Mit "Rhinocerus" dokumentierte Albrecht Dürer ein tagesaktuelles Ereignis: 1515 wurde das Tier als Geschenk vom portugiesischen König Manuel I. an den Papst nach Rom geschickt. Es entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Holzschnitte des deutschen Grafikmeisters.
Foto: Albertina Wien

Zum Jubiläum hat sich die Albertina ihr bestes Kleid angelegt. Zumindest jenes, das am längsten im Kleiderschrank hängt und dennoch am wenigsten Beachtung findet. 20 Jahre ist es her, dass das Museum renoviert und erweitert eröffnete. Und seit 2000 wurde die Grafische Sammlung – das Herzstück des Hauses – unter dem 2024 scheidenden Direktor Klaus Albrecht Schröder vor allem um internationale Gegenwartskunst sowie zentrale Werke österreichischer Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ausgebaut. Zwar zeigte und sammelte der Langzeitchef immer auch grafische Werke, die Außenwahrnehmung wurde aber in der Grafik bewusst auf große Namen wie Michelangelo oder Bruegel oder große Malerei-Shows gelenkt.

Am Freitag eröffnet die überfällige und eigentlich schon für 2020 geplante Ausstellung Dürer. Munch. Miró. The Great Masters of Printmaking und zeigt erstmals einen Querschnitt durch sechs Jahrhunderte Druckgrafik. Die Schau speist sich gänzlich aus der hauseigenen Sammlung und spannt sich vom 15. Jahrhunderts bis zur klassischen Moderne.

Ende Februar wird das Projekt mit Teil zwei Andy Warhol bis Damien Hirst in der Albertina Modern fortgesetzt und gipfelt in einer Picasso-Hommage im März anlässlich des 50. Todesjahrs des spanischen Künstlers.

Hendrick Goltzius betont bei seinen monumentalen Herkules-Darstellungen (auch "Knollenmann" genannt) das Körperliche.
Foto: Albertina Wien

Der für das Haus typische Ausstellungstitel wendet sich an ein internationales Publikum und lockt mit prominentem Namenstrio – zugegeben hätte "Dürer. Goltzius. Kollwitz" weniger sexy geklungen. Wenn auch Munch und Miró wichtige Eckpfeiler in der Schau einnehmen, sind aber nicht sie die Stars. Diese Stellung nehmen ganz klar die alten Meister ein, die im ersten Abschnitt ihrem Namen alle Ehre machen. Die Albertina kann hier ihre Urstärke ausspielen.

Im Zentrum steht wenig überraschend Druckgrafik-Übervater Albrecht Dürer. In plastischer und detailreicher Finesse finden sich vor allem biblische Inhalte wie seine Apokalyptischen Reiter, aber auch tagesaktuelle Ereignisse wie Das Rhinocerus, das 1515 als Geschenk des portugiesischen Königs Manuel I. an den Papst nach Rom geschickt wurde. Der geschäftstüchtige Nürnberger schuf zeitlebens über 100 Stiche und Radierungen sowie 260 Holzschnitte.

Bunter Bruch: Verspielte Kunstplakate von Henri de Toulouse-Lautrec läuten in der Ausstellung die Moderne ein.
Foto: Albertina Wien

Anhand der Drucke entspinnt sich ganz nebenbei die Entwicklung der Drucktechniken im Laufe der Zeit: Auf Holzschnitt und Kupferstich folgte die feinere Radierung und im frühen 19. Jahrhundert die Lithografie, die Drucke schließlich in hoher Auflage zuließ. Positiv fallen Videos auf, die jene technischen Verfahren erklären und so druckgrafische Vorgänge niederschwellig vermitteln.

Kunst für alle

Die Botschaft der von Christof Metzger kuratierten Präsentation: Mit der Entwicklung dieser damals neuen Medien wurde Kunst auf einmal vervielfältigbar, massentauglich und günstiger. Grafik entwickelte sich zur der Malerei ebenbürtigen Kunstgattung. Der Preisaspekt traf durch zunehmende Qualität und Nachfrage allerdings nicht immer zu, wie die berühmte Rembrandt-Grafik Der predigende Christus ("Das Hundertguldenblatt") durch den Beinamen belegt – eine ungewöhnlich hohe Summe fürs 17. Jahrhundert.

Beeindruckend ist der für den niederländischen Künstler typische Einsatz von Licht und Dunkelheit, der durch die schwarzen Stellen der Radierungen besonders hervorsticht. Während Hendrick Goltzius bei monumentalen Herkules-Darstellungen (auch "Knollenmann" genannt) das Körperliche betont, wird es in Francisco de Goyas fantastischen Szenen brutal und düster.

Surreale Szenen spielen sich bei Paula Rego ab, die 2022 verstorbene Künstlerin war auf der letzten Venedig-Biennale vertreten.
Foto: Albertina Wien

Umso bunter der die Moderne einläutende Bruch, eröffnet mit Kunstplakaten von Henri de Toulouse-Lautrec: Einerseits markieren dort Farblithografien den Wandel der technischen Möglichkeiten Ende des 19. Jahrhunderts, andererseits wird der aus der Mode gekommene Holzschnitt von den Wiener Secessionisten wiederentdeckt. Auch Künstlerinnen sind vertreten: Neben beklemmenden Szenen von Käthe Kollwitz kommen intime Gesichtsstudien der Österreicherin Florentina Pakosta sowie Surreales von Paula Rego vor – Letztere war auch auf der Venedig-Biennale 2022 vertreten.

Zwar wirkt diese solide und spannende Sammlungspräsentation gegen Ende hin etwas zusammengewürfelt, man darf sich aber auf ihre Fortsetzung freuen. (Katharina Rustler, 27.1.2023)