Eine Gruppe junger Bewohnerinnen und Bewohner des Vorarlberger Kleinwalsertals will "Tradition leben" und die hunderte Jahre alte Walser Tracht bewahren. Im STANDARD-Interview mit den Obfrauen der Trachtengruppe Theresia Fritz und Jasmin Riezler gehen wir den Fragen nach, wer eigentlich die Tracht anziehen darf, welche Rollenbilder sie verkörpert und ob es diesen neuen Patriotismus im Tal braucht.

Video: Die Kleinwalsertaler Tracht ist mehrere Hundert Jahre alt. Fast alles sind Erbstücke von Großeltern und Urgroßeltern.
DER STANDARD

STANDARD: Der Spruch auf der Startseite Ihrer Website lautet: "Das Lächeln einer Frau, wenn ein Mann ihr Blumen schenkt, ist eine Garantie, dass diese Tradition zeitlos ist."

Fritz: Schöner Spruch.

STANDARD: Ist das Rollenbild, demzufolge eine Frau vom Mann Blumen geschenkt bekommen will, im Jahr 2023 noch zeitgemäß?

Riezler: Das ist sicher noch ein Klassiker. Das wird heute ja noch so gemacht, aber es ist natürlich kein Muss. Es gibt genug Frauen, die dem Mann einen Antrag machen. Eine Besonderheit der Walser Tracht ist übrigens, dass der Mann den Brautstrauß als Gesteck an seinem Kamisol hat, nicht die Frau. Der Spruch soll einfach ausdrücken, dass unsere Tracht zeitlos ist. Auch wenn die Tracht uralt ist, ist sie 2023 noch aktuell.

Jasmin Riezler (links) und Theresia Fritz (rechts) sind seit letztem Jahr die Obfrauen der Trachtengruppe Kleinwalsertal.
Foto: Stefan Klauser

STANDARD: Ist Tracht bei den Jungen im Kleinwalsertal wieder modern?

Fritz: Es war uns wichtig, beispielsweise auf unserer Website, nicht das klassische Bild von Tracht zu vermitteln, sondern das Thema ein bisschen lebhafter zu gestalten. Wir haben derzeit 36 Mitglieder, und der Großteil davon ist in den 20ern, einige neue Mitglieder sind auch jünger. Die Tracht ist unser Alleinstellungsmerkmal im Kleinwalsertal. Sie ist mehrere hundert Jahre alt, fast alles, was wir tragen, sind Erbstücke von unseren Großeltern und Urgroßeltern. Es macht uns stolz, die Tradition bewahren zu können.

Riezler: Wenn man die Walser Tracht anzieht, ist das ein Ritual. Besonders bei den neuen Mitgliedern ist das immer sehr schön anzusehen: Sobald sie die Tracht anhaben, bewegen sie sich ganz anders. Mit der Tracht wird unser Heimatgefühl verstärkt, mit ihr haben wir etwas Eigenes, etwas Besonderes.

STANDARD: Das Kleinwalsertal, als funktionale Enklave nur über Deutschland erreichbar, hat häufig mit dem Vorwurf zu kämpfen, nicht wirklich zu Vorarlberg oder gar zu Österreich zu gehören. Sind die Fragen nach Identität und Heimat hier deshalb besonders wichtig?

Riezler: Ich würde sagen, ja. Die Frage lautet immer: Was sind wir eigentlich? Österreicher oder Deutsche? Die Antwort ist: Walser. Durch die Nähe zu Deutschland leben wir sehr grenzübergreifend, fühlen uns Österreich aber trotzdem sehr verbunden. Deshalb haben wir die Tracht über die Jahre auch bewahrt. Mit ihr weiß man, wo man hingehört.

Die Trachtengruppe hat derzeit 36 Mitglieder. Die meisten davon sind in ihren 20ern, einige auch jünger.
Foto: Stefan Klauser

STANDARD: Oft rebelliert man in der Jugend gegen das Elternhaus und die eigene Heimat und sucht bewusst Dinge, um sich davon abzugrenzen. Mangelt es im Kleinwalsertal an Möglichkeiten zur Abgrenzung?

Riezler: Das glaube ich nicht. Klar, es gibt sicher ein gewisses Alter, in dem man rausgeht und Konzerte und Musik wichtig sind. Aber danach besinnt man sich oft wieder. Es gibt ganz viele, die in Deutschland die Schule besuchen und mehr Input als nur das Kleinwalsertal haben. Viele kommen nach dem Studium wieder zurück.

Fritz: Ich war selbst schon öfters weg und habe etwas von der Welt gesehen. Man hat aber immer wieder Heimweh nach dem Walsertal gekriegt. Wir leben hier ja im Luxus. Man schnallt die Skier an, hat den Lift vor dem Haus und die Freunde Tür an Tür. Wo sonst hat man das?

