Sam Altman hat künstliche Intelligenz nicht erfunden – aber erlebbar gemacht. So zeichnet die KI Midjourney den Open-AI-Chef.

Bild: Midjourney

Wenn Sam Altman auf Twitter in die Tasten klopft, kommen dabei Sätze heraus, die so auch in einem Abreißkalender für Leadership-Coaching stehen könnten. Zum Beispiel: "Steck dir höhere Ziele und erreiche sie schneller." "Optimismus ist die mächtigste (und irgendwie auch die radikalste) Weltanschauung." Oder: "Ehrgeiz ist ansteckend."

Seine Sinnsprüche teilt er nicht nur seit kurzem mit 1,2 Millionen Twitter-Followern, sondern schon länger vor allem mit Start-up-Gründenden – meist gegen wertvolle Unternehmensanteile. Die Sätze haben Altman den Beinamen "Start-up-Yoda" eingebracht, angelehnt an den weisen "Star Wars"-Charakter. Über die Szene hinaus war der 37-Jährige lange kaum bekannt. Das hat sich geändert.

Große Hoffnungen

Denn Altmann steht einem der gehyptesten Unternehmen der letzten Monate vor: Open AI, der Organisation hinter Chat GPT. Die Software ist künstliche Intelligenz zum Anfassen: Sie schreibt Texte, die auch von Menschen stammen könnten – und das zu jedem beliebigen Thema. Innerhalb von nur fünf Tagen knackte der KI-Bot die Marke von einer Million Nutzerinnen und Nutzern. Noch 2023 soll GPT-4, der Nachfolger von Chat GPT, erscheinen. Die Erwartungen sind immens.

Dabei ist künstliche Intelligenz eigentlich schon jetzt so selbstverständlich Teil unseres Alltags, dass sie kaum mehr auffällt. Sie arbeitet in Handys, Autos, sogar Ampelanlagen als nützliches, aber zweckgebundenes Werkzeug. Doch Altman und Open AI haben mehr vor. Ihnen geht es um die Entwicklung einer sogenannten Artificial General Intelligence (AGI), einer künstlichen allgemeinen Intelligenz. "AGI ist notwendig für das Überleben der Menschheit", orakelte Altman im Juli auf Twitter. "Unsere Probleme scheinen zu groß zu sein, als dass wir sie ohne bessere Werkzeuge lösen könnten."

Übermächtige Maschinen

Als "eine Art Computergehirn, dass sehr klug ist und viele verschiedene Dinge machen kann" – so würde Chat GPT allgemeine künstliche Intelligenz einem Kind erklären. "Sie ist wie ein besonders talentierter Roboter, der in vielen Fächern gut ist anstatt nur in einigen wenigen." Statt nur Gesichter zu erkennen und Schach zu spielen, soll eine AGI künftig jede erdenkliche Aufgabe lösen können – und das besser als ein Mensch. "AGI kann uns ins Zukunft helfen, viele Probleme zu lösen und unser Leben besser zu machen, aber es ist wichtig, dass sie sicher verwendet wird, damit sie uns nicht wehtut", erklärt Chat GPT und erinnert damit ein wenig an HAL 9000, den Supercomputer aus Stanley Kubricks dystopischen Science-Fiction-Epos "Odyssee im Weltraum".

Altman fordert, den KI-generierten Wohlstand gerecht zu verteilen.
Foto: Reuters/Brendan Mcdermid

Damit gibt Chat GPT den Gründungsgedanken von Open AI wieder. Ziel der 2015 von Sam Altman gegründeten Organisation sei es, Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz zu demokratisieren und die Menschheit vor einer unkontrollierten KI zu schützen. Kapitalunterstützung bekam Altman dabei von Tesla-Chef Elon Musk, Paypal-Gründer Peter Thiel oder Linkedin-Mitgründer Reid Hoffmann. Der elitäre Kreis der Silicon-Valley-Größen ernannte Sam Altman zum Chef der Organisation, nachdem Elon Musk das Amt wegen Interessenkonflikten 2018 zurückgelegt hatte.

Altman hat keinen wissenschaftlichen KI-Hintergrund, seine Vita erinnert an die anderer Tech-Genies wie Steve Jobs oder Mark Zuckerberg: Altman kam schon als Kind gut mit Computern klar, mit Menschen jedoch eher weniger. Zwar wurde ihm entgegen manchen Gerüchten nie Asperger diagnostiziert, aber er verstehe, warum ihm manche diese Kontakt- und Kommunikationsstörung attestieren würden, sagte er dem "New Yorker" 2016 in einem Porträt. Seine Begeisterung gelte Technologie; Partys und die meisten Menschen würden ihn nicht interessieren. Altman lernte früh Programmieren, studierte Informatik, schmiss das Studium aber, um Loopt zu launchen – eine App, die den eigenen Standort mit ausgewählten Freunden teilt. Das Start-up floppte, aber in der Szene war er seitdem bestens vernetzt.

