Spitze für den Social-Media-Auftritt: Nicht mehr Prominente sind das Maß aller Dinge, sondern der Instagram-Filter.

Foto: Getty Images/iStockphoto/Aleksandr Rybalko

Die Neujahrsvorsätze sind noch frisch, die Fitnessstudios noch voll. Neues Jahr, neues Ich. Die Frage ist: wie neu und wie viel Ich? Selbstoptimierungsdruck in Hülle und Fülle gibt es ohnehin ganzjährig auf Instagram und anderen Netzwerken, schnelle, schmerzfreie Eingriffe in die eigene Optik sind dort mit Fotofiltern und Bildbearbeitungstools einfach möglich. Zu einfach?

Allgegenwärtig, aber nicht angekommen

Wie sich die Filter im alternativen Universum der sozialen Medien sehr real unter dem Messer manifestieren, weiß der plastische Chirurg Rolf Bartsch. Er will Filter nicht allgemein verteufeln, bemerkt aber auch täglich deren Wirkung.

Während früher zum Beispiel öfter Referenzbilder von Angelina Jolies Lippen zur Konsultation mitgebracht wurden, ist der Promi heute nicht mehr das Vorbild, vielmehr "die eigene, mit Technologie geschaffene Version — das virtuell gestaltete Ich". Also etwa die eigenen, durch eine Filterfunktion virtuell vergrößerten Lippen.

Zwei Tiktok-Nutzerinnen sprechen darüber, sich einem ästhetischen Eingriff zu unterziehen, um wie ihr virtuelles "Filter-Ich" auszusehen.

Die Nutzung von digitaler Bildbearbeitung ist allgegenwärtig, und trotzdem wird in der plastischen Community noch nicht genug darüber gesprochen, findet Bartsch. Auf einem kürzlich abgehaltenen Kongress für Ästhetikfachleute sei sein Vortragendenbild das einzig ungefilterte gewesen, erzählt er als beispielhafte Anekdote im Gespräch mit dem STANDARD.

Oben nicht ohne Filter

Abseits solcher Konferenzen sind diese Bilder auch aus den Feeds diverser Social Networks bekannt. Im Selfie-Modus spricht die Influencerin in ihre Smartphone-Kamera: "Ich bin jetzt mal ehrlich …" Inhaltlich vielleicht, optisch definitiv nicht. Mandelförmige Augen, eine gesunde Bräunung, porenlose Haut – ein Instagram-Filter ziert das Gesicht der ohnedies hübschen Frau und kontrastiert stark ihre Worte. Die gesellschaftlichen Erwartungen, wie sich vor allem Frauen zu präsentieren haben, schlagen sich in diesen Filterapplikationen nieder.

"Die Oberflächen glättende Weichzeichnung ist ein großes Thema", so Bartsch. Glatte Haut sei gesellschaftlich positiv konnotiert mit beispielsweise Gesundheit und Jugend. Diese Aussage bestätigt Barbara* (59), wenn sie auf die Nutzung von Filtern mit weichzeichnendem Effekt angesprochen wird. "Ich will einfach attraktiver ausschauen", sagt sie. Die Nachfrage, ob diese Attraktivität mit dem Kaschieren des Alters korreliert, bejaht Barbara.

Die Gretchenfrage

Brow Lifts, Fox Eyes und Buccal Fettreduktion sind Trenderscheinungen derzeit beliebter optischer Merkmale. Filter greifen diese Trends auf und adaptieren das Aussehen der Nutzerinnen und Nutzer dementsprechend. Dieser Angriff auf das Selbstbewusstsein könnte eine sogenannte Filter-Dysmorphie auslösen, wie ein Fachjournal für plastische Chirurgie schreibt. Dies könnte infolgedessen zu einer gestörten Selbstwahrnehmung führen und die Bereitschaft für operative Eingriffe fördern.

Bartsch findet klare Worte, welche Auswirkungen der Konsum von bearbeitetem Bildmaterial haben kann: "Optische Versagensängste stimmen depressiv, weil Filter einem vermitteln, dass man ohne Veränderung nicht gut genug ist." Er sieht die ästhetische Chirurgie dabei aber nicht als Förderer des vermeintlichen Schönheitsideals: "Wir kommen lediglich zum Handkuss der Wünsche." Am Anfang sei nicht der Filter oder der Schönheitschirurg gewesen, sondern die Verfügbarkeit der unbegrenzten Fotos und die Handkameras — eine narzisstische Generation, gepaart mit der natürlichen menschlichen Kompetitivität.

Bildmaterial von Rolf Bartsch: Vergleich, was Licht ausmacht, und Selfie-Verzerrung durch Handkamera-Linse.
Foto: Rolf Bartsch

Doch es geht auch anders. Marie* (24) ist aktive Instagram-Userin und die Zielgruppe für Filtertools auf Social Media. Sie entscheidet sich trotzdem gegen die Nutzung von Beautyfiltern. "Ich finde mich natürlich ehrlicherweise hübscher. Außerdem will ich online nicht anders aussehen als in der realen Welt", sagt sie: "Es ist ja auch nicht verwerflich, wenn man mal einen Pickel wegretuschiert, aber ich glaube schon, dass man vor allem jüngeren Mädchen damit zeigen kann, dass man ohne Filter mindestens genauso hübsch ist."

Influencerin Matilda Djerf erklärt, warum sie keine Filter benutzt.

Die Realität im Metaversum

Meta, der Mutterkonzern von unter anderem Facebook und Instagram, aktualisiert auf seiner Richtlinienwebseite regelmäßig die aktuellen Standards für die eigenen sozialen Medien. Dabei sollen Inhalte, die potenziell gefährliche, kosmetische Verfahren abbilden, nur für Erwachsene ab 18 Jahren ersichtlich sein.

Inwieweit die allgemein zugängigen Filteroptionen oder die Verbreitung derselben durch Nutzerinnen kosmetische Eingriffe bewerben, wird in den Richtlinien nicht reflektiert. Und während Instagram-Storys zwar kennzeichnen, dass ein Filter verwendet wurde, können Fotos auch durch externe Tools bearbeitet und dann ohne Kennzeichnung hochgeladen werden.

"Der überwiegende Teil lässt ästhetische Eingriffe für sich selbst durchführen. Für das eigene Wohlbefinden, aber auch weil wir mit dem eigenen Ich im Vergleich zu anderen unzufrieden sind", resümiert Bartsch die Beweggründe für ästhetische Behandlungen und greift dabei das größere, gesellschaftliche Thema von Selbstoptimierungsdruck auf. 2023: neues Jahr, vielleicht mehr Ich. (Sophie Marie Werner, 28.1.2023)

*Namen wurden von der Redaktion geändert