Der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck steht gemeinsam mit Österreichs Vizekanzler Werner Kogler unter einem Schirm.
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Polizisten geraten mit Klimaaktivistinnen, die Bagger aufhalten wollen, hart aneinander. Demonstrantin Greta Thunberg wird weggetragen. Was sich bei der Räumung des Braunkohledorfes Lützerath in Nordrhein-Westfalen abgespielt hat, bereitet vielen Grünen in Deutschland immer noch Bauchschmerzen.

Denn der massive Protest im Rheinischen Braunkohlerevier richtete sich nicht nur gegen den Energieriesen RWE, sondern auch gegen die Grünen, die ein Ende des Dorfes mit ihrer Politik erst möglich gemacht haben.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock.

Absturz in den Umfragen

"Niemand soll mehr für einen Tagebau sein Zuhause verlassen müssen", hatte die Ökopartei noch in ihrem Programm für die Bundestagswahl 2021 erklärt. Doch dann kam es anders – wegen des Ukraine-Krieges. "Wir verdrängen das Gas aus der Verstromung. Das finden alle toll. Aber der Krieg ist noch da, und wir verdrängen das Gas durch Kohle. Das ist die bittere Pille", räumte der grüne Minister für Wirtschaft- und Klimaschutz, Robert Habeck, ein. "Verrat!", rufen viele an der Basis.

Dennoch: Der Absturz in Umfragen ist bislang ausgeblieben – und das auch, obwohl viele in der Partei auf Panzerlieferungen für die Ukraine drängten. Zwar schlägt den Grünen nicht mehr so viel Sympathie wie im Sommer entgegen. Aber sie liegen mit 17 bis 19 Prozent deutlich über dem Wahlergebnis vom Herbst 2021. Damals kamen sie auf 14,8 Prozent.

Österreichs Vizekanzler Werner Kogler.

Andere Lage in Österreich

In Österreich befinden sich die Grünen – obwohl sie als Regierungspartei mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind – in einer anderen Situation. Bei der vergangenen Nationalratswahl 2019 schaffte die Öko-Partei den Rückeinzug in den Nationalrat. Mit 13,9 Prozent der Stimmen. Inzwischen liegen die österreichischen Grünen in Umfragen seit vielen Monaten bei neun bis elf Prozent, also deutlich unter ihrem Wahlergebnis. Liegt das vor allem daran, dass sich die Beliebtheit von Junior-Regierenden über die Zeit abnützt? Die österreichischen Grünen haben anders als ihre deutschen Kollegen schließlich schon mehr als drei Jahre Regierungsarbeit auf dem Buckel. Oder liegt es eher an konkreter Politik und handwerklichen Unterschieden? Was machen die deutschen Ökos anders?

"Angenehm ist die Räumung von Lützerath für die Grünen nicht, aber mittelfristig wird es wohl nur eine kleine Delle geben", sagt der deutsche Parteienforscher Thomas Poguntke von der Universität Düsseldorf. Zwar sei eine Mehrheit der Deutschen gegen die Ausweitung der Braunkohleabbaugebiete. Aber frieren wolle dann doch auch niemand.

Mitte gewinnen, Rand verlieren

"Für die Grünen ist es wichtig, dass sie in der Mitte gewinnen. Am Rand einige zu verlieren ist nicht so gravierend", meint Poguntke und betont auch: "Viele Wählerinnen und Wähler sind auch der Meinung, dass die Grünen als Teil der Regierung gar nicht anders handeln können." Und Habeck sowie die grüne Außenministerin Annalena Baerbock sind immer noch sehr starke Zugpferde.

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Die Strahlkraft des grünen Duos ist eine von mehreren Erklärungen, warum ihre Partei derzeit besser dasteht als die Grünen im kleinen Nachbarland, analysiert der österreichische Politikberater Thomas Hofer. "Habeck und Baerbock positionieren ihre Partei klar und selbstbewusst mit offensiver Kommunikation – auch dann, wenn grüne Kernpositionierungen von einst nicht aufrechtzuerhalten sind", sagt er. Die österreichischen Grünen seien da zaghafter.

