Harry Styles ist schuld an meiner Misere: Ich liege wie ein Käfer am Rücken. Mein Kopf klemmt zwischen zwei Schulterstützen, meine Beine werden durch zwei Schlaufen senkrecht in die Höhe gezogen. Und jetzt soll ich sie also gegen viel, viel Widerstand langsam und gestreckt nach unten drücken. Wie bin ich hier gelandet?

Auf dem Reformer sitzt, liegt, kniet oder steht man.
Foto: Regine Hendrich

Wie gesagt: wegen Harry Styles. Und der Kardashians, Meghan Markle, Michelle Obama und Jennifer Aniston – unter anderem. Sie haben dem eigentlich schon in die Jahre gekommenen Pilates-Trainingsgerät Reformer in den letzten Jahren Glamour und damit einen ordentlichen Bekanntheitsschub verpasst. Erst vor wenigen Wochen machte auf Instagram ein Video die Runde, das Harry Styles – und andere Berühmtheiten – beim Training zeigt.

Ein Londoner Pilates-Studio hat vor wenigen Wochen ein Video gepostet, auf dem kurz auch Harry Styles zu sehen ist.

Beim Training nutzt man – vereinfacht gesagt – eine Bank, die aus einem fixen Teil und einem beweglichen Schlitten auf Schienen besteht, an dem unterschiedliche Federn befestigt sind. Mit ihnen lässt sich der Widerstand für die Übungen, bei denen man auf dem Gerät liegt, sitzt oder steht, individuell einstellen. Außerdem gibt es Schlaufen, in die die Arme oder, wie bei mir gerade, die Beine eingehängt werden können.

Schwierige Suche

Sie sind ausgestiegen? Das bin ich anfangs auch. Und, zugegeben: Ich musste im ersten Moment angesichts der Konstruktion auch ganz kurz an ein mittelalterliches Foltergerät denken. Und lag damit zwar falsch, aber nicht ganz daneben, wie sich beim Training herausstellen sollte.

Nun ist der Trend auch nach Wien übergeschwappt: Das Studio "We are June" hat diese Woche direkt hinter dem Parlament in der Reichsratstraße im ersten Bezirk eröffnet. Dahinter stehen das Ehepaar Nina und Sebastian Prödl – sie ist Yogalehrerin, er ehemaliger Profi-Fußballspieler – sowie Julia Fodor. Fodor ist Mitinhaberin des Nagelstudios Babetown und der Pizzeria Pizza Bussi Ciao, ihre Karriere als Insta-Influencerin hat sie jüngst auf Eis gelegt.

Das Studio "We are June" eröffnet diese Woche.
Foto: Regine Hendrich

Die drei kannten den Trend aus dem Ausland und haben sich im Sommer 2021 zusammengetan, um das Workout nach Wien zu bringen. Am schwierigsten sei die Suche nach der richtigen Immobilie gewesen, erzählt Julia Fodor bei einer Führung durch das Studio: "Wir haben ein halbes Jahr intensiv gesucht."

Location mit Shop

Denn die Pilates-Bänke sind sehr groß, daher habe es einen langgezogenen Raum gebraucht, um zwölf davon in zwei Reihen vor einer riesigen Spiegelwand unterzubringen. Eine echte "Traum-Immobilie" wurde ihnen vor der Nase weggeschnappt. In einem ehemaligen Friseur-Salon mit einer Fläche von 170 Quadratmetern wurden sie aber schließlich fündig.

Seit November wurden die Räumlichkeiten im Erdgeschoß umgebaut – beim Designkonzept gab es Unterstützung durch die Wiener Interieurdesignerin Laura Karasinski, an den Wänden hängt Kunst, und in einem kleinen Shop gibt es Bildbände, Kosmetik, Proteinpulver und Juices. Entstanden ist eine Location, die sehr instagrammable wirkt. "Es ist ein Wohlfühlort", sagt Julia Fodor. "So wie man es sich auch zu Hause einrichten würde."

Zumindest wenn man es sich leisten kann. Die Einzelstunde à 50 Minuten kostet 30 Euro, wer gleich mehrere kauft, steigt ein paar Euro günstiger aus. Die Zielgruppe sei breit gestreut. Traditionellerweise sei das Publikum bei Pilates oft etwas älter, sagt Fodor. In den Lockdowns wurde allerdings mit Online-Workouts – etwa von der Fitfluencerin Melissa Wood Health – eine neue, jüngere Zielgruppe erschlossen.

