Eigentlich hätte das eine einfache Geschichte werden sollen: Im Dezember klopfte die PR-Agentur der Sportuhrenmarke Suunto an. Das aktuelle Flaggschiff der Finnen, die Suunto 9 Peak Pro, läge bereit. "Lust, sie zu testen?"

No-na: Auch wenn es in Sachen "echte" Sportfunktionalität bei Sporttrackern kaum wirklich bahnbrechende Neuigkeiten gibt, sind die kleinen Innovationen, mit denen Hersteller Marktanteile zu gewinnen versuchen, immer interessant.

Foto: Suunto

Außerdem ist Suunto als Marke spannend. Denn die – neben Polar – zweite große finnische Sportuhrenmarke galt jahre-, wenn nicht jahrzehntelang als erste Wahl derer, die sich primär im "freien Gelände" bewegen: Tauchen, Bergsteigen, Trail, Skitouren – bewusst vereinfacht und pauschal formuliert "gehörte" diese Welt dem 1936 gegründeten Unternehmen.

Für "zivilisiertes" Laufen und allgemeine Fitness stand dagegen Polar: 1977 hatte ein gewisser Seppo Säynäjäkangas Möglichkeiten gesucht (und gefunden), Puls und Herzschlag nicht nur stationär, sondern auch mobil zu messen. Und Garmin? 1989 in Kansas gegründet, ging es dort zunächst um Boots- und Schiffsnavigationssysteme – im Ausdauersport relevant wurde man erst später.

Was historisch wichtig ist: Jede Marke entwickelte zu ihren Hauptprodukten Nebenzeugs. Sensoren, Sonden oder auch Waagen.

Oft kommunizierten diese Teile nur im jeweils eigenen Markenuniversum: Wer Zusatzprodukte brauchte, blieb also der Brand treu. Na ja: Die meisten empfanden das nicht als Geiselhaft, sondern "bekannten" sich zu "ihrer" Marke. Und sind in diesem ihrem sogenannten "Ökosystem" glücklich. Oft bis heute.

Foto: Tom Rottenberg

Das gilt und galt auch für mich: Meine erste Laufuhr hieß Polar. Sie maß Herzschläge per Brustgurt. Eine klobige, AA-Batterie-betriebene Fußsonde maß Distanzen und damit Geschwindigkeiten. In etwa halt: Das Teil musste man ständig auf genormten Strecken kalibrieren. Änderte sich der Boden oder die Schrittlänge, war das hinfällig. Damals war das dennoch Raketentechnik.

Dann wurde die Fußsonde kleiner, aber zunächst nicht viel genauer. Danach kam ein knödelgroßes Trumm für den Oberarm: ein externer GPS-Sensor. Batterielaufzeit (auch mit guten Einwegteilen): kurz. Trotzdem ein Quantensprung. Auf Ebay oder Willhaben findet man die Dinger sogar noch.

Andere Hersteller entwickelten bald darauf erste Handgelenkspulsmesser – Polar aber blieb dem Brustgurt lange – heute weiß man: zu lange – treu.

Was aber in dieser Geschichtet wichtiger ist: Polar-Geräte "plauderten" meist in einer eigenen Sprache miteinander. "Wind" hieß dieses Protokoll.

Und: Das Auswerten der Daten am Computer lief nur via PC. Apple-User, hieß es, sollten eben eine PC-Oberfläche auf ihren Rechnern simulieren oder umsteigen.

Foto: Screenshot: Willhaben

Ich war sauer. Und borgte mir eine Suunto aus. Oder war es schon eine Garmin? Egal: Die Uhr kommunizierte mit meinem Mac – aber halt nicht mit den Sensoren, mit denen ich Puls und Schritte, am Rad auch Kurbelumdrehungen und Geschwindigkeit auslas. Ärgerlich.

Ich war da nicht allein – und es ging nicht nur um Polar: Mein Laufkumpel Mikkel erzählt gerne von seinem Nike-Fußpod. Der war am Schuh montiert.

Die Daten konnte man – Mikkel sagt "ausschließlich" – über einen iPod übertragen und auslesen. Man war also gleich in zwei Ökosystemen verhaftete: Nike und Apple.

