Crashtest-Dummys, Spracherkennungen bis hin zur Medikamentenentwicklung: Der Gender-Data-Gap bezeichnet die Diskrepanz zwischen der Anzahl von Männern und der von Frauen in statistischen Studien und Datensätzen. Dieses Ungleichgewicht führt zur systematischen Benachteiligung von Frauen in unterschiedlichen Bereichen, die Sonja Sperber vom Institut für Strategie- und Innovationsmanagement an der Wiener Wirtschaftsuniversität erforscht. In einem internationalen Forscherinnenteam beobachtet sie die Auswirkungen des Gender-Data-Gaps und entwickelt Strategien, um die Lücke zu schließen.

Video: Gender-Data-Gap – Die Welt ist für den Mann gemacht.
DER STANDARD

Die mangelnde Berücksichtigung von Frauen in Datenerhebungen wirkt sich beispielsweise auf die Produktgestaltung aus: So werden Smartphones in der Entwicklung vorrangig von Männern getestet. Wenn Frauen die Geräte bedienen, kann das weniger praktikabel sein. "In der Produktentwicklung und in Serviceleistungen sollten alle Geschlechter gleichermaßen berücksichtigt werden", sagt Sperber.

Wie ein Mann, nur kleiner

Abgesehen von Unbequemlichkeiten, die aus dem Gender-Data-Gap resultieren, kann eine Unterrepräsentation auch fatale Folgen haben, wie beispielsweise bei Crashtest-Dummys. Bislang wurde nur der männliche Durchschnittsdummy als Vorlage genutzt, welcher 175 Zentimeter groß und 78 Kilogramm schwer ist. Erst 2022 wurde mit "Eva" ein Dummy entwickelt, der die durchschnittliche weibliche Statur inklusive entsprechenden Körperschwerpunkts und Muskelaufbaus aufweist und nicht nur wie bislang bloß eine kleinere Version der männlichen Puppe ist.

Auch bei der Entwicklung und Dosierung von Medikamenten gibt es große physiologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Diese nicht ausreichend zu erheben kann lebensbedrohliche Folgen haben.

Gender-Data-Gap der Technologiebranche

Am deutlichsten ist der Gender-Data-Gap jedoch in der Technologiebranche zu spüren. Hier sind Frauen unterrepräsentiert, wenn es um die Entwicklung und den Einsatz von Technologie geht. Als Folge davon fehlen Daten über die Erfahrungen, die Frauen mit verschiedenen Technologien machen. Dieses Problem wird etwa in der Spracherkennung oder der Gesichtserkennung deutlich, wo männliche User bessere Ergebnisse erzielen.

Da Tools wie Gesichtserkennung vorwiegend mit Daten von Männern trainiert werden, funktionieren sie für Frauen schlechter.
Foto: iStock/Getty

Das Problem des Gender-Data-Gap ist jedoch nicht nur auf die Geschlechter beschränkt. "Dies ist ein historisches Phänomen, welches sich so verfestigt hat und zum Standard geworden ist. Andere Hautfarben, sowie Menschen mit Behinderung oder andere Minderheiten werden kaum mitberücksichtigt", sagt Sperber.

Stets den Standardtyp des weißen Mannes heranzuziehen ist nun einmal einfacher, als auf jede Untergruppe achtzugeben. Darum müssen Studien darüber entwickelt werden, welche Daten erhoben werden müssen, um die bestehenden Datenlücken zu schließen, sagt Sperber. Schließlich müsse ergründet werden, wie diese generiert werden können und wie man mehr Personen motivieren kann, an diesen Testungen teilzunehmen.

Lösungen gesucht

Das Problem ist keineswegs neu: Bereits seit den 1990ern wird zum Gender-Data-Gap geforscht. Die geschlechtsspezifischen Datenlücken können verringert werden, indem beispielsweise mehr Frauen mit der Erhebung und Analyse von Daten beauftragt werden, sagt die Forscherin. Wenn mehr Frauen im Organisationsmanagement und im strategischen Management in Entscheidungspositionen tätig sind, können sie ihre Sicht der Dinge leichter einbringen.

Sowohl auf EU- als auch auf UN-Ebene hat der Gender-Data-Gap an Aufmerksamkeit gewonnen, und entsprechende Projekte wurden gestartet. In einem Artikel, der im "European Management Journal" erschienen ist, appelliert Sperber gemeinsam mit internationalen Forscherinnen, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten, um diese in der Praxis anzuwenden. "Die Behebung des Gender-Data-Gaps ist kein Prozess, der von heute auf morgen stattfindet. Dies ist eine strukturelle Frage und dauert Jahre bis Jahrzehnte, weswegen es umso wichtiger ist, jetzt damit anzufangen", sagt Sperber. (Karin Grabner, 8.2.2023)