"Inspiriert von Pilates"

35 Klassen werden hinter dem Parlament ab sofort pro Woche abgehalten. Geboten wird ein eigenes Workout-Konzept: "Wir sind inspiriert von Pilates, aber unser Training ist dynamischer." Einerseits ist die Musik lauter, andererseits müssen die Wiederholungen länger durchgehalten werden. Außerdem werden Gewichte verwendet, die griffbereit auf der Bank liegen. Auch Kettlebells, also Kugelhanteln, sollen bald schon zum Einsatz kommen, um die Herzfrequenz weiter in die Höhe zu treiben. Man soll sich "really, really good" fühlen, so das Versprechen auf der Instagram-Seite des Unternehmens: "Call it the #juneeffect."

Das Schwierigste sei die Suche nach der Immobilie gewesen, heißt es im Studio.
Foto: Regine Hendrich

Davon bin ich in meinem Probetraining noch ein Stück weit entfernt. Zu Beginn jeder Übung sagt unsere Trainerin Hanna, welche der fünf farbigen Federn wir einhängen sollen: "Gelb und rot", sagt sie dann zum Beispiel, und wir stecken um. Dann planken wir zum Beispiel, und ziehen die Beine mit dem beweglichen Schlitten näher an den Körper heran.

Oder wir stehen neben unserem Reformer, ein Bein wird abgewinkelt, das andere liegt auf dem Schlitten. Wenn wir mit dem Standbein in die Knie gehen, bewegt sich der Schlitten nach hinten. Dabei gilt es, die Balance zu wahren. Die Trainerin dreht die Musik nun lauter und geht durch den Raum. "30 Sekunden noch", sagt sie zur Gruppe. Seltsam, wie lang sich eine halbe Minute anfühlen kann. Ist das der #juneeffect?

Ausgebucht in wenigen Sekunden

Mit den Trainingsgeräten wirbt auch die Fitnessstudio-Kette John Reed, die seit dem vergangenen Herbst auf 5.000 Quadratmetern einen Flagship-Club im Haus am Schottentor in Wien betreibt. Im ehemaligen Bank-Gebäude befindet sich unweit von schweren Tresortüren und den noch erhaltenen Schließfächern ein Pilates-Raum mit zehn Reformern.

Sechs Einheiten wurden hier bisher pro Woche angeboten – mit Februar wird das Kursangebot im verspiegelten Raum aber aufgestockt. Die Kurse würden online acht Tage im Vorhinein freigeschaltet, erzählt eine Trainerin hier – und seien immer innerhalb von Sekunden ausgebucht: "Unsere Kundinnen stellen sich den Wecker dafür."

Der Hype in Wien ist neu, die Geräte sind es nicht: Joseph Pilates hatte die Idee schon vor hundert Jahren, um Patientinnen und Patienten durch die Übungen im Bett schnell wieder auf die Beine zu bekommen. Und einige Wiener Pilates-Studios haben das Gerät seit Jahren im Repertoire. Die Stars und Sternchen schwören heute großteils auf eine Luxusvariante davon, den "Megaformer". Dabei soll es sich um "Pilates auf Steroiden" handeln.

Richtiges Atmen

Aber Harry Styles hin oder her: Meist sind es Frauen, die sich auf die Trainingsgeräte trauen. "Einmal waren schon zwei Männer da", erzählt man bei John Reed. Bei "We are June" im ersten Bezirk will man verstärkt auch Männer ansprechen und ist daher auf der Suche nach männlichen Trainern. Denn das Low-Impact-Training für den ganzen Körper ist auch für Männer geeignet. Durch die fünf Federn kann der Widerstand angepasst werden – anstrengend wird es so für jedes Fitness-Level.

Hollywood schwört Stein und Bein, dass man durch das Workout besonders schöne, lange Muskeln bekommt. Wir wollen es den Kardashians gern glauben. Harry Styles macht es Medienberichten zufolge, um seine Haltung zu verbessern. Meine Haltungsnoten lassen gerade noch zu wünschen übrig: Wir steigen jetzt auf das Trainingsgerät – ein Bein auf dem fixen Teil, das andere auf dem beweglichen. Nun spreizen wir die Beine auseinander und ziehen sie wieder zusammen, langsam und kontrolliert.

Was für mich aber die größte Herausforderung ist, ist die richtige Atmung, die bei Pilates eine wichtige Rolle spielt. "Einatmen, ausatmen, das reicht am Anfang", wird mir später bei John Reed erklärt. Häufig vergesse ich aber vor Anstrengung ganz aufs Atmen und halte die Luft an. Schnauf. So ähnlich muss es sich anfühlen, wenn Harry Styles unangekündigt im Pilates-Studio auftaucht. (Franziska Zoidl, 1.2.2023)