Monika Willi im Wiener Gartenbaukino beim StandArt-Gespräch.

Foto: StandART

Sie ist die große Überraschung im heurigen Oscar-Rennen: Wenn am 12. März die begehrten Trophäen vergeben werden, wird auch Monika Willi im Dolby Theatre in Hollywood sitzen. Die aus Tirol stammende und in Wien lebende Cutterin hat sich durch ihre Arbeit mit Regisseur Michael Haneke einen Namen gemacht, jetzt ist sie für ihren Schnitt von Todd Fields Drama Tár nominiert. Cate Blanchett spielt darin eine lesbische Chefdirigentin, die ihre Machtposition ausnutzt. Wir haben Willi zum StandArt-Videogespräch getroffen.

STANDARD: Sie nehmen am 12. März das erste Mal an der Oscar-Gala teil. Wissen Sie schon, was da auf Sie zukommen wird?

Willi: Michael Haneke oder meine Kollegin Lisy Christl, die als Kostümbildnerin nominiert war, haben mir das eine oder andere erzählt. Man ist Teil eines großen Zirkusses, und das ist sehr fordernd für jemanden wie mich, der nicht gerne im Rampenlicht steht.

STANDARD: Das klingt wie eine Last. Gar keine Lust auf den Auftritt?

Willi: Natürlich bin ich stolz und freue mich sehr, für meine Arbeit honoriert zu werden. Aber mein Platz ist nicht vor, sondern hinter der Kamera.

STANDARD: Editorinnen und Editoren stehen selten im Mittelpunkt.

Willi: Das ist nicht überall so, im angelsächsischen Raum spielt der Schnitt eine wesentlich größere Rolle als in unseren Breitengraden. Vor allem in Amerika hat die Montage historisch eine große Bedeutung, man weiß, wie wesentlich sie für das Gelingen eines Films ist.

STANDARD: Manche sagen, ein Film entsteht nicht beim Drehen, sondern beim Schneiden. Stimmen Sie zu?

Willi: Ein Film ist Teamarbeit. Sie beginnt mit dem Buch, setzt sich in den Dreharbeiten fort, und wie der Film dann final ausschaut, das ist unsere Aufgabe im Schnittraum.

STANDARD: Was passiert da genau?

Willi: Das ist schwer in drei Sätzen zu erklären, aber es geht natürlich darum, wer wann im Bild ist. Dadurch kann eine Erzählung ganz anders akzentuiert werden. Eine gute Editorin, ein guter Editor versucht eine Geschichte in seiner Tiefe und Breite darzustellen, auf sie zu fokussieren, sie nicht ausufern zu lassen.

STANDARD: Sind Sie von Anfang an in die Dreharbeiten eingebunden?

Willi: Je besser man die Regie kennt, umso früher ist man eingebunden. Bei Tár von Todd Field habe ich bereits während der Dreharbeiten geschnitten. Auch bei meinem aktuellen Projekt, einem Biopic von Sam Taylor Johnson über Amy Winehouse, ist das so. Es dient dazu, sich mit dem Material vertraut zu machen, aber auch zur Qualitätskontrolle.

STANDARD: Historisch gesehen gibt es mehr Editorinnen als Editoren. Warum ist die Branche so weiblich?

Willi: Das ist die landläufige Meinung. Aber: Je mehr Geld die Produktion zur Verfügung hat, desto männlicher ist das Team besetzt. Die Anzahl weiblicher Oscar-Nominierungen ist zum Beispiel deutlich geringer als jene der männlichen, ich bin ja auch zusammen mit vier Männern in der Kategorie Schnitt nominiert. Insofern ist der Bereich ein Spiegelbild der Gesellschaft.

STANDARD: Bei "Tár" geht es um eine lesbische Chefdirigentin, die des Missbrauchs bezichtigt wird. Was waren die konkreten Herausforderungen?

Willi: Die exzellente Musikalität und die bestehenden Tempi im Buch zu einer neuen Filmerzählung zu komponieren. Todd Field hat bereits im Drehbuch die Tempi der Figuren und Szenen festgelegt. Teilweise wurde mit einem Metronom gearbeitet. Diese Rhythmen mussten zu einer fließenden Erzählung gebündelt werden.

STANDARD: Der Film hat Kontroversen ausgelöst, im Konkreten die Frage, ob man unbedingt eine lesbische Täterin zeigen müsse, wenn man wisse, dass die meisten Täter heterosexuelle Männer seien.

Willi: In diesem Film geht es darum, wie Macht korrumpiert. Dagegen sind auch Frauen nicht gefeit. Auch wenn Frauen Täterinnen in einer Machtposition sind, sollte man genau hinschauen, auf die Strukturen und die Umstände.

STANDARD: In der heimischen Filmbranche sind zuletzt einige Missbrauchsfälle diskutiert worden. Warum bricht plötzlich so viel auf?

Willi: Im Film gibt es viele Autoritätsverhältnisse, und diese sind bekanntlich besonders anfällig für Missbrauch. Gott sei Dank hat sich der Blick dafür in der Branche geschärft. All das, was wir früher über uns ergehen lassen mussten, toleriert eine jüngere Generation nicht mehr. Wir befinden uns erst am Beginn eines Prozesses, der die Branche tiefgreifend verändern wird.

STANDARD: Sie kommen aus einer sehr politischen Familie, Ihr älterer Bruder Georg ist Bürgermeister von Innsbruck. Wie sehr hat Sie das geprägt?

Willi: In unserer Familie ging es am Mittagstisch immer ganz schön zu, wir sind acht Geschwister. Die politische Prägung kam von unserem Vater, der sich stark für den biologischen Landbau eingesetzt hat, und das zu einer Zeit, als das noch verpönt war. Das hat ihn damals beinahe an den Rand seiner Existenz gebracht. (INTERVIEW: Stephan Hilpold, 4.2.2023)