Es gibt viele gute, wissenschaftlich untermauerte Gründe, das Tempo zu reduzieren.

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Verkehrsexpertinnen und Verkehrsexperten fordern in einem offenen Brief an die Bundesregierung eine Reduktion der Tempolimits auf Österreichs Straßen. Für ein Limit von 30 km/h im Ortsgebiet, 80 km/h auf Freilandstraßen und 100 km/h auf Autobahnen gebe es "gute wissenschaftliche Gründe", heißt es in dem Schreiben der Leiterinnen und Leiter von Verkehrsinstituten bzw. -forschungsbereichen der Technischen Universität (TU) Wien, der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien und der Uni Innsbruck.

Im Verkehrsministerium will man von Änderungen bei Tempolimits jedoch auch weiterhin nichts wissen – im Nationalrat gäbe es keine Mehrheit dafür, hieß es gegenüber der APA. Zustimmung erhielten die Fachleute dagegen vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ) sowie Klimaaktivisten wie der "Letzten Generation" oder Umweltschutzorganisationen wie Global 2000. Der ÖAMTC ist weiter gegen gesetzlich verordnete Tempolimits, aber für Überzeugungsarbeit.

Senkung des Treibhausgasausstoßes

Dass eine Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten die effizienteste Maßnahme zur Reduktion verkehrsbedingter Treibhausgasemissionen, die wirkungsvollste Maßnahme zur Reduktion der Zahl der Verletzten und Getöteten im Straßenverkehr und eine der effektivsten Maßnahmen zur Reduktion der Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen ist, sei "wissenschaftlich zweifelsfrei nachgewiesen", erklären die Fachleute in dem offenen Brief.

Dieser ist auch an den Nationalrat und die Bundesländer gerichtet und wurde von Günter Emberger (Forschungsbereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, TU Wien), Martin Berger (Forschungsbereich Verkehrssystemplanung, TU Wien), Astrid Gühnemann (Institut für Verkehrswesen, Boku) und Markus Mailer (Arbeitsbereich Intelligente Verkehrssysteme, Uni Innsbruck) initiiert.

Mehr Kontrollen

Aus diesen Gründen sollten nicht nur die Tempolimits herabgesetzt werden. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter fordern eine Ausweitung der Kontrolldichte, damit zulässige Höchstgeschwindigkeiten eingehalten werden, eine Reduktion der Messtoleranzen bei Radarkontrollen auf das technisch notwendige Minimum, eine Abschaffung der bundesländerspezifischen "Straftoleranzen" sowie eine bundesweite Vereinheitlichung der Strafhöhen und deren Anhebung, "um die präventive Wirkung zu erhöhen".

Mit der geforderten Temporeduktion könnten den Forschenden zufolge die CO2-Emissionen aus dem Kfz-Verkehr um rund 2,4 Millionen Tonnen bzw. zehn Prozent gegenüber 2019 gesenkt werden. Bei gleicher Verkehrsleistung würden 900.000 Tonnen bzw. zehn Prozent weniger an fossilem Treibstoff verbraucht. Zudem würden damit im Straßenverkehr rund 116 Menschen (28 Prozent) weniger getötet und knapp 7.000 (19 Prozent) weniger verletzt.

Elf Minuten gegen 2,8 Euro

Auf Autobahnen brächte ein Tempo-100-Limit einen individuellen Zeitverlust von rund elf Minuten auf 100 Kilometer. Dem stehe eine Kostenersparnis von bis zu 2,8 Euro bei dieser Distanz gegenüber. Dazu komme ein "enormer volkswirtschaftlicher Nutzen in Form eingesparter Unfall-, Lärm- und Umweltkosten".

Für Emberger ist es "klar, dass wir angesichts der drohenden Klimakatastrophe unsere Mobilität neu überdenken müssen". Eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit sei ein leicht umzusetzender und rasch wirksamer Schritt in diese Richtung. Der Experte verweist in einer Aussendung auf den mit der Geschwindigkeit sinkenden Energiebedarf, egal ob beim Verbrennungs- oder Elektromotor.

