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Niederösterreich verliert seinen Status als schwarzes Kernland. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner bezeichnete das Ergebnis ihrer Volkspartei bei der Landtagswahl am Sonntag als "schmerzlich": Nicht nur hat die Partei wie erwartet die absolute Mehrheit verloren, sie verfehlt – laut dem vorläufigen Endergebnis – auch die 40-Prozent-Marke.

Die ÖVP hat bei der Landtagswahl große Verluste hinnehmen müssen. Die Stimmung im Landtagsklub ist unmittelbar nach der Wahl erwartungsgemäß getrübt.
DER STANDARD

Es sei eine "Protestwelle" über das Land gerollt, "die auch vor den Grenzen Niederösterreichs nicht haltmacht", sagte Mikl-Leitner am Abend. Immerhin sei es aber gelungen, eine (von Anfang an extrem unwahrscheinliche) rot-blaue Koalition zu verhindern. Auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) verwies in St. Pölten auf die Proteststimmung im Land.

Als der schwarze Balken in die Höhe schoss und nicht über 40 Prozent zeigte, war den ÖVP-Funktionären im schwarzen Landtagsklub die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben: Kaum jemand verzog eine Miene. Vereinzelt schlugen sich ÖVP-Mitglieder die Hand vor das Gesicht und schüttelten den Kopf. Den ÖVP-Funktionären im Raum wurde schnell klar: Die bisherige Quasi-Alleinregierung der ÖVP ist beendet.

Mit dem Wahlergebnis geht aufgrund der Kräfteverhältnisse der anderen Parteien auch der Verlust der Mehrheit in der Landesregierung einher. Diese wird ja in Niederösterreich nach dem Proporzsystem besetzt, größere Parteien erhalten ihre Sitze im Gremium gemäß der Stärke im Landtag. Realpolitisch bedeutet das für die ÖVP einen massiven Machtverlust: Zahlreiche Entscheidungen werden per Mehrheitsbeschluss in der Regierung getroffen.

Schwierige Partnersuche

Die Volkspartei wird sich also künftig eine Koalitionspartnerin innerhalb der Regierung suchen müssen, um effektiv regieren zu können – eine höchst ungewohnte und unangenehme Situation für eine Partei, die 20 Jahre lang mit absoluter Mehrheit regiert hat. Im ORF hat Mikl-Leitner angekündigt, mit SPÖ und FPÖ ein Arbeitsübereinkommen schließen zu wollen. Die Freiheitlichen haben das allerdings bereits ausgeschlossen – Mikl-Leitner reagierte, darauf vom STANDARD angesprochen, so: Sie habe nur gehört, dass die FPÖ sie nicht zur Landeshauptfrau wählen wolle. Die inhaltlichen Gespräche hätten noch nicht begonnen.

Johanna Mikl-Leitner und ihre Volkspartei kämpften mit dem historisch schlechtesten Ergebnis in Niederösterreich.
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Freiheitliche feiern

Einen Triumph feierten die Freiheitlichen und ihr Spitzenkandidat Udo Landbauer. Mit knapp einem Viertel der abgegebenen Stimmen erreicht die FPÖ ihr überhaupt bestes Ergebnis in Niederösterreich. Noch dazu haben die Blauen die SPÖ überholt.

Bundeschef Herbert Kickl und Landeschef Udo Landbauer hingegen konnten sich freuen: Ihre FPÖ landete eindeutig und mit großem Abstand auf Platz zwei.
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Das sind auch gute Nachrichten für Herbert Kickl – denn sein Kurs unterscheidet sich kaum von jenem der Landes-FPÖ. Nicht ohne Grund lagen sich die beiden blauen Frontmänner am Wahlabend in den Armen. Landbauer hatte im Wahlkampf etwa die Menschenrechte infrage gestellt und Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation als "Klimaterroristen" bezeichnet.

