Petr Pavel, gewählter Präsident, und seine Frau Eva.

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Am Samstag um 14 Uhr schlossen in Tschechien die Wahllokale, im Laufe des Nachmittags sprachen die Zahlen dann eine immer deutlichere Sprache: Der nächste tschechische Präsident heißt Petr Pavel. Der parteilose 61-jährige ehemalige Armeegeneral wird im März auf der Prager Burg einziehen und damit die Nachfolge des amtierenden Staatsoberhaupts Miloš Zeman antreten. Der konservative Premierminister Petr Fiala hat Pavel bereits zum Wahlsieg gratuliert. Als Überraschungsgast tauchte auch die liberale slowakische Staatspräsidentin Zuzana Čaputová in Pavels Wahlzentrale im Prager Stadtteil Karlín auf und beglückwünschte ihren künftigen Amtskollegen.

Nach Auszählung aller Stimmen liegt Pavel mit rund 58,3 Prozent klar auf Platz eins. Sein Gegenkandidat, Chef der populistischen Partei Ano und Ex-Premier Andrej Babiš, kam auf etwa 41,7 Prozent. Auch Babiš hat Pavel bereits gratuliert und seine Niederlage anerkannt. Schon im ersten Wahlgang Mitte Jänner hatte sich Pavel mit 35, 4 Prozent an die Spitze setzen können, Babiš war mit knapp 35 Prozent aber nur knapp dahinter gelegen. Die anderen sechs Kandidierenden blieben damals weit abgeschlagen.

In Pavels Wahlzentrale war schon am Samstagnachmittag immer wieder Jubel aufgebrandet, wenn neu hereintröpfelnde Ergebnisse den bisherigen Trend – die Führung – bestätigten. Als dann klar war, dass ihm der Sieg nicht mehr zu nehmen ist, und Pavel vor seine liberalen Anhängerinnen und Anhänger trat, war die Begeisterung auf dem Siedepunkt: Nach Václav Havel, Václav Klaus und Miloš Zeman wird Petr Pavel der vierte Präsident der selbstständigen, demokratischen Tschechischen Republik.

Sieg der Werte?

Die ersten Worte des neu gewählten Präsidenten, vorgetragen in der ruhigen, fast kühlen Art, die seinen gesamten Wahlkampf geprägt hatte, standen zur Jubelstimmung in eigentümlichem Kontrast: "Ich weiß, dass viele enttäuscht sind, weil ihr Kandidat nicht gewonnen hat", sagte Pavel. Er sehe aber unter den Wählerinnen und Wählern keine Sieger und keine Verlierer: Gewonnen hätten "Werte wie Wahrheit, Würde, Respekt und Demut", so Pavel. "Und das sind Werte, die die meisten von uns teilen."

Der Ton mag versöhnlich gewesen sein. Und doch war diese erste Stellungnahme Pavels auch eine implizite Replik auf den beinharten Lagerwahlkampf, der im Vorfeld der Stichwahl geführt worden war.

Pavel, der im Wahlkampf Unterstützung aus den Reihen der rechtsliberalen Regierungskoalition von Premier Fiala genoss, hat seine bisherige Karriere nicht in der Politik, sondern in der Armee absolviert. Noch zur Zeit der kommunistischen Diktatur in der ehemaligen Tschechoslowakei schloss er sein Studium an der Militärakademie ab, 1985 trat er der KP bei. Nach der Samtenen Revolution des Jahres 1989 verließ er die Partei wieder, blieb aber der Armee treu, wo er es bis zum Chef des – nunmehr tschechischen – Generalstabs brachte.

"Diplomat" versus Soldat

Von seiner kommunistischen Vergangenheit hatte er sich da freilich längst distanziert. Auch im Präsidentschaftswahlkampf bezeichnete er sie als "Fehler, aus dem ich gelernt habe". In der Nato, die während des Kalten Krieges auf der anderen Seite des geopolitischen Kräftemessens gestanden war, hatte man damit später offenbar auch kein Problem: Von 2015 bis 2018 war Pavel Chef des Nato-Militärausschusses – und damit oberster militärischer Vertreter des transatlantischen Verteidigungsbündnisses.

Das Wort "General" hatte Pavel, der sich heute als "konservativ mit sozialem Gewissen" bezeichnet, im Wahlkampf bewusst als sein Markenzeichen eingesetzt. Obwohl er in der Armee nicht mehr aktiv ist, sollte sein militärischer Rang zum Symbol für Verlässlichkeit, Ordnung und Disziplin werden. "Ordnung und Ruhe", das war auch Pavels Wahlslogan, der ihn vom bekannt erratischen und unberechenbaren Politikstil seines Kontrahenten Andrej Babiš unterscheiden sollte.

