Wien – Der November grüßte im Februar. Vor dem Eingang zum Gläsernen Saal stand stolz das Schild des Neue-Musik-Festivals Wien Modern, das einen Abend aus dem Programm des letzten Herbstes nachholte: die Kafka-Fragmente op. 24 für Sopran und Violine von György Kurtág.

Damals musste die Veranstaltung kurzfristig verschoben werden, nun pilgerte das Stammpublikum ziemlich geschlossen in den Keller des Musikvereins, um die vierzig Nummern rund um Tagebuch- und Briefausschnitte, das Textfragment Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande sowie einen Auszug aus dem Text über die Kafka-Briefe von Elias Canetti zu erleben.

Kurtág schrieb Mitte der 1980er-Jahre expressive, extreme Miniaturen, ein Psychogramm einer von abstrusen Gedanken, scharfsinnigen, klarsichtigen Beobachtungen oder abenteuerlichen, poetischen Metaphern hin- und hergerissenen Seele. Nur ein Beispiel: "Es zupfte mich jemand am Kleid, aber ich schüttelte ihn ab."

Meister der Reduktion

In der aberwitzigen Reduktion liegt die Meisterschaft des Werks – unglaublich, dass der Komponist zunächst nur eine Skizze schreiben und eine größere Besetzung realisieren wollte, dann aber doch die zweiköpfige Fassung für gut befand.

Man kann sie sich gar nicht anders vorstellen – vor allem wenn man zwei so beherzten, virtuosen und miteinander abgestimmten Interpretinnen lauscht. Isabelle Faust meisterte den Geigenpart brillant, Anna Prohaska sang und artikulierte sich souverän durch das Stationentheater mit seinen surrealen, heiteren und tragischen Momenten und seinen gläsernen Vexierspielen zwischen Klarheit und Unsinn. Großer Jubel. (daen, 3.2.2023)