So sehr die ÖVP auch am Proporzsystem festhält, in ihrer jetzigen Situation spielt ihr die Konzentrationsregierung nicht in die Hände. Denn die niederösterreichische Landesregierung wird nicht frei verhandelt, sondern nach Parteistärke besetzt – die Regierungskonstellation stand am Sonntag bereits nach der ersten Hochrechnung fest.

Die Regierungssitze werden gemäß der Stimmenanzahl proportional aufgeteilt, eine Koalitionsbildung gibt es nicht. Daher die schlechte Nachricht für Johanna Mikl-Leitner und ihr Team: Die Rekordniederlage in Niederösterreich und der Verlust der Absoluten in der Landesregierung bedeutet für die ÖVP, dass sie nun einen Verbündeten braucht. Vor der Wahl stellte sie noch sechs von neun Landesräten, jetzt sind es nur mehr vier.

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DER STANDARD

Als kleinen Trost kann die Volkspartei zumindest neben den vier Regierungsposten auch die Funktion des Landesvizes für sich beanspruchen. Dieser steht verfassungsgemäß den beiden mandatsstärksten Parteien zu. Auch die FPÖ hat sich durch das Erringen des zweiten Platzes einen Landeschefstellvertreter gesichert. Der SPÖ unter Franz Schnabl ist durch den dritten Platz dieser Posten verlorengegangen.

Johanna Mikl-Leitner muss sich entscheiden: Sie braucht zumindest SPÖ oder FPÖ für die Mehrheit. Mit beiden kann sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen.
Foto: APA/ Roland Schlager

Wer am Ende den Posten des Landesoberhauptes übernimmt, bestimmt der Landtag in seiner konstituierenden Sitzung. Mit einfacher Mehrheit entscheiden die Abgeordneten die Person an der künftigen Regierungsspitze. Die Zeichen stehen darauf, dass Mikl-Leitner weiterhin Landeshauptfrau bleiben wird. Rot-Blau besitzt zwar eine Mehrheit in der Landesregierung, aber mit 26 von 56 Mandaten nicht im Landtag – eine Mehrheit gegen die ÖVP würde daher zumindest drei Parteien benötigen.

Durch den Verlust der Absoluten im Landtag und in der Regierung muss sich die Volkspartei zumindest mit SPÖ oder FPÖ auf ein Arbeitsübereinkommen einigen – für Gesetzesbeschlüsse braucht es eine Mehrheit im Landtag und in der Landesregierung. Ähnlich wie bei einem Regierungsprogramm handelt es sich bei einem Arbeitsübereinkommen um eine Vereinbarung über gemeinsame Vorhaben, die die Regierungspartner anstreben wollen.

Gerade im Proporzsystem ist so ein Übereinkommen aber nicht zwingend notwendig. Die Regierungssitze sind ohnehin durch das Wahlergebnis abgesichert. So formulierte etwa Schnabl öfter vor der Wahl, sich jeweils flexibel im Landtag für politische Vorhaben entscheiden zu wollen.

Landbauer will Landeschefposten

Mikl-Leitner kann sich jedenfalls vorstellen, eine Zusammenarbeit mit beiden Parteien zu vereinbaren. Die FPÖ sieht das anders. Die Freiheitlichen unter Udo Landbauer machten bereits deutlich, dass sie Mikl-Leitner nicht zur Landeshauptfrau wählen wollen. Sie stellen selbst den Anspruch auf das Amt des Landeshauptmanns. Eine Zusammenarbeit mit der ÖVP schließen sie dennoch nicht aus.

Will die FPÖ aktive Regierungsarbeit im Land betreiben, wird den Blauen ohnehin nichts anderes übrigbleiben, als mit der ÖVP zusammenzuarbeiten. Allein schon deshalb, weil für die Verteilung der Zuständigkeiten ein Mehrheitsbeschluss notwendig ist. Wollen die Freiheitlichen also mit ihren künftig drei Landesräten nicht nur für Tierschutz, Campingplätze und Straßenbeleuchtung zuständig sein, brauchen sie eine Übereinkunft mit der Volkspartei.

Die niederösterreichische Regierungsführung wird die ÖVP aber nicht ohne weiteres an die FPÖ übergeben. Auch hat Mikl-Leitner klargemacht, dass sie in Zukunft Landeshauptfrau bleiben will. In der Situation würde der ÖVP noch immer die Option eines Arbeitsübereinkommens mit den Sozialdemokraten bleiben, die weiterhin zwei Landesratsposten besetzen.

Mögliche Schnittstellen

Ähnlichkeiten bei den Vorhaben für die Legislaturperiode finden sich bei beiden potenziellen Regierungspartnern. Schnittstellen zwischen ÖVP und SPÖ gibt es etwa bei der Kinderbetreuung. Beide sind für eine Senkung des Kindergartenalters und der Ausweitung der Betreuungsstätten. Auch beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs verfolgt Schwarz-Rot eine ähnliche Linie.

Beim Thema Asyl könnte sich Schwarz-Blau einig werden. Auch bei der Beibehaltung des Proporzes und dem Forcieren etwaiger Straßenprojekte, etwa dem Bau des Lobau-Tunnels und der Marchfelder Schnellstraße, sind ÖVP und FPÖ auf dem gleichen Kurs. Ein Arbeitsübereinkommen zwischen ÖVP und Neos oder Grünen hätte zwar eine Mehrheit im Landtag, jedoch nicht in der Landesregierung, da die Kleinparteien keinen Landesrat stellen. Die Variante ist daher keine Option für die Volkspartei.

Während sich nun die Frage stellt, mit welcher Partei die ÖVP ein Arbeitsübereinkommen eingehen will, ist die Option einer rot-blauen Koalition kein Thema mehr. Würde Schnabl oder Landbauer zur Wahl als Landeschef stehen, müssten nicht nur SPÖ und FPÖ mitziehen, sondern auch entweder Grüne oder Neos. Die beiden Kleinparteien haben einen FPÖ-Landeshauptmann bereits ausgeschlossen, eine Zustimmung zu einer SPÖ-Regierungsspitze ließen Helga Krismer (Grüne) und Indra Collini (Neos) bislang offen.

Der weitere Fahrplan

Der ÖVP bleibt noch etwas Zeit, sich für einen Partner zu entscheiden. Laut Landesverfassung muss die konstituierende Sitzung des Landtags spätestens acht Wochen nach der Wahl erfolgen. Nach der letzten Landtagswahl 2018, die ebenfalls Ende Jänner stattfand, wurde die Sitzung erst Ende März abgehalten.

Wenn sich der neue Landtag zur ersten Sitzung im Landhaus in St. Pölten trifft und die Abgeordneten ihre neuen Plätze beziehen, steht auf der Tagesordnung zunächst die Angelobung der 56 Mandatare, danach folgt die Wahl der drei Landtagspräsidenten. Nachdem auch die Mitglieder der Regierung mit einfacher Mehrheit gewählt sind, steht das Landesoberhaupt zur Wahl. Den Abschluss macht eine Regierungserklärung, dann stehen das Landesparlament und die Regierung bis zur nächsten Wahl im Jahr 2028 fest.

Neben der Gesetzgebung des Landes bestimmt der neu gewählte Landtag unter anderem das Landesbudget und übernimmt die Kontrolle der Landesregierung. (Max Stepan, 30.1.2023)