Wenn also demnächst ein Brandstätter-Buch im heimischen Handel ausverkauft ist, kann es dann nicht nachbestellt werden? Doch, sagt der Verleger. Doch die Lieferwege sind teurer.

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Vor zwei Wochen wurde für Verleger Nikolaus Brandstätter die drohende Insolvenz des zweitgrößten heimischen Buchauslieferers Medienlogistik absehbar – der auch sein Auslieferer ist. Anfang dieser Woche haben er und Verlegerkollegen sich deshalb an die Medien gewandt. Denn es sei ein "Erdbeben", das da durch die Branche gehe, sagt er im Gespräch. Insolvenz bedeutet in diesem Fall nämlich im Unterschied zu anderen Branchen nicht, dass nur die Warenauslieferung gefährdet ist. Sondern im Buchbereich managt der Logistiker auch die Zahlungsflüsse vom Handel zu den Verlagen.

Üblicherweise wird einmal im Monat abgerechnet. Die Umsätze aus dem Weihnachtsgeschäft, der für die Buchbranche wichtigsten weil umsatzstärksten Zeit, und teilweise auch noch von November und Oktober sind nun aber Teil der Insolvenzmasse. Das am 25. Jänner angemeldete Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung nimmt eine Quote von 20 Prozent für die Gläubiger an. Das heißt, im schlimmsten Fall fiele Brandstätter um 80 Prozent der Einnahmen aus dem heimischen Weihnachtsgeschäft um. Ebenso die anderen rund 80 betroffenen Verlage. "Es ist der denkbar ungünstigste Zeitpunkt für einen Zahlungsausfall", sagt er. Die direkten Forderungen des Verlags gegenüber dem Auslieferer belaufen sich laut ihm auf einen hohen sechsstelligen Betrag.

Nikolaus Brandstätter wird privat Geld zuschießen, um seinen Verlag zu stützen.
Foto: Gianmaria Gava/Brandstätter Verlag

Die Medienlogistik Pichler-ÖBZ mit Sitz in Wiener Neudorf lieferte als zweitgrößter heimischer Buchlogistiker zuletzt acht Millionen Bücher im Jahr aus und betreute die Auslieferung für größere Verlage wie Styria, Kremayr & Scheriau oder kleinere wie Müry Salzmann. "Mitunter systemrelevante Verlage für die heimische Branche", sagt Brandstätter. Der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels (HVB) rechnet mit einem Gesamtschaden von 1,5 bis zwei Millionen Euro.

Hilfe von der Politik nötig

Brandstätter hält diese Zahl für zu niedrig. Gustav Soucek, Geschäftsführer des HVB, erklärt, sie basiere auf Umfragen bei Verlagen und sei eine erste Einschätzung. Die genaue Schadenssumme wisse man erst, wenn sich alle Gläubiger beim Masseverwalter gemeldet hätten. Forderungsanmeldungsfrist ist der 6. April. Soucek hofft im Sinne der Klarheit auf ein schnelles Verfahren, spricht aber von einer "veritablen Krise" für die betroffenen Verlage. "Lebensbedrohend" sei die Situation nach seiner Kenntnis bisher zwar für niemanden: "eine Verlagsinsolvenz infolgedessen sehe ich derweil nicht."

Dass aber finanzielle Hilfe von der Politik nötig ist, ist für ihn klar. Auch wenn er ihr nicht medial ausrichten will, was es brauche. Gespräche mit Kultur- sowie Wirtschaftsministerium laufen. Aus dem Kulturministerium heißt es, man verschaffe sich ein Bild von der Situation. Maßnahmen würden vom Ausgang des Insolvenzverfahrens abhängen.

Im Herbst hat Brandstätter bei der Medienlogistik Lieferverzögerungen festgestellt. Die seien ihm schlüssig mit Personalmangel erklärt worden. Auch daraus resultierende Umsatzeinbußen bringt er in die Verlustrechnung ein. Schwer wiegt auch künftige Unsicherheit.

Angst vor Standortschwächung

So sei es seinem Verlag bisher gelungen, Autoren nennenswerte Vorschüsse für Bücher zu zahlen und in Werbung zu investieren. Sollten Verlage infolge dieser Insolvenz größere Verluste lukrieren, würde sie das wirtschaftlich schwächen. "Ich gehe davon aus, dass es massive Auswirkungen auf die österreichische Autorenlandschaft haben und eine starke Abwanderung Richtung Deutschland verursachen kann." Um so eine Schwächung des Verlags auch durch größere Einschnitte zu verhindern, wollen er und sein Vater als Eigentümerfamilie finanziell einspringen.

