Jürgen Flimm beim evangelischen Kirchentag in Dortmund, Juni 2019.

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Bisweilen konnte man auf Jürgen Flimm jenen Witz anwenden, der über Dirigent Herbert von Karajan erzählt wurde. Steigt der Maestro ins Taxi und wird gefragt, wohin er denn gebracht werden möchte. "Egal, man braucht mich überall", antwortete Karajan, und das hätte Flimm bisweilen auch sagen können. Jedenfalls in jener Phase zwischen 2006 und 2010, als er Intendant der Salzburger Festspiele war.

Flimm, der zuvor unter der Salzburger Intendanz von Peter Ruzicka als Theaterchef gewirkt hatte und im Streit ging, da seine Ideen zum Mozartjahr 2006 nicht ins Programm eingeflossen waren, hatte nämlich nur ein Jahr lang neben Salzburg keinen Zusatzjob. War er am Anfang nebenher als Intendant mit der Ruhr-Triennale beschäftigt, so kam später die Berliner Aufgabe hinzu, für die er die Salzburger Intendanz ein Jahr früher als geplant hinschmiss. Er wurde Leiter der Staatsoper Unter den Linden mit Musikchef Daniel Barenboim.

Viel Zufall dabei

Natürlich war Flimm kein unsteter Ämtesammler. Da war viel Zufall dabei. Scherzhaft meinte er zwar, familiär etwas an Umtriebigkeit und dem Wunsch nach Ungebundenheit mitbekommen zu haben. Mütterlicherseits habe die Familie schließlich Vargas geheißen, was "der freie Mann" bedeuten würde. Wahrscheinlicher scheint: Der 1941 als Kind einer protestantischen Ärztefamilie Geborene, hatte sich eher einfach einen Ruf als verlässliche Doppelbegabung zwischen Regie und Management erarbeitet, die für Stabilität sorgen konnte. Als eine Art Mann der Mitte, als streitbare Frohnatur, die Backstage durchaus laut werden konnte, wurde Flimm zum allseits gefragten "Ermöglicher", der auch inszenierte.

Flimm hatte in Köln Theaterwissenschaft, Germanistik und Soziologie studiert. Seine Theaterkarriere startete er 1968 an den Münchner Kammerspielen, wo er bei Fritz Kortner, August Everding oder Paul Verhoeven assistierte. In Köln wurde er in den 1980er-Jahren erstmals Theaterleiter. Später, als Intendant des Hamburger Thalia Theaters (1985 bis 2000), schaffte Flimm Auslastungsrekorde.

Musik von Tom Waits

Das Haus galt als bestbesuchte Bühne Deutschlands, an dem Flimm als Regisseur mit Inszenierungen wie Anton Tschechows "Platonow" (mit Sven-Eric Bechtolf) für Furore sorgte. Er brachte aber auch Robert Wilson nach Hamburg, wo dessen Erfolgsstück "Black Rider" mit der Musik von Tom Waits uraufgeführt wurde.

Flimm wurde mit Kollegen wie Claus Peymann, Dieter Dorn oder Peter Stein quasi zu jenen Rebellen, die später selbst zu mächtigen Repräsentanten einer von männlichen Persönlichkeiten geprägten Theaterwelt aufstiegen. In Salzburg hatte Flimm mit frisch durchlüfteten Raimund- und Nestroy-Inszenierungen Erfolge. Etwa mit "Das Mädl aus der Vorstadt" oder "Der Bauer als Millionär" mit Otto Schenk und Gertraud Jesserer. Auch Hofmannsthals "Der Schwierige" mit Karlheinz Hackl hatte er inszeniert.

Als Intendant schien Flimm eine Art Kulturzirkusdirektor zu sein, der ein buntes Allerlei zwischen Moderne und Tradition bringen wollte. Flimm präsentierte Luigi Nonos "Al gran sole carico d’amore" und als Uraufführung Wolfgang Rihms "Dionysos". Auch war Claus Guths "Don Giovanni" eine bemerkenswerte Inszenierung. Da gab es aber auch Leichtgewichtiges wie Bartlett Shers Version von Gounods "Roméo et Juliette". Flimm, der auch das Young Directors Project initiierte, wollte eben jedem und jeder etwas bieten.

Oper international

Als international gefragter Opernregisseur zwischen New York, Wien, Mailand und Bayreuth, wo er den Ring inszenierte, hat er oft mit Dirigent Nikolaus Harnoncourt gearbeitet, etwa bei Claudio Monteverdis "L’incoronazione di Poppea". An der Wiener Staatsoper legte Flimm seine Ideen zwischen poetisch-eklektisch (Kreneks "Jonny spielt auf") und naturalistisch-poetisch an – Letzteres bei Friedrich Cerhas uraufgeführtem "Riesen vom Steinfeld". Es waren repertoiretaugliche Arbeiten.

Zuletzt war es ruhiger geworden um den Vielseitigen, der an einer Autobiografie schrieb, deren Titel "Mit Herz und Mund und Tat und Leben" lauten sollte. Am Samstag ist Jürgen Flimm 81-jährig gestorben. (Ljubisa Tosic, 5.2.2023)