Die Steuern gering zu halten ist per se nichts Illegales. Durch Lücken im internationalen Steuerrecht, die multinationale Unternehmen ausnützen, entgehen Österreich aber gewaltige Einnahmen.

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Es passiert alles ganz legal und schmerzt möglicherweise deshalb ganz besonders: Durch Lücken im internationalen Steuerrecht, die multinationale Unternehmen über mehrere Staaten hinweg ausnützen können, entgehen Österreichs Steuerbehörden gewaltige Einnahmen. Mit 1,3 Milliarden Euro war die Summe verweigerter Steuerzahlungen an den österreichischen Fiskus 2022 so hoch wie nie.

Die Berechnungen stammen vom gewerkschaftsnahen Momentum-Institut. Dieses hat sich bei seiner Prognose auf Daten aus einer Arbeit von Thomas Tørsløv, Ludvig Wier und Gabriel Zucman gestützt. Titel: "The missing profits of nations", auf Deutsch: "Die fehlenden Gewinne der Nationen".

"In einer Situation, wo die Unternehmensgewinne erstmals seit Corona wieder deutlich steigen, verdient das Thema größere Aufmerksamkeit," sagt Oliver Picek, Chefökonom des Momentum-Instituts, im Gespräch mit dem STANDARD.

Ohne Gewinnverschiebungen hätte die Republik eigentlich rund 14,7 Milliarden Euro an Körperschaftssteuern (KöSt) einnehmen sollen. Tatsächlich gelangten aber nur 13,4 Milliarden Euro in die Staatskasse. Die Differenz – besagte 1,3 Milliarden Euro – landeten durch Gewinnverschiebung in Ländern mit deutlich niedrigeren Steuersätzen.

Davon leitet sich auch der sogenannte Corporate Tax Refusal Day (Tag der Steuervermeidung großer Konzerne) ab; er fällt heuer rechnerisch auf den Sonntag, 5. Februar. Bis zu diesem Tag haben österreichische Unternehmen aufs Jahr gerechnet keine Steuern auf ihre Gewinne gezahlt.

Rückgang während Corona

Die verlorenen Steuereinnahmen sind mit Ausnahme eines leichten Rückgangs im ersten Pandemiejahr 2020 auf etwa 620 Millionen Euro in den Folgejahren wieder kräftig angestiegen. 2021 laut der Prognose des Momentum-Instituts auf 960 Millionen Euro, 2022 auf 1,3 Milliarden Euro, was einen neuen Rekord bedeuten würde.

Den bisherigen Rekord gab es 2018 mit 1,04 Milliarden Euro. Das haben Tørsløv, Wier und Zucman mit harten Zahlen unterlegt. Jedes Jahr gibt es ein Update dazu, das jüngste liegt für das Jahr 2019 vor. Österreich sind in besagtem Jahr durch Gewinnverschiebung Unternehmenssteuern im Ausmaß von 980 Millionen Euro entgangen.

Das Momentum-Institut hat die Steuerverluste unter der Annahme fortgeschrieben, dass der Anteil der verschobenen Gewinne stabil geblieben ist. Seit 2015 haben demnach österreichische Unternehmen kumuliert mehr als 7,8 Milliarden Euro an Steuern vermieden. Wo landen nun aber die Unternehmensgewinne, wenn schon nicht in der österreichischen Staatskasse?

Der Löwenanteil wird innerhalb Europas verschoben, wie aus der Untersuchung hervorgeht. Beliebte Steueroasen sind dabei neben den Beneluxstaaten Belgien, Niederlande, Luxemburg insbesondere Irland und die Schweiz.

Allein in den Beneluxstaaten werden rund 524 Millionen Euro an österreichischen Unternehmensgewinnen geparkt. Die letzten aktuellen Zahlen liegen für 2019 vor. In Irland landeten demnach rund 232, in der Schweiz 149 Millionen Euro. An der Relation hat sich mit großer Wahrscheinlichkeit nichts geändert.

Auch nach Übersee führen die Spuren verschobener Unternehmensgewinne: Außerhalb Europas fanden sich 2019 rund 110 Millionen Euro an unversteuertem oder wenig versteuertem Geld, das von international tätigen Unternehmen mit Sitz in Österreich stammte.

Lukrative Einnahmequelle

"Angesichts der immer weiter steigenden Unternehmensgewinne wäre gerade die Unternehmensbesteuerung eine lukrative Einnahmequelle für den Staat", sagt Ökonom Picek. Gerade für die Zeit nach der Krise sei die Frage nach einem fairen Beitrag aller in Österreich tätigen Unternehmen von großer Relevanz. Unternehmensgewinne könnten und sollten nach Ansicht des Momentum-Instituts eine faire Einnahmequelle zur Krisenbewältigung sein. Wie das gelingen soll?

"Das Wichtigste ist, dass man den Prozess, der in der OECD im Laufen ist, zu einem Abschluss bringt", sagt Picek. Im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben sich ein Großteil der Staaten auf eine faire Aufteilung von Besteuerungsrechten und eine globale Mindestbesteuerung mit einem einheitlichen Steuersatz von 15 Prozent geeinigt. Die Steuergestaltungs- und Gewinnverschiebungsfreiheiten multinationaler Konzerne wären deutlich eingeschränkt. Die Implementierung lässt noch auf sich warten.

Kritik übt Picek auch an der im Zuge der ökosozialen Steuerreform beschlossenen schrittweisen Senkung des KöSt-Steuersatzes von 25 auf 23 Prozent bis zum Jahre 2024. Damit werde nur ein Wettlauf nach unten angeschoben. Die Einnahmen würden erodieren, und am Ende hätte niemand etwas davon. (Günther Strobl, 6.2.2023)