Es ist schon lustig: Gefragt nach ihrem Lieblingsrezept, erzählen die meisten Köche von Mama oder Oma." Die heimische Küche ist das Reich der Frauen. Das sei bei ihr nicht anders gewesen, sagt Parvin Razavi, Küchenchefin im Wiener Restaurant &flora und damit eine Ausnahme. Denn in Profiküchen, zumal in gehobenen, haben meist noch immer die Männer das Sagen.

Unter den österreichischen "100 Best Chefs", die das Magazin Rolling Pin jährlich wählt, fanden sich 2022 gerade einmal drei Frauen. Gleiches Bild beim Restaurantführer Gault-Millau, der in vier Jahrzehnten nur drei Köchinnen zum "Koch des Jahres" kürte. Und doch machen immer mehr Frauen von sich reden: Nachwuchstalente wie Milena Broger (Jahrgang 1992), die in Bregenz mit regionaler Naturküche begeistert. Oder Viktoria Fahringer, die im elterlichen Wirtshaus moderne Gourmetküche auftischt und damit – 23-jährig – zur jüngsten Haubenköchin des Landes gewählt wurde.

Parvin Razavi (li.) und ein Teil ihres Teams im &flora: Acht Frauen, vier Männer, der Ton ist wertschätzend, die Hierarchie flach.
Foto: Christian Fischer

Parvin Razavi kam über einen Foodblog als Quereinsteigerin in die Küche. Seit März vergangenen Jahres kocht sie im &flora, das im überdachten Innenhof des Hotel Gilbert liegt. Bisher, erzählt sie, sei sie meist die einzige Frau in der Küche gewesen. Zuletzt in einem Lokal, in dem abends an offenem Feuer gekocht wurde: "Inbegriff der Männlichkeit."

Nun leitet sie ein Team aus acht Frauen und vier Männern und sagt: "Ich habe noch nie so schön gearbeitet wie hier." Im &flora bekam sie die Chance "von null an" ihre eigene, gemüselastige Küche zu etablieren. "Dies an einem extrem maskulinen Ort umzusetzen hätte eine viel größere Kraftanstrengung bedeutet." Die Arbeit mit Frauen sei viel empathischer, es gebe mehr Zusammenspiel.

Während sich das Team aufs Abendgeschäft vorbereitet, experimentiert sie an einem neuen Gericht: einer veganen Interpretation des Zwiebelrostbratens. Sie platziert einen scharf angebratenen Portobello-Pilz auf dem Teller, türmt Röstzwiebeln darauf, gießt Jus an, berät sich mit Sous-Chefin Aylin.

Strenge Hierarchie der Alphas

In ihrer Küche möchte sie Köchinnen einen Raum geben, "in dem sie sich kreativ entfalten können". Und auch Quereinsteigerinnen wie die aus Ägypten stammende Bahia fördern, die als Abwäscherin anfing und vor drei Monaten in die Frühstücksvorbereitung wechselte. Und die vier männlichen Kollegen? Die sind "sorgfältig reinkuratiert", wie sie mit einem Lachen sagt. "Viele Männer, die sich bei mir bewerben, sagen: Ich habe keinen Bock mehr auf dieses Alpha-Getue." Die Hierarchie in Profiküchen ist traditionell streng: Oben steht, unantastbar und unfehlbar, der Chef de Cuisine. Ganz unten: die folgsamen Jungköche, Commis de Cuisine, Abwäscher und Praktikanten.

Gemüseküche im &flora.
Foto: Christian Fischer

Als Küchenchefin trage sie viel Verantwortung, sagt Razavi. Für Speisekarte, Bestellungen, Personalplanung. Während des Service ist es ihre Aufgabe, ihr Team "wie ein Orchester" zu dirigieren. Sicher sei der Ton da manchmal bestimmter. Der Umgang aber bleibe stets wertschätzend. Wenn es Probleme gibt, nimmt sie Betroffene in Ruhe zur Seite. Und zieht, wenn es sein muss, Konsequenzen. "Ich habe auch schon einem Kollegen wegen eines sexistischen Witzes gekündigt." In vielen Küchen sind Aggression und Sexismus bis heute an der Tagesordnung. Auch Jungkoch Moritz, der vor kurzem im &flora angefangen hat, kennt das. Als "sensibler Typ" wisse er die Atmosphäre jetzt besonders zu schätzen.

