Durch die Pandemie sind erhebliche Lernrückstände entstanden. Die gilt es nun mit speziell fördernden Maßnahmen aufzuholen.

Foto: Regine Hendrich

Lockdowns, Homeschooling oder einfach verpasste Schultage: Während der Corona-Pandemie haben Schülerinnen und Schüler über ein Drittel des normalen Lernzuwachses pro Schuljahr verloren. Das zeigt eine Metaanalyse, die im Fachblatt Nature Human Behaviour erschienen ist. Für die groß angelegte Analyse wurden 42 Studien aus 15 Ländern untersucht. Das waren vor allem Studien aus Großbritannien und den USA, aber auch vier Studien aus Deutschland. Neben dem Lerndefizit in verschiedenen Schulfächern wurden auch der soziodemografische Status und das Durchschnittseinkommen im Land erfasst.

Die Analyse ergab, dass sich die Lernfortschritte während der Pandemie erheblich verlangsamt haben – die Schülerinnen und Schüler verloren insgesamt 35 Prozent des Lernfortschritts eines normalen Schuljahres. Am stärksten war das Lerndefizit bei Kindern mit niedrigem sozioökonomischen Status. Zwischen den einzelnen Klassenstufen konnte man keine signifikanten Unterschiede erkennen. In Mathematik war das Defizit stärker als beim Lesen. Das erklären die Autoren damit, dass Eltern und Kinder von zu Hause aus eher gemeinsam lesen, als Mathematik-Aufgaben zu bearbeiten. Zudem zeigten einige der Studien, dass sich das Lerndefizit im Laufe der Pandemie nicht verringerte, sondern zwischen Mai 2020 und Mai 2022 überdauerte.

In Ländern mit mittlerem Durchschnittseinkommen wie Brasilien und Mexiko war das Lerndefizit größer als in Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen wie den USA und Großbritannien. Studien aus Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen konnten nicht in die Analyse mit einbezogen werden, dieser Vergleich fehlt also.

Immense Relevanz des Lerndefizits

Unabhängige Forschende sehen in diesem Lerndefizit eine immense Relevanz für die Bildung, weil die durch die Lehrpläne geforderten Standards dadurch schwer erreichbar geworden seien. Der Mangel an Lehrkräften erschwere das Aufholen des Lerninhalts weiter, insbesondere für Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Haushalten. Auch wenn es schwierig sei, gebe es aber Möglichkeiten, das Lerndefizit aufzuholen – zum Beispiel durch Summerschools oder digitale Unterstützung.

Das sehen auch die Studienautoren so. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Herausforderungen von Homeschooling, mit anderen Stressoren durch die Pandemie, durch die Rückkehr in die Schule nicht behoben wurden. "Wir müssen mehr tun, als nur zur Realität zurückzukehren, damit wir das Verlorene aufholen können", betont Bastian Betthäuser, Co-Autor der Analyse und Forscher am Centre for Research on Social Inequalities an der Sciences Po in Paris. Er fordert weltweit intensive Sommerprogramme und Nachhilfeinitiativen für ärmere Schüler, die am weitesten zurückgefallen sind.

Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, kann sich sogar vorstellen, dass es eine "Generation Corona" geben wird: "Das Lerndefizit hat einen unmittelbaren Einfluss auf den Unterricht, weil es für die Lernenden immer schwieriger wird, die von den Curricula geforderten Standards zu erreichen." Zierer hat auch selbst zu dem Thema geforscht, seine Erkenntnisse decken sich mit jenen der internationalen Metaanalyse. Besonders betroffen sind davon die Jüngsten im System mit bildungsfernem Hintergrund. Dazu komme, dass sich die Pandemie auch auf die psychosoziale und körperliche Verfassung ausgewirkt habe.

Wissenslücken in Sommerschulen aufholen

Nun geht es darum, diese Lücken wieder zu füllen, und zwar rasch. Denn man wisse aus Forschungen, dass sich Lerndefizite kumulieren, sagt Zierer. "Je früher es gelingt, gegenzusteuern, desto besser." Derzeit fehlen aber Konzepte, Lehrpersonal sei knapp. Auch die Digitalisierung sei nur bedingt eine Lösung, da diese durch unreflektierten Konsum viel eher "ein Treiber für Bildungslücken ist. Je nach Bildungsniveau werden digitale Medien sehr unterschiedlich genutzt."

Sommerschulen seien sicherlich ein interessantes Konzept, um Wissenslücken zu schließen, sagt Zierer. "Sie konnten in der Vergangenheit zeigen, dass sie bei allen Kindern und Jugendlichen positiv wirken und vor allem bei Lernenden aus bildungsfernen Milieus." Und er sieht auch digitalisierte Lernformen positiv, sofern diese zielgerichtet eingesetzt werden. Einfach nur ein Tablet mit Lerninhalten in die Hand zu drücken reiche nicht, auch das habe die Pandemie gezeigt.

Eine Auswirkung der Studie ist, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildung der Lernenden wieder in den Fokus gerückt ist, das beurteilt Benjamin Fauth, Professor am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung an der Uni Tübingen, positiv. Und er betont, dass etablierte Konzepte nicht wieder in der Schublade verschwinden dürfen: "Es gibt Schulen, die schon vor der Pandemie ein System etabliert hatten, mit dem sie die Lernfortschritte genau im Blick behalten können, um bei Lernproblemen direkt und gezielt fördern zu können. Während der Schulschließungen hat sich dann gezeigt, wie wichtig das ist."

Diese Erkenntnisse sollten auch ein Weckruf für Eltern sein. In Umfragen gab nämlich fast die Hälfte an, dass sie nicht glaube, dass ihre Kinder während der Pandemie Leistungseinbußen erlitten hätten. Das ist auch deshalb wichtig, weil sich der Wissensverlust auf die spätere finanzielle Absicherung auswirken kann. Eric Hanushek, Ökonom an der Hoover Institution in Stanford, gibt zu bedenken, dass Kinder, die während der Pandemie in der Schule waren, im Laufe ihres Lebens etwa 70.000 US-Dollar an Einkommen verlieren könnten, wenn die Defizite nicht ausgeglichen werden. (kru, 1.2.2023)