Ob der Verdächtige bereits als Beschuldigter vernommen wurde, wollte die Polizei mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht bekanntgeben.

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Lech – Im Zusammenhang mit dem Missbrauchsverdacht in einer Kinderbetreuungsstätte in Lech – ein dreijähriger Bub aus Wien wurde vermutlich während des Skiurlaubs im Jänner von einem Betreuer missbraucht, die Polizei ermittelt – könnte es weitere Opfer geben. Beim Bündnis Kinderschutz Österreich, einem Verein gegen Missbrauch an und Misshandlung von Kindern, haben sich zwei weitere Familien gemeldet, deren Kinder zur gleichen Zeit in der Einrichtung und womöglich betroffen waren.

"Beide Kinder wollten plötzlich nicht mehr in den Kurs gehen, weinten und waren verängstigt", meinte Roberto D'Atri, Obmann des Wiener Kinderschutzvereins, am Sonntag. In den beiden bisher medial nicht bekannten Verdachtsfällen – es handelt sich um Urlauberfamilien aus dem Ausland – hätten die Eltern Psychologen beigezogen. Deren womöglich ebenfalls von Übergriffen betroffene Kinder sind drei beziehungsweise dreieinhalb Jahre alt.

Polizei soll alle Eltern kontaktieren

Einer der Buben habe am abschließenden Skirennen nicht teilnehmen wollen, sich an sie "festgeklammert" und "wirklich sehr geweint", berichtete die Mutter des Kleinen, die in Kontakt mit dem Wiener Kinderschutzverein steht. Dieser verlangt nun mit Nachdruck weitere Schritte und Maßnahmen, um die Vorgänge in der Kinderbetreuungseinrichtung restlos aufklären zu können. "Die Polizei muss jetzt die Teilnehmerliste mit allen Kindern durchgehen und umgehend die Eltern kontaktieren", forderte Vereinsobmann D'Atri. Die beiden im Ausland lebenden Buben hätten in derselben Woche einen Skikurs in der Einrichtung belegt wie der Dreijährige aus Wien, gab D'Atri zu bedenken.

Seitens der Vorarlberger Landespolizeidirektion hieß es am Sonntag auf Anfrage, man wisse derzeit nichts von weiteren Verdachtsfällen. In Bezug auf den Wiener Buben werde vom Landeskriminalamt Vorarlberg sowie dem Landeskriminalamt Wien ermittelt. Auf die Frage, wann und ob der vom Wiener Buben als Tatverdächtiger bezeichnete Mann als Beschuldigter vernommen wurde, gab es keine Auskunft. Es handle sich um laufende Ermittlungen, daher würden dazu keine Informationen erteilt, meinte die Pressestelle.

Kinderschutzverein kritisiert Betreuungseinrichtung

Die Kinderbetreuungseinrichtung zeigte sich am Sonntag "schockiert" über den Verdachtsfall hinsichtlich des Wiener Buben. "Wir arbeiten seit der ersten Minute intensiv mit der Polizei zusammen, damit eine rasche und umfassende Aufklärung möglich ist. Unser Mitgefühl gilt dem Kind und seiner Familie. Für mich ist jede Art von Missbrauch gegenüber Kindern das Schlimmste überhaupt und absolut zu verurteilen", teilte die Leiterin in einer Presseaussendung mit. Man habe stets Verantwortungsbewusstsein und Vorsicht walten lassen und mit einem eigenen "Raumkonzept" zum Schutz der Kinder Vorsorge getroffen: "Alle Kinder sind gemeinsam in einem Raum mit mehreren Betreuenden. In diesem Raum spielen und essen die Kinder, und es wird konsequent alles in der Gruppe unternommen, damit immer mehrere Personen gleichzeitig anwesend sind".

Diese Darstellung wies Roberto D'Atri gegenüber der APA zurück. Männliche und weibliche Betreuer hätten immer wieder alleine Kinder auf die Toilette begleitet. Zudem seien einzelne Mitarbeiter mit den Kindern immer wieder alleine, während alle anderen Betreuerinnen und Betreuer mit der Vormittagsgruppe auf der Piste sind. Auch der Tatverdächtige habe die alleinige Obhut über Kinder gehabt. Da es keine Videoüberwachung oder sonstige Sicherheitsvorkehrungen gibt, sei "ein Übergriff nicht nur möglich, sondern bei drei Zwischentüren sogar eine willkommene Einladung für einen pädophilen Täter. Kinderschutz sieht definitiv anders aus", sagte der Obmann des Vereins Bündnis Kinderschutz Österreich.

Verdächtiger arbeitet nicht mehr bei Einrichtung

Der unter Tatverdacht geratene Mitarbeiter arbeite nicht mehr in der Kinderbetreuungsstätte, betonte die Leiterin in ihrer Aussendung. Dessen Arbeitsverhältnis sei bis Ende Jänner befristet gewesen. Das wirft einerseits die Frage auf, ob sich der Mann überhaupt noch in Vorarlberg befindet und für polizeiliche Befragungen zur Verfügung steht. Nach Informationen der APA handelt sich um einen jungen Mann mit einem Wohnsitz im entfernteren Ausland. Andererseits widerspricht das Bündnis Kinderschutz Österreich auch in diesem Punkt der Version der Einrichtung. Aus Aufzeichnungen gehe hervor, dass eine Beschäftigung des Mitarbeiters ursprünglich bis 15. April vorgesehen war. Zudem gebe es Fotos, denen zufolge sich der Mann jedenfalls noch am 1. Februar – offenbar bei einer Krisensitzung nach einer polizeilichen Zeugenbefragung der Leiterin – in der Einrichtung aufgehalten habe. Dass der Tatverdächtige zu diesem Zeitpunkt von der Vorarlberger Polizei noch nicht mit dem gegen ihn gerichteten Verdacht konfrontiert worden war, hatte Nikolaus Rast, der Anwalt des Vaters des Wiener Buben, bereits am Freitag scharf kritisiert. Damit bekomme "der dümmste Verbrecher der Welt Gelegenheit, allfällige Beweismittel zu vernichten", meinte Rast.

Das Bündnis Kinderschutz Österreich befürchtet, man wolle in Lech mitten in der Winter-Hochsaison einen Missbrauchsfall "mit allen Mitteln vertuschen". Vereinsobmann D'Atri verlangte am Sonntag die Schließung der Betreuungseinrichtung sowie den Rücktritt des Lecher Bürgermeisters Gerhard Lucian, der am Freitag fälschlicherweise behauptet hätte, der Tatverdächtige sei nur bis Ende Jänner angestellt gewesen und nicht mehr in der Einrichtung tätig.

Auf mögliche weitere Verdachtsfälle in der Einrichtung angesprochen, verwies diese auf APA-Anfrage am Sonntagnachmittag auf die Ermittlungen der Behörden. Alles, was man zur Causa zu sagen habe, werde direkt mit der Polizei besprochen, mit dieser arbeite man seit der ersten Minute eng zusammen. (APA, 5.2.2023)