Tom Hanks, der 2022 viel Kritik für seine Darstellungen in "Pinocchio" und "Elvis" aushalten musste, gibt in der Romanverfilmung "Ein Mann namens Otto" ein Ekel vor dem Herrn.

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Tom Hanks war irgendwie schon alt, als er noch jung an Jahren war. Inzwischen geht er auf die siebzig zu und arbeitet an einer zeitlosen Charaktervisage, mit der er locker auf die hundert losgehen kann. Dass er einmal "eine Jungfrau am Haken" gehabt haben könnte (in einem Film mit Daryl Hannah im Jahr 1984), würde man heute nicht mehr vermuten.

In gewisser Weise hat er mit seinem Altern vor allem seine Stimme eingeholt: Er hat immer schon mehr geknurrt als gesprochen. Nun hat er eine Rolle gefunden, die sein Image perfekt auf den aktuellen Stand bringt: Ein Mann namens Otto. Ein Misanthrop, wie er im Buche steht, konkret in einem Roman von Fredrick Backman aus dem Jahr 2012 (dort heißt Otto Ove), der auch in Schweden schon sehr erfolgreich verfilmt und nun von Marc Forster für den amerikanischen Weltmarkt noch einmal neu aufgestellt wurde.

Unausstehlich rechthaberisch

Otto ist ein Ekel vor dem Herrn, ein Pedant, naturgemäß alleinstehend, denn die Unterwürfigkeit, die er sich erwarten würde, müsste an Unsichtbarkeit grenzen. Schließlich bringt man schon mit den geringsten Kleinigkeiten sein penibel geordnetes Leben durcheinander. Otto müsste am besten in einem einsamen Haus im Wald leben, aber dort würde er in seiner Miselsucht verkommen. Er muss aber reformiert werden. Das geht nur durch Sozialleben. Passenderweise lebt er in einer Siedlung, die ihn jeden Tag an das menschliche Maß erinnert: in einem Reihenhaus in der Nähe von Pittsburgh, das schon durch seine Architektur verkündet, dass niemand eine Insel ist oder niemand eine Ausnahme. Auch nicht der grimmigste Eigenbrötler, auch nicht Otto, der mit den Nachbarn nur das zu tun haben will, was er ihnen am Zeug flicken kann.

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Ein Mann namens Otto ist eine Erlösungsgeschichte, die dem Muster des Weihnachtsklassikers von Charles Dickens folgt: Bei Ebenezer Scrooge ist Geiz die vorherrschende negative Eigenschaft, bei Otto Anderson ist es Rechthaberei. Er will von den Menschen nichts mehr wissen, vom Leben allgemein nicht.

Die Familie von nebenan

In der ersten Szene wird er in die Pension entlassen, er hat auch schon konkrete Pläne für den Ruhestand (sie haben mit einem Haken in der Decke und mit einem Seil zu tun). Das Schicksal aber hat Besseres mit ihm vor: Nebenan zieht eine Familie ein, die gleich einmal etwas Feines zum Essen vorbeibringt und auch insgesamt Anstalten zu guter Nachbarschaft macht. Marisol bringt auch etwas mit, was Otto aus der Reserve locken kann: Sie stellt sich bei manchen Sachen, zum Beispiel beim Autofahren, nicht sonderlich geschickt an.

Wenn Otto etwas noch weniger ausstehen kann als andere Menschen, dann sind das inkompetente andere Menschen. Er muss da einfach eingreifen, und damit ist er schon verstrickt in eine Mitmenschlichkeit, die hier auch mit typischen Facetten amerikanischen Gemeinsinns verbunden wird. Marisol mit ihrer Latino-Familie steht dem amerikanischen Schweden Otto eben nicht gegenüber, sondern zur Seite.

Entschärfte Sentimentalität

Das eine oder andere nationale Klischee schwingt da im Hintergrund noch mit, das ist aber geläufige Typologie und wird Schritt für Schritt auf eine allgemeinere Ebene gehoben. Ein Mann namens Otto folgt dabei auch einer analytischen Dramaturgie, die Geheimnisse in Ottos Vergangenheit, die ihn erst so versteinern ließen, werden allmählich aufgedeckt. Ein paar Farbtupfer aus dem modernen Dasein werden der betont altmodischen Lebenswelt auch noch hinzugefügt: Eine Social-Media-Reporterin vollzieht im Kleinen die gleiche Bewegung wie Otto, sie wirkt anfangs ganz und gar unmöglich, bekommt dann aber noch eine wichtige Funktion.

Tom Hanks gelingt es, die sentimentale Tendenz des Films halbwegs zu entschärfen. Ein Mann namens Otto versucht, an ein Hollywood-Kino anzuschließen, das eigentlich längst aus der Zeit gefallen ist: an einen Zusammenhalt, in dem ein älterer männlicher weißer Star den Vorsitz führt, weil er einem Starsystem entstammt, in dem das immer schon so war. (Bert Rebhandl, 31.1.2023)