Heute lachen wir drüber: "Man musste eine genau ausgemessene 100- oder 200-Meter-Strecke laufen und das Ding kalibrieren. Dann konntest du Kilometer sammeln. Ohne GPS, ohne Streckenanzeige." Das gab es damals nicht. Trotzdem, "es war total motivierend". Der Nebeneffekt: Markenbindung. Man kam aus dem Ökosystem nicht raus.

Foto: Joen Mikkel Simonsen

Was all das mit der Suunto-Testuhr zu tun hat? Auf den ersten Blick wenig – auf den zweiten einiges: Heute sind optische Pulsmessung und (für den Normalgebrauch) eine mehr als ausreichend präzise GPS-Messung schon in der günstigsten Smart- oder Sportuhr Standard. Die Geräte kommunizieren einheitlich über Bluetooth und WiFi, aber auch das Sport-Sonden-Protokoll "ANT+" mit Smartphones – und untereinander: Diese Form der Geiselhaft (das ist Ansichtssache) qua Peripheriegeräte ist also vorbei.

Heute geht das anders: statt über die Hardware via Online-An- und -Einbindung.

Aus Kunden- und Kundinnensicht mitunter ärgerlich – aus der Unternehmensperspektive aber mehr als nachvollziehbar: Man will das Volk ja bei sich behalten.

Foto: Tom Rottenberg

Schauen wir aber kurz auf die Peak 9 Pro. Die ist ein mehr als nur brauchbarer, ein sehr guter Trainingstracker. Sie kann weit mehr, als Durchschnittsuserinnen und -user je brauchen. Kennt – gefühlt – eine Million Sportarten. Ist einfach und intuitiv bedienbar. Das GPS ist präzise und der Akku stark genug für wohl 99 Prozent des sportlichen Alltagsgebrauchs.

Navigieren? Geht auch. Nicht mit "echten" Landkarten, aber mit Pfeilen und sogenannten "Breadcrumbs" – so wie die meisten Mitbewerber in der 500-Euro-Preisklasse.

Mit dem Handy verbunden kommen Nachrichten gut lesbar an, Musik-Apps am Smartphone lassen sich steuern. Und das Hochladen der Tracks flutscht klaglos. Die Uhr schaut gut aus, ist nicht zu klobig oder schwer für schmale (Frauen-)Arme. Die Suunto-App spielt ebenfalls alle Stückln, die man von einer Sportuhren-App erwartet, und die Verbindung zu externen Trainings-, Navigations- oder Tracking-Apps wie "Strava", "Komoot" oder "Trainingpeaks" läuft klaglos.

Kurz: eine tolle Uhr. Am Stand von Zeit und Technik.

Foto: Tom Rottenberg

Mein "Aber" ist daher rein subjektiv und geschmäcklerisch. Fußt auf persönlichen Vorlieben und Gewohnheiten: Die hohe, gerade Kante der Lunette wäre bei mir in steter Dellengefahr – manche Leute lieben genau dieses Designdetail. Dass Suunto nur eine App, aber keine Web-Plattform anbietet, irritiert mich – andere finden es übersichtlich.

Die für mich relevanten "Killer"-Features meiner privat genutzten Garmin Epic 2 – Garmin Pay, Musik direkt von der Uhr und ein Display, das meinen schwächelnden Augen schmeichelt – sind keine Sport- sondern reine Lifestyle-Funktionen: das ist bezeichnend.

Aber vor allem: Es hält mich im Garmin-Ökosystem.

Denn Garmin-Connect (die App- und Web-Homebase von Garmin) kann grafisch – wieder: streng subjektiv – weder mit der Suunto- noch der Polar-App mithalten.

Dafür ist Connect in meinen Augen funktioneller, weil man Werte dort auch korrigieren kann.

Aber wichtiger: Ich bin den Umgang gewohnt, bin in diesem "Ökosystem" also heimisch.

Foto: Tom Rottenberg

Außerdem gibt es hier – so wie bei allen Hersteller-Apps – "Communityfunktionen". "Social" ist ein Grund zum Bleiben: Der Bruder einer Freundin lädt mich seit Jahren monatlich zu "Challenges" ein. Wir haben einander seit Jahren nicht gesehen – aber wenn da "Gerhard hat Sie gerade von der Spitze verdrängt" steht, setze ich mich einen Tick motivierter aufs Rad. Kindisch? Ja eh – aber: Na und?

