Philip Pauer hat ganz besondere Nutztiere: Bis zu einer Milliarde Maden wuseln in einem speziellen Klima-Raum in den aufbereiteten Lebensmittelresten.

Foto: Wolfgang Simlinger

Pralles Leben im Gatsch.

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Für das große Krabbeln braucht es nicht zwingend grüne Wiesen. Im oberösterreichischen Wels direkt im Industriegebiet des ÖBB-Terminals sorgt seit gut zwei Jahren das Unternehmen Reploid Value Solutions GmbH für entsprechendes Gesummse und Gebrummse inmitten des Lärms internationaler Verladetätigkeiten.

In dem auf den ersten Blick unscheinbaren Bürokomplex verbirgt sich ein – zumindest in Österreich einzigartiges – Projekt, das einen völligen neuen Zugang im Umgang mit Lebensmittelresten ermöglicht. Philip Pauer, ein gelernter Polizist und nach absolviertem FH Studium zuletzt in der Finanzdienstleisterbranche aktiv, ist mit Beginn der Corona-Pandemie auf die Made gekommen. "Das Thema Lebensmittel verschwendung hat mich schon länger beschäftigt. Und irgendwann war dann die Idee geboren, mir die Eigenschaften der Insekten zunutze zu machen und ein Start-up zu gründen", erzählt Pauer.

Gesunde Jause

Tatsächlich ist es dem Jungunternehmer mit Krabbelviechervorliebe gelungen, eine funktionierende Kreislaufwirtschaft auf die Beine zu stellen. "Wir nehmen unseren Kunden entsprechend große Mengen an unterschiedlichen Lebensmittelresten der Kategorie 2 – Brot, Gemüse, Obst, aber kein Fleisch – ab. Die Reste werden bei uns dann geschreddert und vorgetrocknet und sind so die Mastgrundlage für unsere Maden."

Wobei: Der Kreislauf beginnt eigentlich schon weit vor der Anlieferung der Lebensmittelreststoffe. Neben knapp 40 Mitarbeitern sind es vor allem tausende sogenannte Schwarze Soldatenfliegen, die die eigentliche Basis für das innovative Nachhaltigkeitskonzept bilden. Die "black soldier fly" aus der Familie der Waffenfliegen sieht reichlich unspektakulär aus. Und doch hat sie spannende Eigenschaften: In ihrem ausgewachsenen, geflügelten Stadium nimmt die Fliege keine Nahrung mehr zu sich. Ordentlich gefressen wird hingegen im jüngeren, wurmartigen Larvenstadium – mit großer Vorliebe Obst und Gemüse. Einmal dick und fett, sind die Maden dann eine hervorragende Proteinquelle. Diese Eigenschaften machen die Fliege zu einem beliebten Projektpartner im Bereich der biologischen Abfallverarbeitungstechnologie.

In Wels surren tausende Soldatenfliegen in großen Netzkäfigen. Die Nähe zueinander im Netz sorgt für fliegende Liebe. Nach der Paarung legen die Weibchen bis zu 1200 Eier ab. Während die Fliegen nach dem Liebesakt rasch sterben und in Wels nach der Trocknung zu reinem Chitin verarbeitet werden, wird der Nachwuchs gehegt und gepflegt. Sind die Maden geschlüpft, kann das große Fressen beginnen. "Drei Prozent der Eier sind Lucky Winners, diese Maden werden wieder zur Fliege. 97 Prozent kommen in den Verarbeitungsprozess."

Heißhunger

Philip Pauer öffnet die Tür einer großen Lagerhalle. Darin befindet sich das eigentliche Herzstück der Produktion: eine spezielle Klimakammer. Gearbeitet wird nach strengsten Kriterien der Lebensmittelproduktion – und vollautomatisiert. Insektenfarmer Pauer öffnet die Türe der Klimakammer, und es weht dem Besucher eine Mischung aus extrem warmer Luft und beißendem Ammoniakgeruch entgegen. "Die Maden lieben die Hitze. Ab 30 Grad kriegen die so richtig Hunger." Die gewöhnungsbedürftige Duftnote ist der Harnsäure der Maden geschuldet.

Das wahre Leben spielt sich in dem klimatisierten Raum in unzähligen roten Kisten ab. Jede Box wird von rund 40.000 Maden bevölkert. Philip Pauer streift den schwarzen Latexhandschuh über und fährt mit der Hand in das Habitat aus zermatschten Lebensmittelresten. Rund 50 Grad hat es im Kompost – und der Anblick ist nichts für Menschen mit Entomophobie. "Die Maden haben kein Hirn und verfolgen nur ein Ziel: Fressen." Und es gibt genug: "Wenn die Halle voll ist, sind 20 Tonnen Futtermittel herinnen", erläutert Pauer.

Nach rund sechs Tagen ist aber dann selbst im Madenparadies Schluss mit lustig. Der überwiegende Teil des Biobuffets ist verspeist, die Larven werden inaktiviert. Pauer: "Die Made hat kein zentrales Nervensystem und spürt dabei nichts." In einem nächsten Schritt werden die Maden dann vom Dung getrennt. Dieser wird künftig – aktuell stehen noch die letzten Genehmigungsschritte für einen Weiterverkauf an – als hochwertiger Pflanzendünger angeboten. Die Maden selbst werden zu Tierfuttermitteln, hochwertigen Ölen und Fetten verarbeitet.

Bio-Pommes

Investiert wurden am Standort in Wels bisher etwa 2,5 Millionen Euro. Doch Pauer plant bereits den weiteren Ausbau. Bis 2024 soll hier Europas größte Insektenfarm entstehen: "100 Tonnen an Lebensmitteln können wir dann täglich verarbeiten."

Nicht ins Auge gefasst hat Pauer übrigens den Lebensmittelhandel: "Zumindest im Moment nicht. Es ist unseren Breiten auch ein anderer Zugang. Da überwiegt doch noch der Ekel. Aber es werden verschiedene Arten von Insekten künftig eine Alternative darstellen." Insekten seien "ein Teil einer Lösung, aber sicher nicht die Komplettlösung".

Ob er jemals selbst Ekel vor den eigenen madigen Produkten verspürt habe? Pauer: "Nein. Auch meine kleinen Kinder sagen ‚Papa, die riechen wie Pommes‘." (Markus Rohrhofer, 31.1.2023)