1967 Burschen entschieden sich 2021 für die Ausbildung zum Koch – nur halb so viel Mädchen wollten Köchin werden. Woran das liegt? Frauen sind sensibler, ist Razavi überzeugt. Viele wollen sich dem rauen Arbeitsklima nicht aussetzen. Sie selbst habe irgendwann gelernt, "wie man sich verhalten muss in einem Haufen Männer". Sexistische Witze zu überhören. "Oder was zu sagen."

Familienunfreundlich

Die Strukturen müssen sich ändern. Das betrifft auch die oft extremen Arbeitszeiten. Wenn man fragt, warum so wenige Frauen in der Küche arbeiten, landet man zwangsläufig beim Familienthema. Razavi versucht, Mitarbeitenden eine Vier-Tage-Woche und drei freie Tage am Stück zu ermöglichen. Gibt aber auch zu, dass die Realität oft anders aussieht. "Gastro ist ein hartes Business mit intensiven Arbeitszeiten."

Sie selbst hat zwei Kinder im Teenageralter. In Hochphasen ist sie sechs Tage die Woche, teils zwölf Stunden täglich im Restaurant. Ihre Kinder seien stolz auf ihre Mutter, sehen sie als "Role-Model". Und dennoch sagt Razavi: "Wenn sie jünger wären, wäre es schwer." Vor allem in einem Lokal wie dem &flora, das auch als Hotelrestaurant fungiert und daher 365 Tage im Jahr bespielt werden muss.

Sohyi Kims Lokale haben nur Montag bis Freitag auf, im August ist Urlaub, und auch über Weihnachten und Neujahr sperrt sie zu. Zehn Leute umfasst ihr Team, sechs Frauen, darunter auch einige alleinerziehende Mütter. Die 57-Jährige empfängt in ihrem Restaurant in der Währinger Straße. Es ist das elfte von insgesamt 13, die sie hochgezogen hat, nachdem sie 1995 beschlossen hatte, die Designerbranche hinter sich zu lassen. Mit Fleiß machte sie als "Kim kocht" Karriere in einer Szene, die damals noch viel stärker von Männern dominiert war. "Ich wollte als Frau, noch dazu in einem anderen Kulturkreis, meine Grenzen austesten."

2021 war sie unter den wenigen Frauen, die es auf die Liste der österreichischen "100 Best Chefs" schafften. Für Auszeichnungen aber hat sie nicht viel übrig. Zweimal, erzählt sie, habe sie Anfragen vom Michelin abgelehnt. Auch Parvin Razavi aus dem &flora, vom Gault-Millau zur diesjährigen "Newcomerin des Jahres" gewählt, sagt nur: "Ich will mich davon nicht stressen lassen."

1995 kehrte Sohyi Kim der Designerbranche den Rücken und widmete sich komplett dem Kochen. 13 Restaurants hat sie seitdem hochgezogen. Damals, erzählt sie, sei die Branche noch viel stärker von Männern dominiert gewesen, sie wollte als Frau auch ihre Grenzen austesten.
Foto: Verena Carola Mayer

Unter Frauen, meint Sohyi Kim, gebe es weniger Angeberei. Wenn sie für ihren Erfolg gelobt wird, entgegnet sie: "Das ist kein Erfolg, sondern das Ergebnis harter Arbeit." Früher habe sie die Nächte durchgearbeitet, und auch heute noch komme es vor, dass sie bis vier Uhr morgens auf der Suche nach dem perfekten Vanillekipferl in der Küche steht. "Ich hatte nie Zeit, mich groß mit anderen auszutauschen." Aber natürlich bekomme man von Mitarbeitenden mit, wie es in manch anderen Küchen zugehe. Die Geschichten von fliegenden Pfannen und gebrochenen Rippen hat auch sie gehört. Ihr ist es letztlich egal, ob eine Arbeit von Mann oder Frau erledigt wird. Was ihr wichtig ist: ein Team, das miteinander arbeitet und sich – je nach Fähigkeiten – aushilft. Wenn männliche Kollegen erwarten, dass Frauen ähnlich schwere Töpfe schleppen, sei das ein "falsch verstandenes Verständnis von Gleichberechtigung", meint Kim.

