Kommissionspräsidentin von der Leyen wollte den EU-Gipfel mit Präsident Selenskyj in Kiew.

Foto: Ukrainian Presidential Press Service via Reuters

Es ist ein in der Geschichte der Union einmaliger EU-Gipfel, der am Freitag in der ukrainischen Hauptstadt über die Bühne geht. Politisch betrachtet sendet er das bisher stärkste Signal an Moskau und die Welt, dass die Union im Krieg Russlands gegen die Ukraine fest an der Seite des angegriffenen EU-Beitrittskandidaten steht.

Angeführt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel – er steht für die 27 Regierungschefs der Mitgliedsstaaten –, reiste eine große EU-Delegation am Donnerstag nach Kiew. In zwei Arbeitstreffen wird sie mit Präsident Wolodymyr Selenskyj einen EU-Ukraine-Gipfel abhalten.

Es ist das 24. Treffen auf höchster politischer Ebene, seit die Ukraine 2015 ein enger Partner der Gemeinschaft geworden ist. Die meisten Gipfel fanden in Brüssel statt. Aber es sind nun die besonderen Umstände, die diesen so wichtig machen. Seit dem Blitzbesuch Selenskyjs bei US-Präsident Joe Biden in Washington im Dezember war lange spekuliert worden, wann der Ukrainer in der EU-Hauptstadt auftaucht. Nun hat man das spektakulär "umgedreht".

EU-Beitritt umstritten

Neben den EU-Spitzen sollen nicht weniger als 16 EU-Kommissare mit von der Partie sein, darunter der Hohe Beauftragte für die Außenpolitik, Josep Borrell. Im Vorfeld gab es gröbere Sorgen wegen der Sicherheit. Die Abschlusskonferenz von Selenskyj, von der Leyen und Michel am Freitag wird nicht live sein, sondern nach einer Aufzeichnung gesendet, nach Abreise der Gäste.

Es kursierten Notfallpläne dazu, was geschieht, sollte es zum Äußersten, einem Ausfall von Kommissaren, kommen. Vizepräsident Frans Timmermans blieb in Brüssel zurück, um notfalls die Geschäfte zu übernehmen. "Allein die Tatsache, dass der Gipfel überhaupt stattfindet, ist schon ein wichtiges Zeichen", ein Erfolg, hieß es im Vorfeld in Ratskreisen. Tatsächlich war es seit Beginn des Krieges vor bald einem Jahr die Kommission, die sich offensiv für die Ukraine starkmachte, schon am ersten Kriegstag mit EU-Sanktionen gegen Russland.

Gemeinsame "Erklärung von Kiew"

Von der Leyen hat die Ukraine seither viermal besucht. Diese unbedingte Unterstützung des Landes kommt auch in Dokumenten zum Ausdruck, die am Freitag als gemeinsame "Erklärung von Kiew" öffentlich werden sollen.

Selenskyj und seine Regierung drängen vehement darauf, dass die EU ihnen einen konkreten Zeitplan zum Beitritt nennt. In zwei Jahren wollen sie EU-Mitglied sein.

Das ist naturgemäß ausgeschlossen. Die Erklärung wird anerkennen, dass Kiew bei der Angleichung seines Rechtssystems an EU-Standards Fortschritte mache, dass etwa Korruption bekämpft werde. Vertreter der Mitgliedsstaaten sehen es kritisch, wenn in der Ukraine "überzogene Erwartungen" geweckt werden. Die Ukraine ist weit weg davon, die Beitrittskriterien zu erfüllen.

Wichtiger im Moment sind freilich die konkreten Finanz- und Militärhilfen. Bisher haben EU und Mitgliedsstaaten im Krieg 60 Milliarden Euro für das Land aufgebracht. Zehn Milliarden gingen in Flüchtlingshilfe, zwölf Milliarden in die Lieferung von Kriegsmaterial. Für 2023 ist eine Makrofinanzhilfe von 18 Milliarden Euro in Form von Krediten vorgesehen, mit denen staatliche Ausgaben, u. a. für das Sozialsystem und Renten, finanziert werden.

Wiederaufbau gigantisch

Vorerst nur theoretisch sind Pläne für ein großes Wiederaufbauprogramm nach dem Krieg, sollte es zu Friedensverhandlungen kommen. Die Schätzungen, wie viel benötigt wird, reichen von 500 bis 1000 Milliarden Euro.

Militärisch will die EU weiter behilflich sein. Bisher wurden aus dem EU-Budget für 3,5 Milliarden Euro Waffen und Material geliefert. Der Außenbeauftragte Borrell wird bekanntgeben, dass die EU weitere 15.000 Soldaten zur Ausbildung in einem EU-Land einladen wird, ebenso viele waren bereits seit November in Trainings. Von der Leyen kündigte auch ein zehntes Sanktionspaket gegen Russland an. (Thomas Mayer, 3.2.2023)