IOC-Präsident Thomas Bach bei den Olympischen Spielen von Sotschi 2014 mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

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Es gibt Themen, da geht sich kein Für und Wider, kein Pro und Kontra aus. Da ist Haltung gefragt. Der Krieg, den Russland gegen die und in der Ukraine angezettelt hat, ist ein solches Thema. All jene, die da immer noch und nicht selten zur Gewinnmaximierung ihre Geschäfte mit Russland treiben, möchte man fragen, ob sie schon völlig abgestumpft sind oder einfach nur die Augen verschließen. Ob sie die russischen Massaker an der ukrainischen Zivilbevölkerung wirklich ausblenden können.

Zu den großen Geschäftetreibern zählen große Sportverbände, auch sie wollen sich ihr Business vom Krieg ganz sicher nicht ruinieren oder auch nur eindämmen lassen. Russland diente dem Fußballweltverband Fifa, dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und anderen Institutionen jahrelang als verlässlicher Veranstalter, mit dem sich Geld scheffeln ließ. Das war so bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi, die praktisch unmittelbar in die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim mündeten. Das war so mehr als vier Jahre später, bei der Endrunde der Fußball-WM.

Schnelles Ende des olympischen Friedens

Auch im Februar 2022 hatte Wladimir Putin das Ende der Winterspiele in Peking abgewartet, ehe er wieder und noch brutaler über die Ukraine herfiel. Um den olympischen Frieden ging es ihm nicht, er wollte bloß den Chinesen nicht in die Suppe spucken.

Die Bosse von IOC und Fifa, Thomas Bach und Gianni Infantino, und die Bosse etlicher anderer Sportinstitutionen haben sich Putin und seinen Vasallen angebiedert. Man erinnere sich an den ehemaligen Präsidenten des Eishockeyweltverbands (IIHF), den Schweizer René Fasel, der den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko umarmte, als dieser die Aufstände gegen seine geschobene Wiederwahl brutal niederschlagen ließ. Minsk, die belarussische Hauptstadt, sollte gemeinsam mit Riga, der lettischen, die Eishockey-WM 2021 veranstalten. Erst als der internationale Druck zu groß wurde, rückte Fasel von Lukaschenko ab, und Riga trugt die WM allein aus.

Jetzt singen Bach und Konsorten das Lied von den russischen Sportlerinnen und Sportlern, die nichts können für ihre Herkunft. Sie singen, dass nicht der Reisepass darüber entscheiden sollte, wer an Olympischen Spielen teilnimmt und wer nicht. Sie singen, dass ein kategorischer Ausschluss Russlands dem einen oder der anderen die einmalige Chance auf eine Olympiateilnahme oder gar eine Medaille verbauen und deshalb eine Menschenrechtsverletzung bedeuten würde. Blanker Zynismus. "Die Athletinnen und Athleten sollen nicht leiden", sagte Peter Mennel, der Generalsekretär des Österreichischen Olympischen Comités (ÖOC), im STANDARD-Interview.

Verurteilte ukrainische Boykottdrohung

Vor wenigen Tagen wurde in der Ukraine der 22-jährige Leichtathlet Wolodymyr Androschtschuk, ein herausragendes Talent im Zehnkampf, zu Grabe getragen. Er hatte sich freiwillig gemeldet, um seine Heimat gegen den russischen Aggressor zu verteidigen. Wer singt sein Lied, wer singt das Lied von Wolodymyr Androschtschuk?

Die von Russland in der Ukraine verletzten Menschenrechte fallen bei den Olympiern, scheint's, unter den Tisch. Das IOC verurteilt nun sogar eine ukrainische Boykottdrohung für den Fall, dass russische Aktive in Paris 2024 teilnehmen dürfen. Ein Boykott wäre für das IOC ein "Verstoß gegen die olympische Charta". Man glaubt es nicht, das IOC schwingt die Keule gegen die Ukraine. Allerdings wird mittlerweile in immer mehr anderen Ländern, etwa in Polen, Deutschland, Finnland und im Baltikum, Kritik an den IOC-Plänen laut.

Das alles war so vorhersehbar und wurde doch in Kauf genommen. Sollte Paris 2024 tatsächlich von einem Boykott – sei es durch die Ukraine, sei es in größerem Rahmen – überschattet werden, so wäre dieser ganz sicher nur auf einem Mist gewachsen. Auf dem Mist des IOC. (Fritz Neumann, 4.2.2023)