Für Karl* ist die Beziehung zu seinem Therapeuten ein treibender Faktor, um mit seinen pädophilen Neigungen umzugehen.

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Karl* war schon Anfang 20, als ihm bewusst wurde, dass er pädophil ist. Seit über zehn Jahren geht er in Therapie. Er ist auf Anfrage des STANDARD bei der Männerberatung Wien freiwillig mit der Redaktion in Kontakt getreten, um seine Sichtweise zu schildern. Der über 40-jährige Angestellte berichtet, wie er versucht, sein Verhalten zu therapieren. Ihm ist wichtig zu betonen, dass nicht alle Pädophilen automatisch Straftäter sind.

Seitdem ich in Therapie bin, ist meine Pädophilie viel mehr in den Hintergrund getreten. Anfangs war es ständig ein Thema. Ich befürchte, ich habe es noch rationalisiert, mir selbst gesagt, dass es akzeptabel ist. Doch bei jedem Kind, das ich auf der Straße sah, musste ich sofort an Sex denken, nicht zwingend mit der Person, auch keine sexuellen Fantasien. Aber dauernd der Gedanke an meine Neigung und an Sex. Das war sehr, sehr unangenehm. Zumindest unbewusst dürfte mir wohl doch klar gewesen sein, dass es nicht okay ist. Bis vor kurzem hätte ich gesagt, dass ich nie eine Gefahr gewesen wäre. Aber mittlerweile bin ich mir gar nicht so sicher. Ich glaube nicht, dass ich ein Kind entführt hätte oder so. Aber ich weiß auch nicht, welche Berührungen ich, obwohl sie aufgrund meiner Empfindungen vielleicht unpassend gewesen wären, geduldet hätte.

Es dauerte einige Zeit, bis sich Karl tatsächlich professionelle Hilfe suchte. Diese habe er sich zunächst nicht leisten können. Zudem hemmte ihn die Angst, dass irgendwer davon erfahren könnte, dass er pädophil ist, wie er sagt.

Vor dem ersten Kontakt holte er sich eine SIM-Karte mit neuer Telefonnummer und fuhr weit hinaus, damit sein Standort nicht nachverfolgt werden konnte.

Zu Beginn sah er sich vereinzelt Fotos von Missbrauch an sowie FKK-Bilder, "so unangenehm es mir ist, das zu sagen". In der Therapie habe Karl gelernt, warum das falsch ist. Für die Produktion solcher Inhalte wird ein Kind missbraucht – der Konsum und die Verbreitung fördern das.

Therapeut als treibender Faktor

Überhaupt sei die Beziehung zu seinem Therapeuten für ihn ein treibender Faktor. Er habe sich von Anfang an vorgenommen, ihn nicht anzulügen. Gleichzeitig sei es ihm wichtig, was Menschen von ihm denken. "Deswegen war klar: Ich muss aufpassen, was ich tue", erzählt er. "Ich wollte nicht in einer Woche reinkommen und sagen müssen, dass ich versagt habe." Mit der Zeit hätten sich seine Prioritäten dann von allein geändert.

Ganz kommt Karl aber ohne Missbrauchsdarstellungen nicht aus – er sieht sich gezeichnete Comics an. Er rechtfertigt dies damit, dass er so "keinem echten Kind schade".

Diese Comics sind eine klare Grenze für mich, die ich nicht überschreiten will. Ich schaue auch, dass ich keine Hentais, animierte Videos, schaue. Das Wichtigste ist, dass ich nicht in die "Spirale" komme. Diese Fixierung, bei der man die ganze Zeit darüber nachdenken muss und es nicht aus dem Kopf kriegt. Die Spirale, die dazu führt, dass es nicht reicht, ich mir mehr wünsche, mehr sehen möchte. Dass ich mich noch mehr damit beschäftige und mir damit auch selbst mehr schade.

Doch ist der Konsum von animierten Darstellungen tatsächlich unproblematisch? Es komme darauf an, sagt die Sexualtherapeutin Nicole Kienzl zum STANDARD. In der Forschung gebe es dazu zwei Ansätze. Der eine besagt, dass Pädophile auf diese Weise ihre abnorme Anziehung ausleben können und so zur Ruhe kommen. Umgekehrt gebe es aber das Argument, dass der Konsum womöglich die Hemmschwelle senke – und somit echter Missbrauch normalisiert werden könnte.

Forschung notwendig

Grundsätzlich fehle es aber an Forschung, um eine klare Antwort liefern zu können. "Die Zielgruppe ist leider sehr schwer zu befragen, daher gibt es kaum aktuelle und brauchbare Studien", sagt Kienzl. Es hänge auch von der Persönlichkeit ab, welche der beiden Theorien eher zutreffe. Relevant seien etwa Faktoren wie die Frage, wie seelisch ausgeglichen jemand ist oder ob ein anderes, reguläres Sexualleben vorherrscht. In der Therapie ginge man jedenfalls heute davon aus, dass sich eine pädophile Neigung nicht ändern lässt, weswegen es vor allem darum gehe, sie zu steuern.

Karl ist seit über zehn Jahren in einer Beziehung. Damit ist er kein "Kernpädophiler", also jemand, der sich ausschließlich an Kindern und Jugendlichen erregt.

Kaum Eingeweihte

Seine Freundin weiß von seiner pädophilen Neigung. Als er es ihr erzählte, habe das für große Trauer gesorgt, sagt er. Heute würde er ihr nichts davon erzählen. "Andere Menschen würden ja auch nicht ihren Partnern sagen, dass diese nicht so ausschauen, wie sie sich ihr ideales sexuelles Bild vorstellen", sagt er. Er sei es gewohnt, seine Pädophilie zu verheimlichen, weswegen es für ihn wohl kein Problem wäre, es in der Beziehung zu tun. Im Großen und Ganzen sei er jedenfalls sexuell erfüllt und liebe seine Freundin.

Ansonsten weiß nur eine Handvoll Menschen in seinem Leben von seinen Neigungen. Das liege aus seiner Sicht auch daran, wie tabuisiert das Thema in der Gesellschaft sei.

Ich würde mir wünschen, dass ich in Zukunft nicht in der Angst leben müsste, dass meine Pädophilie jemals bekannt wird. Nicht wegen meiner Lebensgestaltung. Es ist ja nicht so, als würde ich mich outen und dann könnte ich pädophil leben. Aber ich denke schon, dass wir unseren Umgang mit Pädophilie überdenken müssen. Ich habe mir das nicht ausgesucht. Trotzdem wird man als Pädophiler geächtet, auch wenn man keine Straftat begangen hat. Wenn man einmal weiß, dass jemand pädophil ist, hat man verloren. Selbst Mörder haben es leichter, wieder einen Weg in die Gesellschaft zu finden. Und ich verstehe es ja. Ich habe selbst emotional ein negatives Bild von Pädophilen. Ich muss dem aktiv entgegenwirken.

Das Wichtigste sei jedenfalls, Missbrauch zu verhindern, findet Karl. Ein Weg ist aus seiner Sicht die Prävention. In Österreich brauche es niederschwellige und günstige Angebote. "Ich habe inzwischen bestimmt mehr als 20.000 Euro für Therapie ausgegeben", sagt er. Mittlerweile könne er sich das leisten. Doch gerade jüngere Menschen hätten oft nicht die Ressourcen, um sich Hilfe zu holen. (Muzayen Al-Youssef, 2.2.2023)