Google soll jahrzehntelang den Online-Werbemarkt zu eigenen Gunsten manipuliert haben. Die Anklageschrift des US-Justizministeriums gibt Einblicke in die Methoden und erhebt schwere Vorwürfe.

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Das US-Justizministerium macht Druck im Vorgehen gegen Google. In einer 153 Seiten starken Anklageschrift versuchen die US-Behörden dem Internetriesen jahrzehntelange Marktmanipulation, Preisabsprachen und Insiderhandel nachzuweisen. Die Lage für Google ist ernst, sagen Beobachter.

"Jedes Mal, wenn eine Bedrohung aufgetaucht ist, hat Google seine Marktmacht bei einem oder mehreren dieser Ad-Tech-Tools genutzt, um die Bedrohung zu unterdrücken", heißt es in der Klageschrift. "Das Ergebnis: Googles Plan für eine dauerhafte, branchenweite Dominanz war erfolgreich."

In wenigen Schritten zur Dominanz am Werbemarkt

Um die Vorwürfe gegen Google zu verstehen, ist ein vereinfachter Exkurs in die Welt des Online-Werbemarktes nötig. Öffnet man als Nutzer eine Website, wählt der Ad Server passende Anzeigen aus. Der Industriestandard ist dabei der Google Ad Manager, der oft noch unter seinem ehemaligen Namen Double Click for Publishers (DFP) bekannt ist. Google hat Double Click im Jahr 2008 übernommen.

Dieses Modell sicherte Google einige Jahre die Marktführerschaft, bis sich Mitte der 2010er-Jahre ein neues Modell namens Header Bidding etablierte. Dabei werden Anzeigenplätze nicht fix vergeben, sondern in Echtzeit versteigert. Dabei bieten Publisher, also die Betreiber von Websites, ihre Plätze zur Auktion an. Werbetreibende geben daraufhin ein Gebot auf die Anzahl der Impressionen ab – erfolgt der Zuschlag, wird die Werbung ausgespielt. Dieses automatisierte System revolutionierte binnen kürzester Zeit den Werbemarkt.

Nur Google hatte erstmals das Nachsehen, schließlich arbeitete man noch nach der althergebrachten Methode. Manager mussten selbst eingestehen, dass dieses System besser war als ihr eigenes.

Google wollte einen unliebsamen Markt "austrocknen"

Der Vorwurf des US-Justizministeriums und von acht Bundesstaaten, zu denen auch New York und Kalifornien gehören, lautet nun, dass Google einen Plan erarbeitete, der darauf abzielte, den Markt "auszutrocknen", wie es in der Anklageschrift heißt. So sollen Google-Verantwortliche versucht haben, Facebook, die Nummer zwei am Werbemarkt, zu einer geheimen Absprache zu überreden. Google würde Facebook bei den Werbevergaben bevorzugen, im Gegenzug würde Facebook keinen eigenen Adservice mit Header Bidding etablieren. Diese Absprache unter dem Namen "Jedi Blue" ist auch Gegenstand eines im Jahr 2022 eingeleiteten kartellrechtlichen Verfahrens in der Europäischen Union sowie in Großbritannien.

Google schneidet laut Anklage kräftig mit.
Foto: US Department of Justice

Das war aber nicht die einzige Maßnahme, das Konkurrenzsystem trockenzulegen. Die Werkzeuge dafür hatte Google bereits. Das System funktioniert so: Werbetreibende kaufen Klicks und Anzeigenflächen auf Google Ads, über den Ad Exchange laufen sie auf den Publisher Ad Server, von wo sie auf den jeweiligen Webseiten angezeigt werden – alle diese Schritte werden von Google kontrolliert. Damit ist der Konzern Verkäufer, Käufer und Auktionator von Werbeflächen. Laut einer der Klageschrift beigefügten Grafik verdient Google durch die Kontrolle sämtlicher Zwischenschritte 35 von 100 ausgegebenen Werbedollars.

Manipulation nach Auktionsende

Google soll laut Anklageschrift den Markt darüber hinaus manipuliert haben, indem es die Auktionsgebote zu eigenen Gunsten veränderte – und den Zuschlag auf dem eigenen Marktplatz erhielt. Unter dem Codenamen "Project Poirot" soll Google Werbeauktionen manipuliert haben, indem es bei den verbliebenen Konkurrenzplattformen absichtlich um bis zu 90 Prozent niedrigere Gebote abgab, um den Umsatz des Mitbewerbs künstlich nach unten zu drücken. Das Volumen des Online-Werbehandels brach um 32 Prozent ein, während Google laut Angaben der Staatsanwälte mindestens 200 Millionen US-Dollar an Zusatzeinnahmen lukrierte.

Das System Google. Der Konzern ist laut Anklage Anbieter, Käufer und Auktionator im lukrativen Online-Werbegeschäft.
Foto: US Department of Justice

Aber nicht nur das: Googles eigene Handelsplattform Ad Exchange führte die "Dynamische Gewinnbeteiligung" ein. Laut den Anklägern handelt es sich dabei um ein System, das es Google erlaubt, die Angebote einer Werbeauktion noch im Nachhinein zu eigenen Gunsten zu manipulieren. Damit soll Google die Gebote nach Auktionsende um bis zu 20 Prozent hinauf- und herabgesetzt haben, um den eigenen Service als den Bestbieter erscheinen zu lassen.

"Dies gewährleistete, dass Google Ad Exchange noch mehr Transaktionen zu gleichen oder leicht geringeren Kosten gegenüber dem Höchstgebot von Googles Ad-Exchange-Konkurrenten gewonnen hat", so die US-Staatsanwälte. Die Verluste machte Google laut der Anklage wieder wett, indem es die Gebühren auf weniger hart umkämpfte Angebote anhob. Der Konzern habe eine "mit Absicht irreführende Blackbox geschaffen, in der Google die Regeln für Auktionen zum eigenen Vorteil setzt", heißt es in der Klage.

Beobachter: "Google ist total hinüber"

"Wären wir an der Wall Street, würden jetzt Handschellen klicken", sagt Jason Kint, CEO von Digital Content Next, einem US-Branchenverband digitaler Medien, der Google anhand der Anklageschrift verbotene Angebotsabsprachen vorwirft. Die US-Staatsanwaltschaft fordert die Zerschlagung von Google. Der Werbemarkt solle strikt von den anderen Unternehmensteilen getrennt werden, forderte Generalstaatsanwalt Merrick Garland vom US-Justizministerium. Die Behörde hatte die Klage ins Rollen gebracht, acht Bundesstaaten haben sich mittlerweile angeschlossen. Laut Kint ist die Klage gegen Google ein "Meisterwerk" und deutlich besser aufbereitet als bisherige Kartellklagen. "Google ist total hinüber", sagt Kint.

Rund 80 Prozent der Einnahmen von Google werden durch die Werbekundschaft generiert. In einem Blogeintrag verteidigt sich der Onlineriese. Google sei lediglich eines von hunderten Unternehmen, das im Online-Werbemarkt tätig ist, und führte die Konkurrenz durch Meta, Amazon, Tiktok und Microsoft an. Die Klage des US-Justizministeriums würde Jahre der Innovation zurückdrehen und den gesamten Werbemarkt schädigen, teilte Dan Taylor, Vice President Global Ads, mit. (pez, 31.1.2023)