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"Die Pandemie geht, das Virus bleibt", so lautet das neue Motto von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne). Bis Ende Juni sollen die noch verbliebenen Corona-Krisenregeln schrittweise ein Ende finden. Das heißt, die Maskenpflicht in Spitälern, Pflegeheimen und Arztpraxen wird ebenso fallen wie die Verkehrsbeschränkungen, und Covid-19 ist bald keine meldepflichtige Krankheit mehr.

Wie bewerten Experten diesen Schritt? "Die Pandemie ist in einer Phase, wo wir jetzt durch Corona alleine keine akute Überlastung des Gesundheitssystems befürchten müssen", sagte der Komplexitätsforscher und Regierungsberater Peter Klimek am Freitag im Ö1-Morgenjournal. "Und auch für die jetzige Welle, die gerade heranrollt, ist zu erwarten, dass es ein sattes Infektionsgeschehen geben wird, aber es ist nicht zu erwarten, dass sich das umsetzt in schwere Verläufe, die die Spitäler unter Druck bringen können, solange es sich nicht mit zu vielen anderen Infektionswellen kombiniert."

Insofern sei man nun in einer anderen Phase der Pandemie, "weil wir nicht mehr aktiv Notfallmaßnahmen setzen müssen, um diese Wellen abzuflachen". Auch das deutsche Robert-Koch-Institut hat seine Bewertung der Bedrohungslage durch Corona-Infektionen auf "moderat" herabgestuft. Es mahnt allerdings weiterhin zur Vorsicht.

"Waren beim Reagieren teilweise sehr spät dran", resümiert der Corona-Experte Peter Klimek.
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"Viel an Boden verloren"

Klimek wird darauf angesprochen, dass Österreich im Pandemieverlauf sehr restriktive Maßnahmen gesetzt habe, aber laut Zahlen der Johns-Hopkins-Universität mehr Corona-Tote zu verzeichnen hatte als Deutschland oder die Schweiz. Was ist da schiefgelaufen? "Das muss man nach den Phasen der Pandemie betrachten", entgegnet Klimek. "Wenn wir beim direkten Vergleich mit der Schweiz bleiben, ist die statistisch aussagekräftigere Größe die Übersterblichkeit, also wie viele Menschen sind mehr gestorben, als man erwartet hat."

Da sei zu sehen, dass Österreich im Vergleich mit der Schweiz zunächst eine geringere Übersterblichkeit gehabt habe, bis circa Sommer 2021, ehe sich insbesondere ab Herbst mit der Delta-Infektionswelle das Blatt dann gewendet habe. "In dieser Phase haben wir viel an Boden verloren, wo wir einfach mit der Durchimpfung oder mit den Impfkampagnen nicht so schnell in die Breite gekommen sind", resümiert Klimek.

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Gefangen in der Hü-Hott-Spirale

Dass die Corona-Politik Österreichs zeitweise wankelmütig gewesen sei, habe da auch nicht geholfen. "Auch ein Teil des Hü und Hotts war, dass wir beim Reagieren teilweise sehr spät dran waren", sagt der Experte. "Das heißt, wir haben Maßnahmen erst gesetzt, wenn die Infektionswellen schon sehr hoch waren, dadurch haben wir diese Maßnahmen dann sehr lange gebraucht, und in der Konsequenz ist dann die Bereitschaft in der Bevölkerung verloren gegangen, da mitzumachen." In dieser Spirale sei man "gefangen" gewesen.

"Ehrenlockdownrunde"

Hätte sich Österreich im Rückblick also auch Lockdowns ersparen können? "Den letzten Lockdown in der Delta-Infektionswelle kann man schon ein wenig als eine Ehrenlockdownrunde bezeichnen", sagt Klimek. Im europäischen Vergleich habe damals kaum noch ein anderes Land zu solch scharfen Maßnahmen gegriffen. "Das hätte man damals leicht verhindern können, es war ja schon absehbar, dass man mit der Impfrate da nicht hinkommt, dann hätte man etwas weniger invasive Maßnahmen etwas früher machen können, dann hätte sich das auch ohne Lockdown ausgehen können."

Klimek wird auch damit konfrontiert, dass er im vergangenen Sommer 30.000 bis 70.000 Corona-Infektionen pro Tag prophezeit habe, was dann aber nicht eingetroffen sei. "Das war natürlich eine Lehrstunde", erklärt Klimek. "Wir haben in derselben Prognose auch gesagt, wir erwarten zweieinhalb- bis viertausend belegte Normalstationsbetten in der Spitze, und tatsächlich sind wir auch in diesem Bereich gelegen."

Das zeige die Schwierigkeit "von dem Ganzen". Die epidemiologische Lage habe man nach dem Gefühl Klimeks zwar richtig beurteilt, in jener Prognose habe man aber die steigende Dunkelziffer an Corona-Infizierten nicht "eingepreist".

"Kaum Fortschritte" bei Pandemievorbereitung

Und was fehlt Österreich, um für eine Pandemie künftig gerüstet zu sein? "Ein entscheidender Punkt ist die Geschwindigkeit und dass man hier möglichst schnell auch qualitativ hochwertige Evidenz hat, um Entscheidungen auch möglichst evidenzbasiert zu treffen", sagt Klimek. "Da haben wir kaum Fortschritte gemacht." (Jan Michael Marchart, 3.2.2023)