"Es ist mein Leben ..."

Immer wieder verschwindet sie in der Küche, um Dinge mit ihrem Mitarbeiter zu besprechen. Für den Abend haben sich spontan Freunde zum Dinner angekündigt. So sei das eben in der Gastronomie, schwer planbar. Kurz, gibt sie lachend zu, habe sie sogar das Interview vergessen. Gestresst wirkt sie dennoch nicht. Die zierliche Frau mit den kräftigen Armen sprüht vor Energie. Mit fast 60 wolle sie nun kürzertreten, aber ganz kann sie es nicht lassen, denn: "Es ist mein Leben."

Auch Steffi Parlow (o.), Küchenchefin im Kommod, könnte nie in einer Küche arbeiten, in der man einander anschreit.
Foto: Regine Hendrich

Diese für die Kochkarriere nötige Leidenschaft bringt auch Steffi Parlow mit. "Ich habe schon als Kind gerne gekocht", sagt sie ein paar Tage später im leeren Gastraum des Restaurants Kommod. "Ich war neugierig und habe alle möglichen Rezepte gesammelt." Seit viereinhalb Jahren kocht sie in dem Lokal, das noch immer an die Bäckerei erinnert, die dort lange war. In den runden Nischen, wo früher Regale für Brot und Semmeln waren, sitzen nun Gäste an edel gedeckten Tischen.

Parlow hat Germkringel gebacken, "eine Hommage an meine Oma". Sie war es, die ihr die Liebe zum Kochen mitgab. Während der Schulzeit sammelte sie Kocherfahrung, eine Ausbildung in der Küche zu machen kam Parlow aber nie in den Sinn. Stattdessen begann sie ein Kunststudium, das sie 2010 aus ihrer norddeutschen Heimat nach Wien führte. Auch dort half sie in Hotels und Cateringfirmen – "zach" war das, weil Frau und dann auch noch Deutsche. Durch Zufall landete sie als Köchin im Kommod. Bis vor kurzem stand sie mir ihrer Kollegin Anna Scheffler in der Küche. Die hat sich nun verabschiedet, ins neu eröffnete Gourmetrestaurant des Hotels Rote Wand ("Da ist sie auch wieder die einzige Frau").

Die Germkringel sind eine Hommage an Steffi Parlows Oma.
Foto: Regine Hendrich

Ruf nach mehr Diversity

Nun kocht sie Seite an Seite mit Küchenchef Stephan Stahl. "Bei uns geht es null hierarchisch zu." Man begegnet sich auf Augenhöhe. Vor einigen Jahren fragte Stahl, ob sie Lust hätte, ihre künstlerische Expertise einzubringen. Sie entwickelte die Ausstellungsreihe Dunkelblau riecht salzig, gelb schmeckt bitter – seitdem servieren sie allabendlich ein von Kunstschaffenden inspiriertes Gericht, jüngst etwa Hirsecreme an Vogerlsalatsoße für den Maler Eiko Gröschl.

Ein gutes Arbeitsumfeld schlage jeden noch so großen Namen, sagt Parlow. "Ich könnte niemals in einer Küche arbeiten, wo man sich anschreit. Jeder gibt es an den nächsten weiter." Eine endlose Kette. Sie hofft auf die junge Generation: "Die haben da keine Lust mehr drauf." Der Kochberuf, heißt es in einem Fachbericht, sei derzeit jener "mit den größten Rekrutierungsschwierigkeiten".

Was sagen die männlichen Küchenprofis dazu? Die Zufallsbekanntschaft in der Raclettesemmel-Schlange entpuppt sich als Küchenchef der Mochi Ramen Bar. Viel zu wenige Frauen gebe es, sagt Alexander Kunstel. Auch bei ihnen. Generell sollte Diversität in der Küche mehr gefördert werden. Weil jeder einen anderen Blick, einen anderen Geschmack mitbringe. "So wie ein Essen salzig, sauer und umami braucht, braucht es all das auch in der Küche."

(Verena Carola Mayer, 28.1.2023)