Wolfgang Göb hatte vor einigen Jahren ein Schlüsselerlebnis. Der 52-jährige Wiener ist mit seiner Tochter zu einer Hochtour in die Glocknergruppe aufgebrochen. Natürlich mit dem eigenen Pkw. Auf dem Parkplatz der Kaiser-Franz-Josef-Höhe an der Glocknerstraße habe er die zwei Rucksäcke aus dem Kofferraum geholt, und da sei ihm klargeworden, wie grotesk das Verhältnis sei: "Da fährst du zwei Tonnen Blech quer durch Österreich, nur um zwei Rucksäcke zu transportieren, die ohnehin nicht mehr wiegen dürfen, als du tragen kannst."

Die handliche und vor allem leichte Skitourenausrüstung vereinfacht die An- und Abreise mit den Öffentlichen.
Foto: Stefanie Ruep

Seit damals reist der Physiker und Allroundalpinist zu Touren mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. "Nicht ausschließlich", sagt Göb im STANDARD-Gespräch, er betreibe einen Mix, da manche Bergziele mit den Öffentlichen nicht oder nur schwer zu erreichen seien. Klassische Firn-Skitouren, wo man oft schon um sechs Uhr in der Früh mit dem Aufstieg beginne, seien ohne Auto unmöglich.

Das ÖBB-Angebot "Rail & Drive" etwa sei durchaus attraktiv zum Bergsteigen, um "die letzte Meile" zu schaffen. Göb fährt aber rein "öffentlich" auch als Tagestour von Wien an den Wolfgangsee im Land Salzburg zum Klettern, und er ist natürlich auch auf Skitour immer wieder "rein öffentlich" unterwegs.

Überquerungen

Wie das auch von Wien als Tagestour geht, erzählt er am Beispiel einer Dachstein-Überquerung im März vergangenen Jahres: Zuerst gehe es – Abfahrt kurz vor sechs Uhr in der Früh – von Wien mit dem Zug nach Schladming, dann mit dem Bus hinauf zur Dachstein-Seilbahn, mit der man am "frühen Vormittag" bergwärts gondle.

Für die Abfahrt über die Gjadalm durch die Eisgrube hinunter zur Talstation der Krippensteinbahn hätten seine Tochter und er sich Zeit gelassen; "da wäre der Dachstein-Gipfel noch leicht drin gewesen", sagt Göb. Dann sei man mit dem Bus nach Obertraun und von dort mit dem Zug retour nach Wien gefahren. Ankunft in Wien etwa um 20 Uhr, erzählt Göb.

Gerade für solche Überquerungen seien die Öffis unschlagbar, sagt er. Sonst habe man immer das leidige Problem mit den zwei Autos – eines am Startpunkt, das zweite am Endpunkt der Tour. Neben dem Klima- und dem Kostenargument führt er aber für sich vor allem eines ins Treffen: "Es braucht zwar alles ein wenig länger, ist aber in Summe viel entspannter und gemütlicher." Apropos gemütlich: Die Tourenausrüstung sei inzwischen so leicht, dass alles sehr einfach zu transportieren sei. Man habe nur ein Paar Zustiegs- oder Turnschuhe zusätzlich zu tragen.

Psychologie

Nachsatz: Etwas Psychologie sei auch dabei. Man müsse sich von der Idee lösen, nach der Tour um 18 Uhr zu Hause sein zu müssen. "Ob du um sieben oder um neun Uhr abends wieder daheim bist, das muss dir egal sein."

Die Psychologie bemüht auch Hati Finsterer. Der Bergführer ist Chef des professionellen Alpinveranstalters Alps im oberösterreichischen Ottensheim und strebt schon seit längerem mit dem Projekt Alpszero eine Reduktion des CO2-Ausstoßes bei geführten Bergtouren oder Kursen an.

Zur aktuellen Bilanz schreibt Finsterer auf seinem Facebook-Profil: "Die ersten Kennzahlen 2022/23 bei unseren CO2-intensivsten Kursen, den Skitourenanfängertagen: ein sehr durchwachsenes Ergebnis: Die erste Tonne CO2 haben wir schon verblasen, es gibt null öffentliche Anreisen trotz Klimabonus, einfacher Anreise und hoher Parkgebühren. Die gute Nachricht: Die Belegung der Autos hat sich von 1,4 auf 2,18 erhöht und der CO2-Ausstoß pro Bergeinheit um 23 Prozent auf 12,36 Kilogramm gesenkt."

Freiheitsgefühl und Individualität sind Kernwerte im Bergsport. Für viele gehen diese mit Bus und Bahn nicht zusammen.
Foto: Thomas Neuhold

Im STANDARD-Gespräch erklärt Finsterer die insgesamt geringe Akzeptanz der Öffentlichen im Bergsport mit den Kernwerten im Bergsport: "Individualität und Freiheitsgefühl". Die zeitliche und räumliche Unabhängigkeit sei enorm wichtig, dies würden die wenigsten mit Bus oder Bahn verbinden. Seiner Erfahrung nach nehme derzeit etwa ein Prozent seiner Kursteilnehmer das Angebot, mit Öffis anzureisen, auch an.

Dass Parkgebühren am Startpunkt der Tour ein Regulativ sein können, glaubt Finsterer nicht. Zwei Drittel der Skitourengeher und -geherinnen kämen aus einkommensstärkeren Schichten. Finsterer setzt vielmehr darauf, die Anreise als "Erlebnis" zu gestalten: "Die Bergtour fängt daheim an, der Gesamtbogen schließt sich dann mit der Heimreise."

Lange Wunschliste

Fragt man bei alpinen Vereinen und Mobilitätsanbietern nach, ergibt sich ebenfalls ein durchwachsenes Bild. Zwar sind alle sehr bemüht – die alpinen Vereine vergeben Klimatickets, viele Alpenvereinsektionen bieten Öffi-Skitouren an, der Salzburger Verkehrsverbund beispielsweise hat im Umkreis der Landeshauptstadt Salzburg sogar Gratisangebote für Skitouren im Programm –, bis zu einem wirklich zufriedenstellenden Gesamtbild aus Sicht potenzieller Nutzer und Nutzerinnen ist es aber wohl noch ein gutes Stück.

Irene Welebil, in der Alpenvereinszentrale für Mobilitätsfragen zuständig, fasst die Entwicklung im STANDARD-Gespräch so zusammen: "Das größte Defizit für Bergsportbegeisterte ist, dass das Öffi-Netz inklusive Taktung oft nicht an die Bergsportcommunity, sondern an die Bedürfnisse des Berufs- und Pendelverkehrs angelehnt ist." Es gebe aber auch Positivbeispiele: So seien heuer im Tiroler Wipptal die Fahrpläne an die sportlichen Öffi-Nutzer angepasst worden. "Es sind nun alle fünf Seitentäler auch an den Wochenenden mit dem Bus erreichbar. Hier gilt die Devise: Je mehr diese Verbindungen genutzt werden, desto eher werden diese erweitert."

Als positives Beispiel für Öffiverbindungen zu Wintersportgebieten dient das Tiroler Wipptal.
Foto: Thomas Neuhold

Durchaus ähnlich klingt auch Christian Schernthaner vom Salzburger Verkehrsverbund: In gut ausgelasteten Kernzeiten kann es mit der Kapazität und dem Verstauen der Ausrüstung schwierig werden. Und am Wochenende seien die Takte oft nicht so dicht wie werktags. (Thomas Neuhold, 3.2.2023)