600 Anmeldungen gab es, aber nur 300 Plätze für das erste Schnuppertraining im Ernst-Happel-Stadion.


Foto: STANDARD/Christian Fischer

Die Wiener Stadtadler, der einzige Skisprungverein für Wien und Niederösterreich, gehen auf Talentejagd.

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In Kleingruppen dürfen Kinder rund eine Stunde lang erste Sprung- und Schanzenerfahrungen sammeln.

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Und das erstmals im Praterstadion.

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Gemeinhin gilt es als schlechte Idee, in Geschichten mit Wetterbeschreibungen einzusteigen. Meteorologische Lagen ändern sich schnell. Also besser Finger weg. Aber hier passt es. Über Europa befand sich vor zwei Wochen nicht ein barometrisches Minimum, sondern derer gleich drei. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur. Mit einem Wort: Es war ein kalter Jännertag.

Zudem gab es Schnee. Perfekte Bedingungen für körperliche Ertüchtigung wintersportlicher Natur. Etwa im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Üblicherweise ist der Betonklotz an diesen Tagen im Jahr in Winterstarre, beim Eingang vorm Sektor B herrscht dennoch ein reges Kommen und Gehen. Die Wiener Stadtadler, der einzige Skisprungverein für Wien und Niederösterreich, gehen nämlich auf Talentejagd. Zwar veranstaltet der Sprungklub Schnuppertrainings für sechs- bis neunjährige Mädchen und Buben regelmäßig, aber erstmals darf man welche in Österreichs größtem Stadion abhalten.

Am Sprung

Gleich für vier Tage, aufgeteilt auf zwei Jännerwochenenden, hat man daher eine Minischanze, der man ihr Rampenwesen im Innersten noch anmerkt, aufgebaut und ein wenig die Werbetrommel gerührt. "Es gibt über 600 Anmeldungen, wir haben aber nur Platz für 300 Kinder", erklärt Florian Danner. Sollte es in der menschlichen Mimik so etwas wie ein lachendes und ein weinendes Auge wirklich geben, Danner ist diesem Ausdruck gerade sehr nahe. Der Journalist und Moderator bei Puls 4, sein Sohn trainiert bei den Stadtadlern seit ein paar Jahren, ist ehrenamtlicher Vereinsvorsitzender und Ansprechpartner für Medien. Er hat das Sprungtraining mit organisiert. "Ein in dieser Dimension für uns noch nie dagewesener logistischer und organisatorischer Aufwand", erzählt Danner.

Aber es läuft wie am Schnürchen. In Kleingruppen dürfen Kinder rund eine Stunde lang erste Sprung- und Schanzenerfahrungen sammeln. Dann sind die nächste an der Reihe. Zuerst wird an der Koordinationsleiter aufgewärmt. Dann geht es mit echten Minisprungskiern die Schanze runter. Danach dürfen jene, die wollen, noch Strecksprünge in einen dicken Mattenhaufen machen. "Das ist euer Trainer, Christian Moser", stellt Danner, ganz in seinem Moderatorenelement, dem Schnuppertrupp den Coach der Stunde vor. "Er ist schon einmal 147 Meter weit gesprungen. Das ist die Distanz von einem Ende dieses Stadions zum anderen." Einige Eltern nicken die Info staunend ab, die Kinder versuchen es einzuordnen, zeigen sich aber unbeeindruckt.

Adler in der City

Christian Moser ist jedenfalls Cheftrainer und Gründervater der Wiener Stadtadler. 1994 gewann er in Lillehammer im Teamspringen olympisches Bronze. Ihn kann man also so ziemlich alles zum Skisprungsport fragen. Zum Beispiel, ob er im Team auch einen Spitznamen mit i am Ende verpasst bekommen hat? Das hat in diesen Kreisen ja Tradition. Buwi, Toni, Goldi, Kofi, Morgi, Schlieri, Fetti, Krafti. Es wirkt beinahe so, als wolle man mit der Verniedlichung der Namen dem Sport die latente Gefahr und dem Sprung in die Tiefe die Melancholie nehmen. "Nein. Sie nannten mich Moses," kontert Moser trocken. Das geht spitznamentechnisch jetzt zwar in die komplett andere Richtung, passt aber noch immer. Schließlich verkündet Moser seit 2004 die Skisprunggebote in Wien und seinem Speckgürtel.