Als Landbauer, Kickl und Michael Schnedlitz bei der FPÖ-Wahlparty angekündigt werden, wird die vorhin so gedämpfte Menge plötzlich ungehalten und bricht in Jubel aus. Zu "I need a hero" ziehen der Landesparteiobmann, der Bundesparteibmann und der Generalsekretär in den schmucklosen Veranstaltungssaal ein. "Der Absolutismus in Niederösterreich ist beendet", sagt Kickl, "der Wind of Change ist angekommen". Die 39,9 Prozent der ÖVP seien nicht nur das schlechteste Ergebnis der Partei, sondern wohl auch die Fieberkurve von Johanna Mikl-Leitner. Kickl glaubt, dass die Erfolgssträhne der FPÖ bei den kommenden Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg fortgeführt wird: "Dieses war der erste Streich." "Ich bin mehr als überwältigt", sagt Landbauer. Man habe das "System Mikl-Leitner gebrochen".

"Keine Personaldiskussion" bei SP

Schwierige interne Diskussionen stehen der SPÖ bevor. Sie konnte trotz eines Oppositionskurses und des für die Sozialdemokratie günstigen Teuerungsthemas nicht nur nicht zulegen, sie hat sogar ein Minus vor dem Ergebnis, dem schlechtesten in der niederösterreichischen Geschichte. Aus der Landespartei ist zu hören, dass Landeshauptfrau-Stellvertreter Franz Schnabl schlicht kein guter Spitzenkandidat gewesen sei – und auch die Bundespartei nicht geholfen habe. Die Unzufriedenheit mit Parteichefin Pamela Rendi-Wagner an der Basis sei groß – dass die SPÖ in Niederösterreich verloren habe, sei auch ihre Verantwortung.

SPÖ-Kandidat Franz Schnabl hatte am Sonntag wenig Grund zum Feiern.
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Schnabl selbst sagte im ORF, dass seine Partei nun keine Personaldiskussion führen solle. Er selbst wolle an der Spitze der Partei bleiben. Laut Insidern wird der 64-Jährige aber ohnehin keine volle Legislaturperiode mehr an der Spitze der Landespartei stehen. Eine eindeutige Nachfolgerin oder ein eindeutiger Nachfolger sind in Niederösterreichs SPÖ aber nicht in Sicht.

Ihre zwei Plätze in der Landesregierung behalten die Roten, allerdings verlieren sie den Posten des Landeshauptfrau-Stellvertreters. Falls die FPÖ tatsächlich eine Zusammenarbeit mit der ÖVP gänzlich verweigert, ist die SPÖ der automatische Juniorpartner für eine Koalition der Verlierer in Niederösterreich. Das ist, dem schlechten Wahlergebnis zum Trotz, keine schlechte Verhandlungsposition für die Roten.

Freude bei Grünen und Neos

Die Grünen hatten am Sonntagabend Grund zu feiern: Sie gewannen ein Landtagsmandat hinzu und sind somit mit vier Abgeordneten im Landesparlament vertreten – das beschert ihnen den Klubstatus und damit einerseits mehrere Hunderttausend Euro Klubförderung pro Jahr und auch mehr politischen Einfluss in Form des Rechts, Anträge zu stellen, und des Stimmrechts in Ausschüssen.

Grünen-Spitzenkandidatin Helga Krismer und EU-Abgeordneter Thomas Waitz am Wahlabend.
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Ein "weinendes Auge" verspürte Landesparteichefin Helga Krismer angesichts des guten FPÖ-Ergebnisses.

Neos-Spitzenkandidatin Indra Collini freute sich über Zuwachs und feierte mit Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (links) und dem stellvertretenden Klubchef im Parlament, Niki Scherak.
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Die Neos konnten leicht zulegen – allerdings verfehlten sie den Klubstatus. Spitzenkandidatin Indra Collini freute sich dennoch über den Zuwachs. (Sebastian Fellner, Max Stepan, 29.1.2023)