Beim Kirchenwirt in Altmelon ist man sich am Stammtisch einig: Der blaue Sieg ist eine "Watschn" für die ÖVP.

Wolfgang Simlinger

Der rote Bürgermeister von Amaliendorf-Aalfang, Gerald Schindl, ist frustriert: "Leute, wo samma?‘"

Wolfgang Simlinger

St. Pölten – Nur langsam geht es an diesem Morgen durchs Waldviertler Hochland. Die schmale Straße hat noch kein Räumfahrzeug gesehen. Der Winter hat die von Wald, Granit und Moorgebieten geprägte Landschaft fest im Griff.

Wer das Hochplateau auf gut 900 Meter Seehöhe erreicht, findet sich in Altmelon wieder. 863 Einwohner zählt der kleine Ort im Nordwesten Niederösterreichs, dessen Bekanntheit sich bislang in doch sehr engen kommunalen Grenzen hielt. Freunde der Belletristik verbinden Alt melon eventuell mit Christine Nöstlinger. Die Kinderbuchautorin besaß hier einen alten Bauernhof und verlegte ihre "Buchfabrik" gerne ins Waldviertel, wenn in Wien der Wirbel zu groß werden drohte.

Alles in schwarzer Hand

Und doch ist es nicht die "feuerrote Friederike", sondern eher der "blaue Udo", der Altmelon aktuell viel Aufmerksamkeit beschert. Die FPÖ unter ihrem Spitzenkandidaten Udo Landbauer erreichte nämlich im Zuge der Niederösterreich-Landtagswahl in der Gemeinde im Bezirk Zwettl klar den ersten Platz. 43,68 Prozent wählten hier die FPÖ, 42,5 Prozent die Volkspartei. Das ist insofern auch ein Kuriosum, da der Gemeinderat selbst seit der Gemeinderatswahl 2020 komplett in der Hand der ÖVP ist.

Wenn auch nicht im Kommunalparlament vertreten, gebe es in Altmelon "eine Gruppe mit FPÖ-Nähe", die eine entsprechende Mobilisation geschafft habe, ist eine ältere Dame, die ungenannt bleiben möchte, überzeugt. "Du wirst hier bei uns im Ort kaum wen finden, der offen sagt: ‚Ich bin ein Blauer.‘ Aber an der Wahlurme schaut’s dann anders aus." Die FPÖ habe in Niederösterreich vor allem mit dem "Asylthema" punkten können. "Das beschäftigt die Menschen. Gerade in Zeiten, wo es im eigenen Börsl zwickt", ist die Pensionistin überzeugt.

Beim Kirchenwirt ist an diesem kalten Wintertag so wie jeden Dienstag "Schnitzeltag". Dementsprechend gut besucht ist daher der Stammtisch. Zwischen Spritzer, Seiterl und paniertem Nationalgericht will man aber Fragen nach der politischen Umfärbung offensichtlich nur ungern hören. "Was soll ich sagen? Schwarz war uns halt zu fad, wir wollten mehr Farbe", analysiert ein junger Mann den Wahlgang.

"Blaues Auge"

"Mit dem hat doch keiner gerechnet, dass wir plötzlich die blaue Hochburg sind", meint vielmehr der Altmeloner Kurt Frauendorfer. "Es war ein Denkzettel vor allem für die Bundes-ÖVP. Wenn man so abgehoben ist, darf man sich nicht wundern, wenn am Wahltag die Wähler weg sind. Es ist die Abrechnung dafür, was da alles passiert ist." Im Ort selbst ändere sich jetzt gar nichts: "Wir haben ein blaues Auge bekommen. Aber das tut nicht weiter weh. Wir sind mit unserem schwarzen Bürgermeister sehr zufrieden."

Einen Tisch weiter stellt ein Stammtischjünger klar: "Ich schau seit 20 Jahren keine Zeit im Bild mehr. Da seh ich sonst die Gfrieser, die mich anlügen, auch noch. Ich kenn gerade einmal den Kanzler, alle anderen Minister kennst ja heute nicht mehr. Alle zwei Wochen sitzt da ein Neuer." Und überhaupt: "Uns regieren die Medien. Immer hörst den gleichen Scheiß, dass alle Politiker alles falsch machen. Und dann wird natürlich so gewählt."

Generell seien die Leute "angefressen von dem ganzen Kas, den die immer aufführen", meint ein weiterer Gast. Es seien alle Politiker "korrupte Hund", und da sei eben "jeder angspeist." Nachsatz: "Die EU und der ganze Mist. Ich möcht ja nicht wissen, wie viele Geldsackl da jeder daheim hat. Das geht jedem auf den Hammer. Die Kleinen müssen sparen und die schieben sich das Geld in die Taschen."