Weniger Lärm, weniger Unfälle

Berger nennt weitere Vorteile eines geringeren Tempos: Dies bedeute auch weniger Lärm, weniger Feinstaub durch Reifen- und Bremsabrieb, weniger Stickoxide und weniger Verkehrsunfälle. "Das ist einer der wesentlichen Gründe, warum wir nicht nur eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen vorschlagen, sondern uns eine generelle Temporeduktion wünschen, auch auf Freilandstraßen und im Ortsgebiet", betonte Mailer.

Reaktionen: Ministerium verweist auf Nationalrat

Klimaschutz- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat im Sommer einem niedrigeren Tempolimit eine Absage erteilt, hält dies jedoch für sinnvoll. Dabei blieb das Ministerium auch am Mittwoch in einer Stellungnahme. "Geringes Tempo führt zu weniger Verkehrstoten, verursacht weniger klimaschädliche Emissionen und spart durch den geringeren Treibstoffverbrauch auch Geld.

Es gibt jedoch für eine gesetzliche Änderung der Höchstgeschwindigkeiten im Nationalrat keine Mehrheit. ÖVP, SPÖ, FPÖ und NEOS haben sich dagegen ausgesprochen. Das ist in unserer Demokratie selbstverständlich zu akzeptieren", hieß es aus dem Ministerium. Zeitgleich wurde jedoch appelliert, langsamer zu fahren.

Der ÖAMTC verwies darauf, dass Tempo 130 in der EU keine Ausnahme, sondern die Regel sei. Für die EU stimmt das, bei der Betrachtung von Gesamteuropa wird aber klar, dass die skandinavischen Länder, die auch deutlich weniger Verkehrstote aufweisen, geringere Tempolimits haben. Die niedrigste Anzahl an Verkehrstoten pro Million Einwohnerinnen und Einwohner hat in Europa Norwegen mit 15, berichtete der VCÖ unter Berufung auf Daten des European Traffic Safety Council von 2021.

Skandinavien,...

Auf der Autobahn ist es in den skandinavischen Staaten gemütlicher und sicherer. In Finnland gilt als Höchstgeschwindigkeit 120 km/h, in Schweden 110 km/h und in Norwegen in der Regel 100 km/h (110 km/h auf Autobahnen gilt nur, wenn mittels Beschilderung ausdrücklich zugelassen. In den Niederlanden gilt unter Tags auch 100 km/h.

Der ÖAMTC berichtete in der Aussendung, dass in zwölf EU-Mitgliedstaaten mit Autobahnen die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h gilt – in Dänemark, Frankreich, Italien, Kroatien, Litauen, Luxemburg, Österreich, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Sieben EU-Länder haben ein Tempolimit von 120 km/h, das sind Belgien, Finnland, Griechenland, Irland, Portugal, Schweden und Spanien. In Zypern liegt die maximal erlaubte Geschwindigkeit bei 110 km/h. In den Niederlanden gilt tagsüber ein Tempolimit von 100 km/h.

... Bulgarien und Deutschland

In Bulgarien und Polen gilt ein Geschwindigkeitslimit von 140 km/h. Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem es kein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen gibt. Über ein Tempolimit wird im Nachbarland seit Jahren immer wieder gestritten. In der derzeitigen Ampel-Koalition sperrt sich die FDP dagegen.

Der VCÖ unterstützt die Forderung der Verkehrswissenschaft nach einem geringeren Tempolimit und wies in einer Aussendung am Mittwoch darauf hin, dass der Verkehrsbereich nicht nur von seinen Klimazielen weit entfernt ist, sondern auch von den Verkehrssicherheitszielen. Niedrigere Tempolimits reduzieren den CO2-Ausstoß und die Zahl schwerer Verkehrsunfälle und bringen darüber hinaus zusätzliche Nutzen, wie beispielsweise niedrigere Spritkosten, weniger Verkehrslärm und eine Reduktion der gesundheitsschädlichen Schadstoffe, hieß es in einer Aussendung.

Zustimmung kam auch von Global 2000. "Wir arbeiten auf Basis der Wissenschaft und das sollte die Regierung auch tun. Besonders eine so schnell greifende und bereits in Regionen existierende Maßnahme für Klimaschutz und die Zukunft unserer Kinder sollte als erster Schritt für eine umfassende Mobilitätswende zügig umgesetzt werden", forderte Global-2000-Geschäftsführerin Agnes Zauner. (red, APA, 1.2.2023)