Europas Industrie, im Bild eine Produktion von Aerosolflaschen für medizinische Anwendungen in Frankreich, gerät wegen der hohen Energiepreise in Bedrängnis. Staaten schnüren Hilfspakete.

Foto: AFP/ Guillaume Souvant

Viele Unternehmen aus Gewerbe und Industrie sind vom steilen Anstieg der Energiepreise im Gefolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wie vom Blitz aus heiterem Himmel getroffen worden. Günstiges Pipelinegas hatte vielen über lange Zeit einen Wettbewerbsvorteil verschafft – damit ist es nun vorbei. Vor allem die Industrie, die sich international mit starker Konkurrenz messen muss, steht mit dem Rücken zur Wand.

Das zeigt eine Studie von PwC. Die Unternehmensberatung beziehungsweise deren Tochter PwC Strategy& hat im Herbst inmitten der Turbulenzen auf den Rohstoff-, Gas- und Strommärkten Auswirkungen der hohen Energiepreise auf Schlüsselindustrien in Europa untersucht. Fazit: Die Energiekrise bedroht für die Aufrechterhaltung des Wohlstands wichtige Sektoren, auch in Österreich. Und – die Energiekrise könnte zu einer schleichenden Deindustrialisierung Europas führen.

Eingequetscht zwischen dem aufstrebenden China und den USA, die dank im Überfluss vorhandener günstiger Energie zusätzlich an Wirtschaftskraft gewinnen, verliere der Alte Kontinent als Produktionsstandort an Wettbewerbsfähigkeit. Zudem schwinde die Attraktivität Europas als Wirtschaftsstandort – mit allen negativen Konsequenzen wie dem Verlust von Arbeitsplätzen, was sich wiederum negativ auf die Finanzierung des Pensionssystems auswirken könnte.

Österreich behaupten sich in internationalen Nischen

Österreich habe, was die Industrielandschaft betreffe, im europäischen Vergleich eine Sonderstellung, wie Johannes Schneider, Partner bei Strategy& Österreich, im Gespräch mit dem STANDARD anmerkt. "Es gibt hier viele kleinere, sehr agile Unternehmen, die sich schon immer in der internationalen Nische behaupten mussten. Eine Nische ist bei externen Schocks immer von Vorteil", sagt Schneider.

Die Kleinstrukturiertheit habe aber auch Nachteile. Schneider: "Es gibt in Österreich keine so großen Champions, die aus eigener Kraft und mit Milliarden im Rücken etwas voranschieben könnten." Umso mehr sei der Staat gefordert, mittels kluger Anreizsetzung den Strukturwandel einzuleiten.

"Das müsste dann unbedingt mit dem Thema Nachhaltigkeit verknüpft werden", ergänzt Eva Poglitsch, Co-Autorin der Studie. "Die Pläne für den Umbau liegen auf dem Tisch, man muss sie nur umsetzen."

Bei erneuerbaren Energien, vor allem bei Windkraft, habe Europa noch immer die Nase vorn. Das gelte auch für die Abfall- und die gesamte Kreislaufwirtschaft. Dort sei am wenigsten mit großräumigen Verlagerungen auf andere Kontinente zu rechnen. Klar sei aber auch, dass das Halten von Industriekompetenz einen Preis habe. Schneider, Partner von Strategy&, spricht von "Resilienzkosten". Das sei aber gut investiertes Geld, wenn man an Corona und die Unterbrechung von Lieferketten denke. Pharma, Halbleiter, chemische Produkte und alles, was für die Energiewende wichtig ist, sollte man versuchen in Europa zu halten.

In Zukunft mehr Geld für Strukturwandel

"Wir geben Milliarden an Stützungen zur Aufrechterhaltung des Status quo aus; das ist in so einer Krisensituation, in der wir uns augenblicklich befinden, richtig", sagt Schneider. "Wir sollten uns aber auch daran gewöhnen, vergleichbare Summen für den Strukturwandel und für Innovation auszugeben."

Bis auf einzelne Unternehmen wie Bayer, die angekündigt haben, ihren Fokus künftig stärker auf China und die USA zu legen, sind noch keine größeren Pläne der Verlagerung weg aus Europa offiziell geworden. Umso mehr finden innerhalb Europas Umstrukturierungen statt, die ihre Ursache auch in unterschiedlich hohen Energiepreisen haben.

In besonders energieintensiven Bereichen wie Zement oder Papier haben Unternehmen, die die Möglichkeiten hatten, die Produktion in Ländern erhöht, wo die Kosten am günstigsten waren, und gedrosselt, wo Energie am meisten kostet. Profitiert haben hauptsächlich Standorte in Skandinavien oder Spanien, die einen hohen Anteil an Erneuerbaren haben und wo Gas eine geringere Rolle spielt. Länder wie Polen, das nicht nur stark von Gas, sondern auch von Kohle abhängig ist, haben die gestiegenen Primärenergiepreise besonders stark getroffen.

IWF entwarnt vorsichtig

Leichte Entwarnung gibt es indes vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Laut der am Dienstag veröffentlichten Prognose des IWF wird die Weltwirtschaft die Folgen des Kriegs in der Ukraine und die anhaltend hohe Inflation etwas besser verkraften als befürchtet. Die in Washington ansässige Organisation rechnet 2023 mit einem Wachstum der Weltwirtschaft um 2,9 Prozent, das sind 0,2 Prozentpunkte mehr, als noch im Oktober angenommen worden war. (Günther Strobl, 31.1.2023)