Auch im örtlichen Gemeindeamt hängt der Haussegen nach der Landtagswahl schief. "Ich habe schon befürchtet, dass es nicht gut ausgehen wird", erzählt Bürgermeister Manfred Stauderer (ÖVP). Einen der Hauptgründe sieht der Ortschef in der Impfdebatte. "Bei uns im Ort wurde darüber heftig diskutiert. Mit Einführung der Impfpflicht und vor allem der Zustimmung von Landeshauptfrau Mikl-Leitner ist die Stimmung endgültig gekippt. Jetzt war dann eben Zahltag."

Eine Mitschuld am schwarzen Debakel trage, so Stauderer, aber auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen: "Drei Tage vor der Wahl öffentlich zu sagen, dass er einen Herrn Kickl nicht als Kanzler angeloben würde, hat wohl die letzten Unentschlossenen in das Lager der FPÖ getrieben. Das hat der Van der Bellen doch sicher mit Absicht gemacht, der wollte der ÖVP schaden. Er hätte es sonst auch am Tag nach der Wahl verkünden können."

Farbwechsel in Gmünd

Schauplatzwechsel in den Bezirk Gmünd. Gut sechzig Kilometer von Altmelon entfernt liegt die Ortschaft Amaliendorf-Aalfang. Auch dort sorgten die Wahlberechtigten unter den 1116 Einwohnern für einen Farbwechsel. Mit satten 37,7 Prozent landete die FPÖ auf dem ersten Platz. Und bescherte der SPÖ einen herben Dämpfer. Den einzigen zweistelligen Verlust im Bezirk Gmünd hat die SPÖ nämlich mit einem Minus von 11,1 Prozent ausgerechnet in einer der bislang landesweit letzten Hochburgen eingefahren.

Entsprechend ist die aktuelle Stimmungslage im rot besetzten Gemeindeamt. "Es hat sich abgezeichnet, dass die FPÖ dazugewinnen wird und die Absolute der ÖVP fällt. Aber mit diesem Desaster habe ich nicht gerechnet. Es ist verheerend, einfach erschütternd", ist Bürgermeister Gerald Schindl (SPÖ) hörbar geknickt. Er sei "überrascht", dass "die FPÖ, die für das Land noch nie etwas geleistet hat", landesweit auf den zweiten Platz kommt. Schindl: "Leute, wo samma? Sind die Werte, die die Gemeinden schaffen, plötzlich nix wert?" Die FPÖ lehne sich zurück, arbeite nichts und kassiere die Stimmen. Schindl: "Die Dame von der FPÖ, die jetzt bei uns gewählt wurde, hat bis dato noch nix gemacht. Außer die Goschn am Sportplatz deppert aufgerissen."

Die Botschaft richtet sich an die blaue Spitzenkandidatin und klare Wahlgewinnerin Anja Scherzer: "Die Aussagen zeigen, wie tief das Niveau unseres Bürgermeisters ist. Eigentlich ist es schäbig, den Wählerwillen so durch den Dreck zu ziehen. Ich habe 870 Vorzugsstimmen im Bezirk bekommen. Hätte ich nichts gemacht, wäre die Wahl in die Binsen gegangen." Das Ergebnis sei ein "deutliches Signal, dass keiner mehr eine ÖVP- oder SPÖ-Allmacht will".

Rote Basisprobleme

Den Wandkalender im roten Bürgermeisterbüro ziert der Spruch "Nichts muss so gut vorbereitet sein wie eine Improvisation". Zumindest der Wechsel an der Spitze der SPÖ Niederösterreich am Tag nach der Wahl dürfte aber in die Kategorie unvorbereitete Improvisation fallen. War der rote Spitzenkandidat Franz Schnabl die falsche Besetzung? "Im Nachhinein ist es immer leicht, irgendwem die Schuld zuzuschieben. Aber er hat alles versucht." Es stimme, dass man als SPÖ aktuell auf Bundes- und Landes- und auch auf Gemeindeebene die Jugend nicht ausreichend ansprechen könne. "Und die SPÖ ist so weit weg vom kleinen Mann, vom Kleinverdiener. Glauben Sie in der Bundespartei kann sich wer vorstellen, dass es Familien gibt, die mit 1200 Euro auskommen müssen?"

Er sei aktuell "sehr demotiviert", erzählt Schindl. "Wenn jetzt die FPÖ künftig bei den Gemeindefinanzen mitredet, dann brauchst als rote Gemeinde um nichts mehr ansuchen. Keinen Nasenrammel kriegen wir mehr." Ein Wechsel an der eigenen Bundesspitze sei aber nicht sinnvoll: "Es fehlt die Alternative. Wir bräuchten einen wie den Kreisky, der alle Themen anspricht." Aber so einen "Sonnenkönig" gebe es heute in der SPÖ "leider nicht mehr". (Markus Rohrhofer, 2.2.2023)