Rund 3000 Menschen arbeiten heute für Swarovski in Wattens. Es gab Zeiten, da waren so viele Menschen bei Swarovski wie Wattens Einwohner hat.
Foto: Florian Scheible

Es gibt Unternehmen, die sind ein Stabilitätsanker einer ganzen Region. Sie prägen das Ortsbild und schaffen Arbeitsplätze. Sie gelten als Aushängeschild, auf sie wird breitbrüstig in politischen Reden verwiesen. Sie sind Teil der Identität, des regionalen Selbstverständnisses. Floriert ein solches Unternehmen, spürt das die Region. Geht es durch eine Krise, spürt sie es umso mehr.

Besuch beim Bürgermeister

"Umbrüche lösen immer gewisse Schmerzen aus", sagt Lukas Schmied. Vor knapp einem Jahr wurde er zum neuen Bürgermeister der Marktgemeinde Wattens, östlich von Innsbruck im Tiroler Unterinntal, gewählt. Sein großzügiges Büro, das von einem pompösen Swarovski-Luster ausgeleuchtet wird, wirkt eine Spur zu groß für diesen Ort. Wie er selbst auch – in seinem blütenweißen Hemd und seinem Gilet, die blonden Haare akkurat zur Seite gekämmt. Die Situation im Moment sei "ungewohnt", sagt der gebürtige Wattener, der von 2006 bis 2012 selbst für Swarovski tätig war. Eine Sorgenfalte kräuselt über sein glattrasiertes Gesicht. "Man merkt, dass sich das Unternehmen in der Krise befindet."

Im Büro von Bürgermeister Lukas Schmied hängt selbstverständlich ein Kristallluster.
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Zum Büro des Bürgermeisters gelangt man über ein großzügiges Stiegenhaus. Begleitet von den Blicken goldumrahmter Ehrenbürger und Bürgermeister führt der Weg empor in den ersten Stock. Neben den Stufen hängt auch ein Konterfei von Otto Mair, dem Großvater von Schmied – Bürgermeister bis 1997. Neben Mair schmückt ein Abbild des Mannes die weiße Wand, der Wattens zu dem gemacht hat, was es heute ist: Daniel Swarovski.

Funkelnde Kristalle aus Sand

Der Glasschleifer böhmischer Herkunft legte 1895 den Grundstein zu einer jahrzehntelangen Erfolgsgeschichte. Swarovski brachte schnödes Glas zum Funkeln. Raffinierter Schliff plus geniales Marketing: So lautete die Erfolgsformel. Wer braucht da noch glitzernde Diamanten, Smaragde und Rubine? Selbst Queen Victoria belieferte Firmengründer Daniel mit seinen Kristallen aus blinkendem Quarzsand.

Die Firma entwickelte sich rasant, verzweigte sich in andere Geschäftsbereiche. Niemand sonst konnte synthetische Kristalle aus Quarzsand und Bleioxid so herstellen und schleifen. Die Unternehmen der Swarovski-Gruppe beliefern heute die ganze Welt – nicht nur mit polierten Schmucksteinen, sondern auch mit Schleif- und Schneidewerkzeugen (Tyrolit) und Ferngläsern (Swarovski Optik).

Gründer Daniel Swarovski suchte einen Ort mit der passenden Infrastruktur. In Wattens, damals ein Bauerndorf, fand er sie und erwarb dort eine Fabrik, in der er seinen Geschäften nachgehen konnte.
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Doch Daniels Erbe lastet schwer – auch auf dem Ort. Wattens war einst ein Bauerndorf und wuchs mit Swarovski, sagt der Innsbrucker Wirtschaftshistoriker Andreas Exenberger. Der Konzern ist einer der Leuchttürme der Tiroler Industrie.

Konkurrenzdruck

Heute stellen chinesische Konzerne die künstlichen Kristalle zum Bruchteil der Kosten her und setzen die Tiroler unter Druck. In Wattens hinterlässt das Spuren. Einst arbeiteten über 6500 Menschen für Swarovski in der 8000-Seelen-Gemeinde. Von den weltweit rund 18.500 im Konzern Beschäftigten sind heute nur mehr rund 3000 in Wattens tätig. Die Dezimierung der Belegschaft zeigt sich auch an einem Mittwochmorgen im Jänner. Aus den aus Innsbruck und Jenbach kommenden Pendlerzügen steigt zwischen acht und neun Uhr nur eine Handvoll Menschen. Die Parkplätze hinter dem Werk 1 sind um zehn Uhr spärlich gefüllt.

Eng verbunden

Die Kündigungswellen der vergangenen Jahre haben sich auch auf die Gemeindekasse ausgewirkt, sagt Bürgermeister Schmied. Seit Corona verzeichne die Gemeinde einen Rückgang von zwei bis zweieinhalb Millionen Euro bei der Kommunalsteuer. Das Minus sei vor allem auf den Kristallkonzern zurückzuführen. Man ist mit dem Unternehmen eng verbunden. Die Stimmung im Ort sei gedrückt – sowohl unter den Bewohnerinnen und Bewohnern als auch bei jenen, die in Wattens ein und aus gehen.