Klar ginge das auch auf "Strava" oder einer anderen "offenen" Plattform.

Aber um dorthin zu kommen, müssen meine Werte dennoch zuerst auf die Hersteller-Plattform.

Für Normalanwenderinnen und -anwender ist das automatische Synchronisieren ihrer Daten von der Uhr weg ein Stück Komfort. Und egal ob Strava oder nicht: Auf Hersteller-Apps (aller Marken) kann man heute nicht nur Sportarten direkt und detailreich auswerten und vergleichen, sondern auch mit Werten der Waage (aus dem jeweiligen Ökosystem versteht sich) oder Schlaf- und Zyklusinterpretationen verbinden.

Klar: Das geht auch über Drittanbieter. Aber abgesehen davon, dass die Daten auch dafür zuerst auf eine Hersteller-Primärplattform müssen, bedeutet das oft neben Mühe und dem Bedienen der mutmaßlich nächsten Datenkrake oft noch etwas: Kosten.

Foto: Tom Rottenberg

Und da ist noch etwas: Radfahren. Mit der Suunto-Uhr kann ich, wie mit praktisch jeder Sportuhr, natürlich auch Radfahren "tracken". Sensoren (Wattmesspedale, Speedmeter oder Trittfrequenz …) versteht sie. Auch Programme, mit denen ich auf meinem Indoor-Trainer Intervalle und Ähnliches fahre.

Nur kann ein "echter" Radcomputer noch etwas: navigieren – auf einem richtig großen und übersichtlichen Display.

Suunto stellt keine Fahrradcomputer her: Da fehlt also etwas ganz Zentrales im "Ökosystem". Zumindest dann, wenn man all diese Daten beisammenhaben will – und nicht mit dem Handy als Navi am Lenker unterwegs sein möchte: Das geht natürlich auch – ist aber eine grundsätzlich andere Geschichte.

Foto: Tom Rottenberg

Bei Suunto überlegte man sich also etwas. Und tat sich mit "Hammerhead" zusammen. Hammerhead ist seit dem Vorjahr so was wie der "heiße Scheiß" in der rein aufs Radfahren fokussierten Community. Von New York aus wird sehr selbstbewusst behauptet, dass man die besten Radcomputer der Welt herstelle. Man arbeitet mit etlichen Profi-Teams zusammen, hat eine coole Kommunikationslinie – und bietet Leuten, die umsteigen, "Ablöserabatte" für ihre alten Radcomputer an.

Hammerhead hat keine Sportuhren – Suunto keine Radcomputer. Was lag näher, als die Kräfte zu bündeln – und Hammerheald-Daten auf die Suunto-App zu lassen.

Ein neues Ökosystem! Halleluja!

Foto: Tom Rottenberg

Die PR-Leute von Hammerhead waren erfreut, als ich sie anschrieb. Wenige Tage später kam der "Karoo 2". Ein – erwartungsgemäß – wirklich geiles Teil: intuitiv-deppensichere Bedienung, ein widerstandsfähiges und (so sagen andere Tester, ich war bisher warmduscher-winterbedingt nicht draußen unterwegs) in gleißendem Sonnenlicht gut lesbares Display. Eine schlaue Möglichkeit, bei Regen den Touchscreen zu deaktivieren. Ein langlebiger Akku. Perfekte Übernahme von Indoor-Rollentrainerprogrammen und -steuerungen. Und – als Killerfeature – ein Navi, das bei Routenabweichungen nicht grundsätzlich "Bitte wenden" plärrt, solange es neu oder nachrechnet – auch wenn man längst wieder auf dem richtigen Weg ist.

Toll, wirklich toll.

So wie die Befestigungslösung – die sich sogar in bestehende Halterungen einpassen lässt.

Oder ließe. Denn am Grundproblem jedweder Ökosystem-Geiselhaft ändert das nichts: Ich bekomme weder die Hammerhead- noch die Suunto-Daten komfortabel nach Garmin-Land.