Gleichzeitig ist die Ausgangssituation in Österreich nicht wirklich günstig: Schon aus der Corona-Zeit sei die türkis-grüne Koalition angeschlagen herausgegangen, sagt Hofer. Darüber hinaus befinden sich die deutschen Grünen in einer Koalition mit Sozialdemokraten und Liberalen, hierzulande regieren die Grünen mit den skandalgebeutelten Konservativen, die in Umfragen in den vergangenen zwei Jahren massiv abgestürzt sind. Im Frühjahr 2020, kurz nach Ausbruch der Pandemie, lag die ÖVP in einigen Erhebungen deutlich über 40 Prozent. Derzeit kommt sie noch auf rund 21 Prozent. "Die ÖVP zieht uns mit sich hinunter", lautet auch eine der Erklärungen, die im grünen Lager selbst oft zu hören ist.

Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler.

Hohes Potenzial, niedrige Umfragewerte

Hofer befindet: Inhaltlich sei den österreichischen Grünen durchaus einiges gelungen. Er verweist etwa auf das Klimaticket und die ökosoziale Steuerreform. Erst kürzlich wurden auf einer Regierungsklausur zusätzliche Investitionen in Photovoltaikanlagen und eine Verschärfung des Korruptionsstrafrechts paktiert. Aber nutzt das den Grünen?

"Ich halte das grüne Potenzial für höher als die aktuellen Umfragewerte", sagt Hofer. Das Thema Klimaschutz sei "eine Art Lebensversicherung", da es für viele Wählerinnen auch in Zukunft relevant sein werde, prognostiziert der Politikberater. Aber er ist überzeugt: Auch die deutschen Grünen hätten ihr Potenzial bei der jüngsten Wahl nach dem durchwachsenen Wahlkampf nicht voll ausgeschöpft.

Keine g’mahde Wiesn

Doch auch in Deutschland stehen die Grünen, trotz besserer Umfragewerte, nicht auf einer g’mahden Wiesn. Längerfristig sieht Poguntke schon ein Problem: "Die Partei wird ihre sehr ehrgeizigen Klimaziele aufgrund des Ukraine-Krieges hintanstellen müssen."

Wenn dann bei der nächsten Bundestagswahl nach- und abgerechnet wird, könnten so manche Wähler ihr Kreuz bei einer "radikalen Konkurrenz" – etwa einer Klimaliste – machen, vermutet der Parteienforscher.

Der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck.

Risse im grünen Lager

Auch Swen Hutter, Politikwissenschafter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, sieht "Risse im grünen Lager". Er sagt: "Befragungen zu den jüngsten Klimastreiks zeigen eine gestiegene Frustration in der Bewegung, gerade unter jenen, die am aktivsten engagiert sind. Hier gibt es sicher ein Wegdriften von den Grünen." Eine "klare parteipolitische Alternative" sehe er aber nicht.

In Österreich ist die Situation vergleichbar, allerdings sei es hierzulande nicht so unwahrscheinlich, dass neue Akteurinnen und Akteure bei der kommenden Nationalratswahl antreten – auch wenn derzeit noch niemand wisse, wer konkret: "Dass es eine neue linke Alternative geben könnte, ist für die Grünen eine latente Gefahr", sagt Hofer. Er denke dabei etwa an den ehemaligen Hofburg-Anwärter Dominik Wlazny mit seiner Bierpartei. In einem solchen Fall könnten die Grünen im Wahlkampf auch weniger um Wähler im Spektrum der Mitte kämpfen, sondern müssten den grünen Rand verteidigen.

Und: Der inoffizielle Wahlkampfstart werde nicht mehr lange auf sich warten lassen, glaubt Hofer – selbst wenn erst 2024 gewählt werde. "Ich rechne damit, dass noch etwa sechs Monate für inhaltliche Vorhaben der Regierung Zeit ist, bevor es losgeht." (Birgit Baumann, Katharina Mittelstaedt, 29.1.2023)