eigenes System für den Filmdreh überlegte: Um sich auf die unzähligen Emotionen und Angstzustände der Figur vorzubereiten, erstellte er eine Excel-Tabelle mit einzelnen Energiezuständen. "Ich musste beim Dreh nur auf diese Liste schauen und wusste: Okay, jetzt sind wir bei Szene 124, die Angst liegt bei Level 90, die Todesangst bei 14 und der Tötungswille bei zwölf. Ohne diese Einordnung wäre ich aufgeschmissen gewesen", erzählt Kammerer ganz ernsthaft.

Für seine Rolle in "Moskitos" am Akademietheater wurde Felix Kammerer 2022 mit dem Nestroy-Theaterpreis für besten Nachwuchs ausgezeichnet.
Foto: Marcella Ruiz Cruz

Training, Training, Training

Trotz des aktuellen Rummels erscheint der Schauspieler zwischen Proben am Burgtheater tiefenentspannt zum Interview (die StandArt-Videoversion gibt es hier). Für ihn sei es befreiend gewesen, eine derart emotionale Geschichte mathematisch herunterzubrechen und so besser überblicken zu können. Sich selbst beschreibt er als rationalen und logischen Menschen. Seine Methode: "extrem gute Vorbereitung".

Dies betraf auch das körperliche Training, mit dem sich Kammerer für die harten Dreharbeiten von Im Westen nichts Neues bei Nässe und Kälte im 120.000 Quadratmeter großen Film-Schlachtfeld wappnete. "Drei- bis viermal wöchentlich bin ich mit einer zehn Kilo schweren Gewichtsweste zehn bis zwölf Kilometer gelaufen", berichtet er. "Ohne das hätte ich diesen Dreh nie geschafft!"

Aber auch inhaltlich grub sich Kammerer in die Thematik ein und las historische Texte zur damaligen Ausbildung von Soldaten. "In einem Online-Archiv bin ich auf rund 200.000 Frontbriefe gestoßen. Ich habe alle gelesen und so einen sehr privaten Einblick in das Leben dieser Männer bekommen. Es ist herzzerreißend, wenn man liest: ,Ich bin gleich zu Hause, der Krieg ist bald zu Ende‘ – und der Brief ist mit 1914 datiert."

Zwar trägt sein tägliches Frühstück – eine Tasse Kaffee und zwei Zigaretten, wie er am Rande erzählt – starke Wiener Züge. Seinem geschliffenen Hochdeutsch entnimmt man allerdings keinerlei weiche Färbung der Hauptstadt. Was wohl seiner Station in Berlin geschuldet ist. 1995 als Sohn des Opernsänger-Paares Angelika Kirchschlager und Hans Peter Kammerer geboren, sammelte er erste Erfahrungen im Jungen Ensemble Hörbiger und studierte dann an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Anschließend hatte er ebendort ein Engagement am Maxim-Gorki-Theater.

Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

Knallharte Strategie

Im Frühjahr 2020 isolierte sich Kammerer zwei Wochen mit seiner Theatergruppe kollekTief, zu der unter anderen Regisseurin Anna Marboe sowie Musiker Tilman Tuppy zählen, in einem gläsernen Wohncontainer. Mit der Performance zeigte die Gruppe beim Festival Hin & Weg im Waldviertel auf kreative Weise, wie Theater während einer Pandemie möglich ist.

Welche Richtung Kammerer künftig einschlagen wird? Wohl jede ein bisschen. Zwar bezeichnet er das Theater als seine Heimat. Dennoch habe er beim Film Blut geleckt und steht zunehmenden Filmanfragen offen gegenüber. Demnächst ist er in der Netflix-Serie All the Light We Cannot See erneut als Soldat zu sehen. Zu weiteren Projekten dürfe er noch nichts verraten.

Über sein Privatleben gibt der stets modisch gekleidete Schauspieler generell keine Informationen preis, wie er auch dem Falter erzählte. Da bleibt er auch bei mehrmaligem Nachfragen knallhart. Er selbst bezeichnet sich als "ganz radikal und dafür freundlich". Diese Strategie wird künftig wohl hilfreich sein, scheint seine Karriere doch durch die beeindruckende Performance einen immensen Boost zu erfahren. (Katharina Rustler, 28.1.2023)