Foto: Tom Rottenberg

Ärgerlich – aber aus Sicht der Hersteller absolut nachvollziehbar.

Während meine Uhr – für meine Bedürfnisse Schwimmen und Laufen – perfekt ist und ich über die Hersteller-App auch mit Körperfett und Gewichtsangaben der Waage aus dem Ökosystem zufrieden bin, hadere ich mit meinem Radcomputer: Der Akku meines kleinen Edge 830 hat mich schon einige Male im Stich gelassen. Und das "Bitte wenden" in engen Serpentinen kann nerven. Außerdem habe ich schwächelnde Lesebrillen-Augen …

Alles Gründe, die für Wahoos "Roam" oder "Bolt" sprechen. Denn die Sensoren (zum Glück auch Garmins nach hinten gerichtetes Warn-Radar) werden herstellerunabhängig gut erkannt.

Aber das Auslesen und Auswerten der Detaildaten macht dann eben doch einen Unterschied. Denn auch wenn es in Wirklichkeit vollkommen egal ist, wie lange ich im Sitzen oder im Stehen fuhr: Zu wissen, dass diese Daten von den Wattmesspedalen zwar penibel erfasst, vom "falschen" Radcomputer aber nicht ausgewertet oder weitergegeben werden, ist dann doch ein Argument. Auf Strava gibt es für derlei ja auch keine Datenfelder …

Aber vor allem: Sobald ich – auch auf der Rolle daheim – mit Wahoo oder Hammerhead "tracke", ist Gerhard in der Bike-Monatschallenge auf Garmin Connect uneinholbar.

Sie lachen? Zu Recht.

Aber lesen Sie mal in einschlägigen Foren, wie intensiv und vehement dort derlei debattiert wird.

Foto: Tom Rottenberg

Lassen Sie mich zu guter Letzt noch ein Thema anschneiden, bei dem die Frage des Ökosystems nicht unwichtig ist: bei Smart- oder Rollentrainern. Also den immer beliebter werdenden Heim-Fahrrädern.

Die Frage nach der individuell "richtigen" Rolle da nur nach dem Preis des Gerätes und individuellem Gusto zu beantworten ist am Anfang absolut richtig. Sie kann jedoch – sollten Sie voll reinkippen – auch zu Kummer führen.

Aber keine Angst: Rouvy und Zwift (die beiden derzeit beliebtesten Online-Radplattformen) funktionieren mit allen Rollen. Und ob Sie lieber durch "echte", abgefilmte Landschaften (Rouvy) oder mit lustig chattenden Playmobil-Avataren (Zwift) in virtuell-futuristischen Fantasiegegenden fahren, lässt sich durch Gratis-Schnupperphasen rauskriegen.

Foto: Tom Rottenberg

Aber darüber, ob Sie lieber "authentisches" Rumpeln und leichte Seitbewegungen (bei Tacx) spüren wollen oder lieber Steigungen und Gefälle durch ein Zusatztool (etwa "Climb" für den Wahoo-"Kickr"), sollten Se eventuell schon beim Kauf des Grundgerätes nachdenken.

Oder ob, so wie bei mir daheim, mehrere Personen auf relativ kleinem Wohnraum abwechselnd auf die Rolle steigen – und das ständige Ummontieren und Hantieren mit den Räder rasch nervt (und dreckige Finger macht): Da zahlt sich dann ein teures Komplettbike (beinahe) aus.

Ach ja: Indoor brauchen Sie noch etwas: einen Ventilator. Einen mit Fernsteuerung – ökosystemunabhängig.

Oder aber einen wie den "Headwind". Der bläst punktgenau und passt die Intensität des Luftstromes an die Geschwindigkeit der Rolle an. Und auch wenn die Steuerung theoretisch auch über einen (egal welchen) Pulsmesser funktionieren würde: Schwuppdiwupp sind Sie wieder in einem Ökosystem verhaftet – und vermutlich sogar glücklich.

Vielleicht ja auch darüber, dass Sie und ich das Privileg haben, uns über derlei First-World-Probleme den Kopf zerbrechen zu dürfen. (Tom Rottenberg, 31.1.23)


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Foto: Tom Rottenberg