Toni Innauer, damals ÖSV-Direktor, setzte dem gebürtigen Kärntner, den es beruflich nach Wien verschlagen hat, den Floh ins Ohr, eine Skisprung-Community rund um die Stadt aufzubauen. "In einem so einwohnerstarken Gebiet müssten doch eigentlich athletische Talente schlummern, die sich für Skisprung begeistern", fasst Moser die Ausgangsidee zusammen. Und ja, man wurde damals in der Skisprungszene belächelt: "Aber wir wussten genau, was und wohin wir wollten."

Siege gegen den Schanzenadel

Heute erntet man keine Süffisanz mehr vom alteingesessenen Schanzenadel. Aktuell stellen die Wiener etwa mit Sara Pokorny eine amtierende Staatsmeisterin bei den Schülerinnen, man verweist mit Stolz auf zwölf Gesamtsieger der internationalen Kindervierschanzentournee, und sechs Stadtadler schafften dann auch den Sprung in die Skigymnasien Stams und Saalfelden. Heißestes Eisen im Stadtadlerhorst ist im Moment Louis Obersteiner. Im Vorjahr holte der 18-Jährige Gold bei der Jugend-Olympiade. Keine schlechte Bilanz für einen Verein mit 200 Mitgliedern und knapp 70 aktiven Springerinnen und Springern.

Damit es so bleibt, wird daher gescreent. "Wir achten bei den Kindern dabei vor allem auf gute Koordination und motorische Fähigkeiten, das sind recht brauchbare Indizien zur Einschätzung von möglichem Talent."

Schnee von heute

Hat man Talente gefunden, heißt es, das Feuer der Begeisterung weiter zu schüren. Denn so ein Nachwuchsspringerleben ist dann doch auch ein bisschen mühsam. Weniger unter der Woche, wenn in der Halle Sprungkraft und Kondition gestärkt werden, sondern eher an Wochenenden. Dann geht es nämlich zum Springen an die Schanzen – und da hat Wien einen gröberen Standortnachteil. Außer der mobilen Minischanze für Schnuppertrainings gibt es nämlich nichts. Die nächstgelegene Anlage findet sich in Mürzzuschlag. Oft tingeln Vereinsbus und Eltern noch weiter quer durchs Land. Ergo: "Was wir brauchen, sind kleine Trainingsschanzen, auf denen dann der Nachwuchs das ganze Jahr trainieren kann", formuliert Christian Moser einen frommen Wunsch recht konkret. Sein Traum: eine 50-Meter-Mattenschanze, die das ganze Jahr über in Betrieb ist.

Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass es in Wien eine Skisprungschanze gibt. Die letzte, sie stand auf der Himmelhofwiese gegenüber dem Bahnhof Hütteldorf, ist allerdings 1980 abgebrannt. Brandstiftung. Weitere Schanzen gab es im Kasgraben in Penzing und am Cobenzl. Aber auch das ist Schnee von gestern.

Gespräche und Bereitschaft von der Stadtgemeinde gibt es jedenfalls. Das signalisiert auch Stadtrat Peter Hacker, der für Sportagenden zuständig ist. Er kommt mit einer kleinen Entourage zum Schnuppertraining ins Stadion hereingeschneit: "Eine Skisprungschanze in Wien? Das Vorhaben ist so absurd, dass es schon wieder interessant ist", erklärt Hacker und führt aus, dass sich Rahmenbedingungen geändert haben und damit auch mögliche Rentabilitätsfaktoren: "Man braucht ja nicht mehr unbedingt Schnee, um den Sport auszuüben." Was es allerdings schon braucht, ist ein Standort und vor allem: "Starke Partner aus der Wirtschaft, die dieses Vorhaben finanziell mittragen", so Hacker.

In der Zwischenzeit wird die nächste Gruppe an Sprungnovizen von Florian Danner instruiert. Es läuft wie am Schnürchen. (Manfred Gram, 3.2.2023)