Derweil sind jedenfalls alle Bestände des Verlags bei der Medienlogistik eingefroren, bis man mit dem Masseverwalter ein Abkommen finde, wie man gegen Sicherstellungen die Lieferungen wieder aufnehmen könne. Ein Treuhandkonto oder sehr kurzfristige Zahlungsläufe sind gerade in Verhandlung.

Wenn also demnächst ein Brandstätter-Buch im heimischen Handel ausverkauft ist, kann es dann nicht nachbestellt werden? Doch, sagt der Verleger. Doch die Lieferwege aus Deutschland, auf die man temporär ausgewichen ist, sind erstens für den heimischen Handel teurer, zweitens haben nicht alle Buchhändler Verträge mit diesem Auslieferer.

Weiterhin Umsatzverlust

Auch die Styria-Buchverlage sind von der Insolvenz betroffen, auch sie arbeiten an einer Lösung. Die Styria hat ebenso die Auslieferung ihrer Bücher über die Medienlogistik vorübergehend gesperrt. Heimische Buchhandlungen können ihre Bücher derweil über die Barsortimente beziehen. Auf die greifen sie auch sonst zurück, wenn ein Buch über Auslieferer kurzfristig nicht verfügbar ist. So ein Zwischenhändler kommt den Buchhandel aber ebenso teuer, daher kauft er dort ungern ein. Mit Umsatzverlust ist also weiterhin zu rechnen. "Je länger diese Hängepartie andauert, desto größer wird der Schaden auf allen Seiten", sagt Styria-Geschäftsführer Matthias Opis. Er findet "diesen Crash vor allem für kleinere Verlage existenzgefährdend", spricht von einem drohenden "Kahlschlag" und einem "nicht leicht zu kompensierenden Erlösausfall".

"Ein nicht leicht zu kompensierender Erlösausfall": Matthias Opis von der Styria.
Foto: Harald Eisenberger

Wäre ein Wechsel des Auslieferers eine Lösung? Mit dem größten heimischen Buchlogistiker Morawa hat Brandstätter schon gesprochen. Ob er umsteigt oder ob die Medienlogistik saniert werden könne, sei noch unklar. Ein Wechsel sei aber nichts, was "man in wenigen Tagen bewerkstelligen kann", sagt Opis.

Einerseits müssten dafür dutzende oder hunderte Paletten mit Büchern physisch von einem Lager in ein anderes überführt werden, andererseits Daten in IT-Systemen geändert. Kapazitäten für Neukunden seien jedenfalls vorhanden, sagt Morawa-Geschäftsführer Wolfgang Rick. Wie schnell ein Umstieg vor sich gehen könne, hänge aber auch von der Vertragssituation der Verlage ab. Medienlogistik arbeitet mit jährlich kündbaren Verträgen.

Preissteigerungen und weniger Aufträge

2018 ist in Österreich der Auslieferer Hain, 2019 in Deutschland KNV pleitegegangen. Sie haben sich mit Investitionen übernommen oder Großkunden verloren. Letzteres hat auch die Medienlogistik in die aktuelle Situation gebracht. Im November haben die beiden größten Kunden ihre Verträge nicht verlängert, so brachen dem Unternehmen 50 Prozent Auftragsvolumen weg. Und das in einem seit Corona ohnehin schwieriger gewordenen Umfeld, sagt Geschäftsführer Franz Lintner. Erst haben etwa Hygienemaßnahmen die Kosten in die Höhe getrieben, 2022 kam die allgemeine Teuerung dazu. Preissteigerungen von 50 Prozent bei Papier, Kartonagen, Treibstoff und Energie habe man aber in den Bestandsverträgen nicht an die Verlage überwälzen können. "Wir konnten die letzten drei Jahre keine Reserven aufbauen, das hat uns in so einer Situation angreifbarer gemacht."

Lintner würde das Unternehmen gern nach der Insolvenz um ein Drittel "gesundgeschrumpft" kleiner fortführen. Aus Unterlagen gehen Verbindlichkeiten von zehn Millionen Euro hervor. Kann die Insolvenz nicht abgewickelt werden, wird es teurer. Warum sollten Verlage ihm die Treue halten? Künftige Umsätze seien sicher, kann Lintner dazu etwa ins Feld führen: Jede Verbindlichkeit nach Insolvenzeröffnung sei zu zahlen, dafür werde gehaftet. "Vorausgesetzt allerdings, dass wir dieses Sanierungsverfahren positiv abschließen können. Damit, dass uns die übrigen Verlage treu bleiben, steht und fällt unsere Zukunft."

Die Gespräche der Beteiligten laufen. (Michael Wurmitzer, 3.2.2023)