Googles Ansehen nimmt durch die Massenkündigungen weiteren Schaden.

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Wenn Unternehmen, die Monat für Monat mehrere Milliarden Dollar an Gewinn einstreifen, im großen Stil Mitarbeiter kündigen, ist das für die breite Masse schwer nachvollziehbar, für die Betroffenen sowieso meist gar nicht. Die Aktienmärkte hingegen lieben es, wenn Kosten reduziert und vermeintliches Fett abgebaut wird. Entsprechend positiv reagierte die Börse denn auch auf die Ankündigung der Google-Mutter Alphabet, sechs Prozent aller Jobs abzubauen – immerhin 12.000 Stellen.

Gab man sich in Hinblick auf die betroffenen Abteilungen zunächst vage, zeichnete sich in den vergangenen Tagen auch in dieser Hinsicht ein Bild. Eines, das eine für manche zunächst wohl überraschende Erkenntnis liefert: Ausgerechnet einige der großen Zukunftsprojekte von Google sind von den Kündigungen besonders stark betroffen.

Fuchsia

So sollen 16 Prozent der bisher rund 400 Fuchsia-Entwickler gekündigt worden sein, weitere Streichungen sind nicht ausgeschlossen, da dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Bei Fuchsia handelt es sich um etwas, das heutzutage zu einer absoluten Seltenheit geworden ist: Ein von Grund auf neu entwickeltes Betriebssystem.

Bei den meisten "Neuentwicklungen" der vergangenen Jahre – darunter auch Googles eigenes Android und Chrome OS – handelt es sich in Wirklichkeit um Linux-basierte Systeme. Fuchsia hingegen nutzt eine komplett andere Softwarebasis und soll damit sowohl flotter als auch sicherer sein. Zudem ist es zwar ebenfalls Open Source, verwendet aber eine Lizenz, die eine kommerzielle Nutzung vereinfacht.

Öffentliche Ziele für Fuchsia hat Google nie definiert, was wiederum externe Spekulationen angefeuert hat. Selbst die Möglichkeit eines kompletten Ersatz für Android brachten dabei manche ins Spiel. Gleichzeitig muss aber auch gesagt werden, dass daraus bisher recht wenig geworden ist.

Schwache Bilanz

Bisher wird das Betriebssystem erst bei einigen smarten Displays von Google selbst eingesetzt, wo der Wechsel auf Fuchsia auch erst nachträglich erfolgt ist. Gerüchteweise soll in den kommenden Monaten aber zumindest das erste Google-Gerät – ein smarter Lautsprecher – direkt mit Fuchsia auf den Markt kommen.

Ganz überraschend sind die Kürzungen rund um Fuchsia aber noch aus einem anderen Grund nicht: Hatte das Projekt doch intern zum Teil den Ruf, ein "Erhaltungsprojekt für namhafte Entwickler" zu sein, also um angesehene Experten in dem Feld davon abzuhalten, Google zu verlassen.

Area 120

Noch deutlich härter hat es die Forschungs- und Entwicklungsabteilung "Area 120" getroffen. Hatte diese in der Vergangenheit typischerweise an rund 20 Projekten gleichzeitig gearbeitet, sollen jetzt nur noch drei davon übrig sein. Die Zahl der verbliebenen Angestellten sei auf rund 100 geschrumpft, und die restlichen Projekte dürften wohl auch früher oder später in andere Google-Abteilungen übergehen. Bei einem der verbliebenen Unterfangen soll es sich übrigens um ein von künstlicher Intelligenz getriebenes Produkt für die "Gen Z" – also eine junge Zielgruppe – handeln.

Vorgeschichte

Auch hier hat sich die Entwicklung allerdings bereits abgezeichnet. Bereits im vergangenen September hatte Google die Hälfte der in der Area 120 laufenden Projekte gestrichen. Die Abteilung verstand sich als eine Art interner Ideen-Inkubator, der mit neuen Konzepten experimentierte. Wie erfolgreich man dabei war, lässt sich nur schwer sagen, da erfolgreiche Projekte üblicherweise in andere Google-Abteilungen integriert wurden.

Nur wenige Details gibt es dazu, wie es mit Googles Hardwareentwicklung weitergeht, ein Bereich, in den das Unternehmen zuletzt stark investiert hatte. Das einerseits mit der Hoffnung ein weiteres finanzielles Standbein aufzubauen, aber auch, um der immer größer werdenden Verbreitung von Apple im Premium-Smartphone-Bereich etwas entgegen zu halten.

Chipentwicklung

Zu diesem Zweck entwickelt Google mittlerweile auch eigene Chips, und hier gibt es dann sehr wohl Informationen. Wie Heise.de entdeckt hat, berichtet mit Paul Scheidt einer der betreffenden Entwickler auf LinkedIn, dass er und praktisch sein gesamtes Team gekündigt wurden. Gemeinsam haben sie am Titan-Sicherheitschip von Google gearbeitet, den das Unternehmen sowohl für Smartphones als auch Chromebooks und sogar auf den eigenen Servern verwendet. Wie es hiermit weiter geht, scheint also unklar.

Keine Art

Viel Kritik gab es in den vergangenen Tagen aber nicht nur an den Kündigungen selbst, sondern auch an der Art, wie sie abgelaufen sind. So berichteten Mitarbeiter davon, dass sie von einem Moment auf den anderen aus internen Systeme ausgesperrt wurden, manche seien sogar vor verschlossener Tür gestanden, weil sie über Nacht verschickte Mails noch nicht gelesen hatten. Zumindest haben die US-Angestellten von Google in dieser Hinsicht bereits Gewissheit, zudem bietet das Unternehmen für US-Verhältnisse relativ großzügige Abfindungen.

Deutlich unsicherer ist die Lage für Google-Angestellte in anderen Ländern, wo die Entscheidung, wer wirklich gehen muss, zum Teil noch nicht gefällt oder zumindest noch nicht bekannt gemacht wurde. Auch gibt sich Google dort mit der Formulierung, dass man sich an "lokale Vorschriften halten werde", wenig konkret in Hinblick auf etwaige Abfindungen.

Kritik

Der Alphabet Workers Union (AWU) ist all das entsprechend zu wenig. Dort fordert man den eigenen Arbeitgeber dazu auf, an den Verhandlungstisch zu kommen, um über zusätzliche Abfindungen zu verhandeln. Immerhin hatte das Unternehmen vergangenes Jahr mehr als genug Geld, um einen großzügigen Aktienrückkauf vorzunehmen.

Zudem kritisiert die AWU die Unterschiede im Umgang mit den Mitarbeitern – und zwar nicht nur in Hinblick auf den jeweiligen Standort der Büros. So sollen auch die Angestellten von anderen Alphabet-Firmen – wie etwa jene von Waymo, die an der Entwicklung von selbstfahrenden Fahrzeugen arbeiten – deutlich schlechtere Abfindungen bekommen als Google-Mitarbeiter. (Andreas Proschofsky, 29.1.2023)