Kleine Unternehmen groß machen

Bald leitete er Y Combinator, einen sogenannten Start-up-Accelerator. Diese Gründerzentren sollen Unternehmen möglichst schnell groß machen – idealerweise zum "Unicorn", wie in der Szene Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar genannt werden. Dafür darf sich der Accelerator einen Anteil der Unternehmen für vergleichsweise wenig Geld sichern. Y Combinator ist besonders erfolgreich: Airbnb, Dropbox, Reddit stehen auf der Bilanzliste des Accelerators.

Als Altman 2014 übernahm, strukturierte er Y Combinator um und investierte stärker in futuristische, teils größenwahnsinnig anmutende Projekte. Schwierige Vorhaben seien eigentlich einfacher zu finanzieren als leichte, sagte Altman einmal. Aus dem simplen Grund, dass Menschen gerne ihr Geld investieren, wenn sie das Gefühl hätten, bei der Lösung eines großen Problems zu helfen. "Noch eine mobile App? Da rollt man mit den Augen. Ein Raketenunternehmen? Jeder will ins Weltall fliegen!", erklärte Altman seine Strategie dem "New Yorker".

Also investierte er in das Kernfusion-Start-up Helion oder Hermes, das den Atlantik in einer Stunde überqueren will. Mitten im Crypto-Hype 2021 gründete er Worldcoin, ein Projekt, das jedem Erdbürger die gleiche Menge einer virtuellen Währung zuweisen will – verifiziert durch einen Netzhaut-Scan.

Paranoide Gründer

Die besten Gründer seien für ihn jene, die "sehr paranoid und voller existenzieller Krisen sind". Vielleicht beschreibt er sich damit auch ein Stück weit selbst. Als er bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte vergangene Woche nach dem besten und dem schlechtesten Szenario für die Zukunft der KI gefragt wurde, antwortete er, dass "es im besten Fall so unglaublich gut wird, dass man sich wie ein Verrückter anhört, wenn man darüber spricht. Im schlimmsten Fall bedeutet es für uns alle das Ende."

Eine intelligente Maschine, welche die Menschheit austrickst und sie ihr untertan macht – das ist der Stoff, aus dem Endzeitvisionen gemacht sind. Kommerziell agierende Player mit einer Marktmacht wie Google, Amazon oder chinesische Konzerne wie Tencent oder Alibaba sind die perfekten Protagonisten für eine solche Dystopie, in der KI den Mächtigen dient, während sie die Massen überwacht und manipuliert. Dass Google ein wichtiges KI-Start-up aufgekauft hatte, soll ein Mitgrund für die Gründung von Open AI gewesen sein. Als Non-Profit-Organisation gelang es, sich von der Konkurrenz abzuheben. Man galt als das freundliche Gesicht der KI.

Dabei hat das Unternehmen längst einen kommerziellen Arm, um Investorinnen und Investoren anzulocken. Die Erforschung künstlicher Intelligenz ist ein teures Unterfangen: Laut dem US-Magazin "Fortune" gab Open AI im vergangenen Jahr allein für Daten und Server 416 Millionen Euro aus, dazu kommen hohe Gehälter für die umkämpften Fachleute im KI-Bereich. Womit Open AI eigentlich Geld verdienen soll, war lange nicht klar. "Sobald wir die künstliche allgemeine Intelligenz erreicht haben, fragen wir sie einfach, wie man mit ihr Geld verdienen kann", sagte Altman bei einem Event 2019 im Halbscherz.

Altman-omics

Heute sind die Verhältnisse offenbar besser geklärt: Wie "Fortune" berichtet, sollen dem Hauptinvestor Microsoft ein Großteil der Einnahmen zustehen, bis der Softwareriese seine 13 Milliarden investierten US-Dollar zurückverdient hat. Danach soll der Anteil immer weiter sinken.

Viel lieber spricht Altman über die Verteilung der Gewinne, die künstliche Intelligenz der Gesellschaft bescheren wird. In einem ausführlichen Blogbeitrag von 2021 vergleicht er künstliche Intelligenz mit der Erfindung des Rads oder der Entdeckung des Feuers. Arbeiten – egal ob am Fließband oder in Forschungslaboren – werden künftig vor allem Computer und Roboter. Diese Revolution sei unaufhaltsam, und sie werde "sagenhaften Wohlstand" schaffen, prophezeit Altman.

Da Werte künftig vor allem durch KI und Roboter geschaffen werden, muss die Politik nicht mehr das Einkommen, sondern das Kapital besteuern. Konkret schlägt er vor, dass Unternehmen ab einer bestimmten Größe jährlich 2,5 Prozent ihres Marktwertes in einen gemeinschaftlichen Fonds abführen müssen – und zwar in Form von Aktien. "Wer eine Aktie von Amazon besitzt, möchte, dass der Kurs steigt", schreibt Altman. Auch Land sollte als begrenzte Ressource besteuert werden. Rund 1.000 US-Dollar sollen für jeden Menschen in den USA dabei rausspringen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle, beliebig einsetzbar in der Freizeit, die wir haben werden, wenn die Roboter unsere Arbeit machen.

Einige KI-Forschende bezweifeln, ob es jemals eine künstliche allgemeine Intelligenz geben wird. Altman lässt sich nicht beirren und folgt mit Open AI seiner alten Strategie: hohes Risiko, gigantische Chancen. (Philip Pramer, 29.1.2023)