Aus Sicht eines Börsenprofis spielen Notenbanken und Finanzmärkte derzeit Katz und Maus hinsichtlich der künftigen Zinsentwicklung. Aber wer ist dabei das Raubtier?

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Spielen die Finanzmärkte und die Notenbanken Spielchen hinsichtlich der Zinsentwicklung? Das sehen manche Experten so, etwa der US-Fondsriese Vanguard. "Seit letztem Sommer liefern sich die Politik der Zentralbanken und die Entwicklungen an den Finanzmärkten ein Katz-und-Maus-Spiel", sagt Chefökonomin Jumana Saleheen. Ihrer Ansicht nach fahren die großen Notenbanken wegen der hohen Inflation einen restriktiven geldpolitischen Kurs, viele Börsenprofis hoffen aber offenbar auf ein Umschwenken. Also dass die Phase steiler Zinsanstiege bald abgehakt ist und im zweiten Halbjahr sogar wieder Zinssenkungen anstehen.

"Die Märkte erwarten, dass eine Rezession die Zentralbanken unter Druck setzen wird, ihre Zinsen zu senken", sagt Saleheen dazu. "Aber wird das auch im Jahr 2023 geschehen, wenn die Inflation immer noch über dem Zielwert liegt?" Daran dürften wohl keine Zweifel bestehen, da die US-Inflation im Dezember bei 6,5 Prozent lag und in der Eurozone laut vorläufigen Zahlen im Jänner bei 8,5 Prozent. Sowohl die US-Notenbank Fed als auch die Europäische Zentralbank (EZB) verfolgen ein Inflationsziel von zwei Prozent. Wie stark und wie lange werden sie auf die geldpolitische Bremse treten, um ihre Zielmarken zu erreichen?

Viertel Prozentpunkt

Am Mittwoch erhöhte die Fed zwar die Zinsen ein weiteres Mal, allerdings nur noch um einen viertel Prozentpunkt auf die Spanne von 4,5 bis 4,75 Prozent. Fed-Chef Jerome Powell stellte klar, dass Zinssenkungen für ihn aktuell nicht zur Debatte stehen. "Ich sehe einfach nicht, dass wir in diesem Jahr die Zinsen senken werden." Den Kurs wolle er beibehalten, "bis die Aufgabe erledigt ist". Im Dezember sagte die Fed voraus, dass sie die Zinsen in diesem Jahr auf etwas mehr als fünf Prozent anheben will.

Zumindest kurzfristig scheint der weitere Fahrplan der EZB klar vorgegeben: EZB-Chefin Christine Lagarde kündigte am Donnerstag bei der Erhöhung des Leitzinssatzes um einen halben Prozentpunkt auf nunmehr drei Prozent für März einen weiteren Zinsschritt im selben Ausmaß an. Danach wird es wohl in kleineren Schritten weitergehen. Zuvor hatte bereits das niederländische EZB-Ratsmitglied Klaas Knot Mitte Jänner in Davos mahnende Worte an die Akteure des Finanzmarkts gerichtet. Aus seiner Sicht schätzten die Finanzmärkte die künftigen Zinserhöhungen möglicherweise nicht angemessen ein, sagte er.

Weitere EZB-Zinsanhebungen

Gemäß den Markterwartungen wird der EZB-Zinssatz für Bankeinlagen laut Konstantin Veit, Portfoliomanager beim Vermögensverwalter Pimco, von derzeit 2,5 Prozent heuer in der Spitze auf 3,25 bis 3,5 Prozent steigen. – wobei der Leitzins wie bisher um jeweils einen halben Prozentpunkt darüber liegen dürften. "Dieses Szenario ist plausibel", sagt Veit. Dabei handelt es sich um den Zinssatz, zu dem Banken bei der EZB Geld parken können. Der Leitzinssatz liegt derzeit – und wahrscheinlich auch künftig – um jeweils einen halben Prozentpunkt höher.

Wie geht es dann weiter? Wird die EZB im zweiten Halbjahr die Zinsen wieder senken? "Wir sind nicht davon überzeugt, dass das so kommt", sagt Veit. Er geht davon aus, dass die Notenbank länger als von den Märkten erwartet eine restriktive Geldpolitik fahren werde. "Solange der Arbeitsmarkt so stark bleibt, wird es schwer für die Notenbanken, zu ihren Inflationszielen zurückzukehren."

Marschrichtung der Börsen

Die Geldpolitik steht deshalb im Fokus, da sie meist die Marschrichtung der Börsen vorgibt. Ist sie expansiv – die EZB hatte den Leitzins bis Juli 2022 bei null gehalten –, beflügelt dies das Kursniveau, während steigende Zinsen grundsätzlich eher das Gegenteil bewirken. Allerdings reagierten die Aktienmärkte diesmal kurzfristig positiv auf die Aussagen der Notenbanker.

Dennoch hat Fondsmanager Volker Schmidt vom Fondshaus Ethenea einige Szenarien durchgespielt, nämlich einen EZB-Leitzins von vier und sechs Prozent. An eine "Schocktherapie" in Form einer Anhebung auf acht Prozent glaubt er nicht: "Ein derartiges Ansinnen schließen wir für die EZB aus." (Alexander Hahn, 5.2.2023)