Die Kleinwalsertaler Tracht war bis in die 1890er-Jahre Alltagskleidung im Tal.
Foto: Stefan Klauser

STANDARD: Auf der Website werden häufig die Worte "Heimatliebe" und "Heimatstolz". verwendet. Sind Sie patriotisch?

Fritz: Könnte ich dir nicht in einem Satz beantworten. Wir verbinden mit diesen Worten nicht zwingend Patriotismus.

STANDARD: Was verbinden Sie mit den Worten?

Fritz: Liebe für die Heimat, aber nicht zwingend Patriotismus.

STANDARD: Die Begriffe "Heimat", "Herkunft" und "Tradition" werden von manchen Parteien benutzt, um Ausländerfeindlichkeit und Ausgrenzung zu schüren. Sehen Sie die Begriffe kritisch?

Fritz: Die Worte "Heimatliebe" oder "Heimatverbundenheit" muss man sicher auch kritisch betrachten, weil sie oftmals für etwas benutzt werden, hinter dem wir nicht stehen.

Riezler: In unseren Musikkapellen spielen zum Beispiel nicht nur Österreicher. Da gibt es auch ganz viele Deutsche oder Italiener. Andere Nationen sind also natürlich willkommen.

Jasmin Riezler erzählt, dass man sich im Kleinwalsertal häufig mit der Frage "Was sind wir eigentlich: Österreicher oder Deutsche?" konfrontiert sieht. Die Antwort sei stets "Walser".
Foto: Stefan Klauser

STANDARD: Sind sie auch bei der Trachtengruppe willkommen?

Riezler: Wer die Tracht anziehen darf und wer nicht, war schon öfters Thema. Früher hat man gesagt "nur Originale". Da hat sich das Weltbild aber ein bisschen gewandelt. Wenn jemand, der zugezogen ist, schon lange hier wohnt und sagt: "Hey, ich fühle mich auch als Walser", und sich dann eine Tracht machen lässt, dann ist der auch willkommen. Niemand sagt: "Du bist aus Deutschland oder Italien und hast hier nichts verloren."

Fritz: Auch ist es bei der Tracht der Trachtengruppe ein bisschen schwieriger, sie ist ja historisch, das sind fast alles Erbstücke. Vieles kann man heute nicht mehr so einfach herstellen, und wenn doch, ist es sehr teuer.

STANDARD: Dürfte der polnische Gastarbeiter, der seit Jahren hier im Tal lebt und arbeitet, Teil der Trachtengruppe werden?

Riezler: Unter der Voraussetzung, dass er die Tracht hat, ja.

Fritz: Außerdem gibt es gewisse Aufnahmekriterien, wir können nicht jeden nehmen. Er muss auch Interesse an der Kultur hier haben, sonst wird's schwierig, ihm das beizubringen.

STANDARD: Woran machen Sie dieses Interesse fest? Wer beurteilt das?

Fritz: Der Vorstand. Aber man merkt ja relativ schnell, ob sich jemand integrieren will im Kleinwalsertal, Interesse hat, die Sprache zu lernen und die Kultur kennenzulernen. Wir wollen auf jeden Fall auch beständige und längerfristige Mitglieder. Das wird für einen Saisonarbeiter eher schwierig.

Wer die Tracht anziehen darf, sei schon öfters Thema gewesen. Mittlerweile dürften nicht mehr nur "Originale" die Tracht tragen, sagen die beiden Obfrauen.
Foto: Stefan Klauser

STANDARD: Sind Sie politisch?

Fritz: In gewissem Maße. Wir setzen uns für die Tracht ein und wollen, dass das Erbe erhalten bleibt. Abseits der Tracht würden wir uns nicht als politische Personen bezeichnen.

STANDARD: Als Ex-Kanzler Sebastian Kurz nach dem Lockdown 2020 das Tal besuchte, haben ihn etliche Menschen in Tracht willkommen geheißen. War die Trachtengruppe auch dabei?

Fritz: Nein, damit hatten wir nichts zu tun.

STANDARD: Sind Sie Feministinnen?

Fritz und Riezler: Ja, würden wir schon sagen.

STANDARD: Wollen Sie am Weltfrauentag Blumen geschenkt bekommen?

Fritz: Ich möchte weder am Weltfrauentag noch am Valentinstag Blumen bekommen. Mir ist es viel lieber, wenn mir im Sommer mein Mann, wenn er gerade mit den Kindern auf der Alm oben war, einen Alpenrosenstrauß mitbringt. Darüber freue ich mich mehr als über einen Blumenstrauß von der Tankstelle. Ich glaube, da ticken wir Frauen hier anders. (Viktoria Kirner, 7.2.2023)

Mit den Worten "Heimatliebe" und "Heimatstolz" verbinde man nicht zwingend Patriotismus, sagen die beiden Co-Obfrauen.
Foto: Stefan Klauser