"Ungewohnt" sei diese Krisenstimmung im Ort, sagt der Wattener Bürgermeister Lukas Schmied. Krisen gab es in der Geschichte des Konzerns und damit der Gemeinde aber schon früher.
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Unerfreulicher Schrumpfungskurs

Ebendiese findet man um die Mittagszeit nahe dem Kirchplatz, im Haus Marie, der zentralen Mensa, die nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Swarovski offensteht. "Wie soll’s einem schon gehen, wenn sie ständig Leute entlassen?", entgegnet ein Mitarbeiter mit einem Schulterzucken auf die Frage nach seinem Befinden. "Gestern wurden in meiner Abteilung schon wieder Leute entlassen. Das schlägt sich auf die Motivation nieder", erzählt ein anderer wenig später.

Nicht nur für jene, die ihre Jobs verlieren, sei ein Schrumpfungskurs unerfreulich, sagt Peter Huber, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo. Der Verlust an Arbeitsplätzen hat Auswirkungen auf andere Betriebe, die Vorleistungen erbringen, aber auch auf Bäcker und Friseure – Menschen ohne Jobs sparen. Betriebe verlagern aber nun einmal Routinetätigkeiten an Standorte mit geringeren Lohnkosten, gibt Huber zu bedenken. Die Region an sich sei wirtschaftlich stabil. Auch die Arbeitslosigkeit ist niedrig, in Wattens waren Ende Dezember gerade einmal 144 Menschen beim AMS vorgemerkt.

Am Weg zur Arbeit: Swarovski ist einer der wichtigsten Industriebetriebe in Tirol. In den Industriebetrieben werden grundsätzlich um einiges höhere Löhne bezahlt als etwa im Tourismus.
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Dennoch: Corona, der Krieg in der Ukraine, die Teuerung. Die Umstände sind schwierig. Die Welt ist im Umbruch – und mit ihr Swarovski. Es ist in der Geschichte des Konzerns nicht die erste Krise. Mitarbeiterabbau gab es auch in früheren Zeiten. In der Belegschaft scheint man aber einig, dass die gefühlte Misere auch intern verschuldet ist. Es seien Fehler gemacht worden, man fühle sich nicht wertgeschätzt, lautet der Tenor. "Das Unternehmen kümmert sich nicht mehr um die Menschen", sagt eine Frau beim Verlassen der Kantine.

Marie, nach der das Mehrzweckhaus benannt ist, war übrigens die Ehefrau Daniel Swarovskis, ihrer Ehe entsprangen drei Kinder. Heute ist die Swarovski-Familie weit verzweigt, über den gesamten Globus verteilt und öffentlichkeitswirksam zerstritten. Erst im September befand ein Schiedsgericht eine vor knapp zwei Jahren von Ex-CEO Robert Buchbauer eingeleitete Strukturreform im Tiroler Konzern für rechtswidrig.

Der Riese wacht über die "Wunderkammern" der Kristallwelten.
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Kampfansage

Die Klage hatte eine Gruppe oppositioneller Familienmitglieder rund um den Präsidenten der Tiroler Industriellenvereinigung Christoph Swarovski und die Familie Manfred angestrengt, die rund 20 Prozent der Gesellschafter umfasst. Es ging um strategische Entscheidungen und rechtliche Strukturen, vor allem aber auch um den Standort Wattens. Die Strukturreform empfanden viele als Kampfansage.

Seit dem 4. Juli leitet erstmals ein Familienfremder die Geschicke des Konzerns: Alexis Nasard. Dass nun ein "Fremder den Karren wieder flottmachen soll", sei "ein Renommeeverlust, ein emotionaler Abstieg" für die Marke, urteilt Markenexpertin Karin Lehmann. Auch die Familienstreitigkeiten täten nicht gut. Nasard soll den Kristallriesen wieder zum Glänzen bringen, zurück zur Profitabilität.

Alexis Nasard soll das Ruder herumreißen und Swarovski wieder profitabel machen. Die Mehrheit der Gesellschafter hat er derzeit hinter sich.
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Der libanesischstämmige Manager habe zwar ein Büro in Wattens, getroffen habe er ihn aber noch nie, sagt Bürgermeister Schmied. Im Dezember beschwor Nasard vor Journalisten in Wien den Aufschwung. 2022 habe man mit einem Wachstum von zehn Prozent beendet. Mitarbeiterabbau stehe zwar nicht auf dem Plan, aber es könne sein, dass es dazu komme. Auch in Wattens. "Die Transformation trifft alle", sagte der kleine elegante Mann damals. Den Umsatz bezifferte er mit 1,9 Milliarden, Gewinne werde man ab 2023 wieder schreiben, war er überzeugt. Wattens bleibe das Herzstück, beteuerte er.

Pochen auf die Wurzeln

"Ich hoff’s", sagt Schmied auf die Frage, ob er sich darauf verlasse. Man dürfe sich ja auch "nicht überschätzen als kleiner Tiroler Ort". Ein schüchternes Lächeln huscht über sein Gesicht. Dabei seien die "klaren Wurzeln", die Swarovski in Wattens geschlagen habe, von "immensem Wert". "Heimat und Herkunft" seien etwas, das Swarovski von anderen Unternehmen weltweit abhebe, findet Schmied.

Global versus lokal: ein Spagat, der noch für Knirschen sorgen könnte. "Je globaler die Perspektive des Konzerns, umso weniger ausgeprägt wird die Bindung zu Wattens", sagt Wirtschaftshistoriker Andreas Exenberger. Notgedrungen. Die Globalisierung macht vor Wattens eben nicht halt. Schmied baut auf die Wurzeln. "Da ist so viel da an Geschichte, Erbe, Stolz – darauf kann man aufbauen." (Maria Retter, Regina Bruckner, 28.1.2023)