Der 68-jährige Ex-Premier Babiš wiederum hatte versucht, den Spieß umzudrehen, und rückte die militärische Vergangenheit Pavels in die Nähe von dessen angeblicher Absicht, Tschechien in einen Krieg gegen Russland hineinzuziehen. "Ich bin Diplomat, kein Soldat" hieß es unter anderem auf seinen Wahlplakaten. Zwar war Babiš, ebenfalls früheres KP-Mitglied, ab Mitte der 1980er Jahre für einige Zeit tschechoslowakischer Handelsdelegierter in Marokko, doch sieht man davon ab, entspricht die Bezeichnung "Diplomat" weder seiner beruflichen Laufbahn noch seiner oftmals irrlichternden Rhetorik. Auf den Anti-"General"-Zug sprangen dann noch anonyme Absender von Fake-SMS-Nachrichten mit gefälschten Einberufungsbefehlen Richtung Ukraine auf – verschickt angeblich von Petr Pavel.

Dünnes Eis bei TV-Debatte

Nicht immer aber konnte der milliardenschwere Unternehmer mit dem Versuch punkten, seinen Kontrahenten als Kriegstreiber und sich selbst als Friedensbringer darzustellen. Als Babiš in einer Fernsehdebatte gefragt wurde, ob Tschechien im Falle eines Angriffs auf Polen oder die baltischen Länder den Verbündeten etwa mit eigenen Truppen beistehen sollte, beantwortete er das mit einem klaren "Sicher nicht". Er wolle "Frieden, keinen Krieg" – eine Aussage, die zwar die meisten unterschreiben würden, die aber im gegebenen Kontext auch als Absage an die im Artikel 5 des Nato-Vertrags fixierte Beistandspflicht unter den Mitgliedsstaaten interpretiert wurde.

Babiš hatte sich damit auf ziemlich dünnes Eis begeben. Im TV-Duell konnte Pavel in weiterer Folge mit seiner detaillierten Nato-Expertise punkten, und international ließen die entrüsteten Reaktionen – vor allem im Baltikum und in Polen – nicht lange auf sich warten. Am nächsten Tag musste Babiš zurückrudern: Seine Aussage sei aus dem Zusammenhang gerissen worden, lautete seine Rechtfertigung. Den Artikel 5 habe er nie in Frage stellen wollen.

Als Oppositionsführer im Parlament hatte Babiš auch immer wieder auf die Unterstützung Pavels aus der Regierung hingewiesen, die er selbst als "asozial" bezeichnet. Auch im Zusammenhang mit der vom Krieg mit verursachten Teuerungs- und Energiekrise buhlte er um die Stimmen der sozial Schwächeren. Seinen Kontrahenten bezeichnete er daher häufig als "Regierungskandidaten". Das stimmt allerdings nur bedingt: Pavel wurde nicht durch eine Partei nominiert, sondern mit den Unterschriften von mehr als 80.000 Bürgerinnen und Bürgern. Babiš wiederum genoss die Unterstützung des scheidenden Staatschefs Miloš Zeman, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte.

Streit um KP-Vergangenheit

Auch die kommunistische Vergangenheit beider Kandidaten war im Wahlkampf zum Thema geworden. Dabei ging es nicht nur um die früheren Parteimitgliedschaften, sondern auch um Geheimdienstvorwürfe. Babiš wird immer wieder zur Last gelegt, er habe einst als Agent für die kommunistische Staatssicherheit gespitzelt, was dieser bestreitet. Pavel wiederum wird vorgeworfen, dass er noch vor der Wende in einem Kurs für Militärspionage ausgebildet wurde.

Dass beide gemeinsam im ersten Wahlgang mehr als 70 Prozent der Stimmen erhalten haben, werten Beobachter allerdings als Signal dafür, dass die Bedeutung des Themas in Tschechien immer mehr abnimmt. Bereits vor der Stichwahl stand fest: Zum ersten Mal wird künftig ein Präsident auf der Prager Burg residieren, dessen politische Karriere nicht in der Samtenen Revolution wurzelt.

Babiš hat dennoch versucht, diese Karte im Wahlkampf gegen Pavel auszuspielen. Dass er damit wohl kaum neue Wählerinnen und Wähler gewinnen konnte, zumal sich ähnliche Vorwürfe ja auch gegen ihn selbst richteten, muss ihm klar gewesen sein. Eher galt seine Taktik als Versuch, liberale Wählerinnen und Wähler davon abzuhalten, überhaupt zur Wahl zu gehen. Die Rechnung ging offenbar nicht auf. Mit mehr als 70 Prozent gab es die höchste Beteiligung in der Geschichte der tschechischen Präsidentschaftswahlen. (Gerald Schubert aus Prag, 28.1.2023)