Unter Charles III. wird die Debatte um die Realms weitergehen.

Foto: APA/AFP/MARCO BERTORELLO

Drei Monate bleiben noch bis zu den umfangreichen Feiern rund um König Charles' Krönung. Dieser Tage gehen die Einladungen zum feierlichen Gottesdienst in der Westminster Abbey in alle Welt – für manche Briten Anlass, nach dem zukünftigen Verhältnis zwischen dem Mutterland und den 14 früheren Kolonien, als deren König der 74-Jährige bis heute ebenfalls amtiert, zu fragen.

In seiner Botschaft zum Nationalfeiertag Neuseelands, dem sogenannten Waitangi Day, am Montag sprach Charles ausdrücklich von "Aotearoa", der Maori-Name für die Inselkette im Südpazifik. In Waitangi unterzeichneten Vertreter der damaligen Queen Victoria sowie Maori-Häuptlinge einen Vertrag, der das moderne Neuseeland begründete. Und so wird die britische Krone von manchen Bevölkerungsgruppen "als Verteidiger der Maori-Rechte" wahrgenommen, analysiert Philip Murphy, Professor für die Geschichte des Commonwealth an der Uni London.

Unabhängigkeit unausweichlich

In einem Leserbrief an die "Times" wandte sich der Historiker gegen die Idee, der König solle den Staaten, dessen Oberhaupt er wenigstens nominell weiterhin ist, quasi den Laufpass geben. "Eine Veränderung ist unausweichlich", glaubt "Times"-Kolumnistin Janice Turner, früher oder später würden die Ex-Kolonien ohnehin die Unabhängigkeit ansteuern, wie es die oft als "Little England" bezeichnete Karibikinsel Barbados schon Ende 2021 vorgemacht hat. Warum also nicht vorgreifen und damit den Kampagnen gegen das "imperiale Großbritannien" den Garaus machen?

Unsinn, glaubt Murphy: "Das wäre vollkommen falsch." Seit Jahr und Tag beteuert ja der Palast, es sei vollkommen im Benehmen der sogenannten Realms (wörtlich: Gebiete), ob sie weiterhin durch den fernen Royal in London, vertreten von einem Generalgouverneur vor Ort, regiert werden wollten. Insofern würde ein einseitiges Vorgehen des Königs vor Ort "als konstitutionell unzulässig" wahrgenommen, argumentiert der Kenner des feinen Gewebes aus Traditionen, Konventionen und Gesetzen, welches das Vereinigte Königreich, die 14 Realms und die weiteren 41 Mitglieder des Commonwealth verbindet.

Commonwealth als Klammer

Für Charles geht es um nichts weniger als die Frage, ob er das Erbe seiner im September verstorbenen Mutter Elizabeth II. in der total veränderten Welt des 21. Jahrhunderts zusammenhalten kann. Als die damals 25-Jährige am 6. Februar vor 71 Jahren ihrem Vater Georg VI auf den Thron nachfolgte, war noch ganz selbstverständlich vom britischen Empire die Rede; die Entkolonisierung Afrikas, Asiens und der Karibik begann erst später. Umso wichtiger wurde der Queen das Commonwealth als Klammer all jener Weltregionen, deren Oberhaupt einst sie selbst oder ihre Vorgänger gewesen waren: vom riesigen Subkontinent Indien mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern bis zur Südseeinsel Tuvalu (11.900).

Zum Club früherer britischer Kolonien gehören mittlerweile auch Staaten wie Ruanda und Togo, die nie unter britischer Herrschaft standen. Hingegen dürfte die Gruppe jener Länder mit Charles als Staatsoberhaupt bald schrumpfen. 55 Prozent der Kanadier bezeichnen die Monarchie als "irrelevant" für ihr tägliches Leben. Australien wird vom überzeugten Republikaner Anthony Albanese regiert; die neue Fünf-Dollar-Note des fünften Kontinents wird nicht mehr, wie bisher, das Konterfei des Staatsoberhauptes tragen.

Jamaika und Grenada sind Mitglieder einer Allianz von 15 Kleinstaaten der karibischen Gemeinschaft (Caricom), die seit längerem Milliarden-Ansprüche gegen ihre früheren Kolonialmächte, darunter auch gegen Großbritannien, verfolgt. Gefordert werden ein Schuldenerlass, mehr Entwicklungshilfe sowie bessere Ausbildung für Lehrer und Ärzte. Dementsprechend misstrauisch wurden im vergangenen Jahr die Besuche jüngerer Royals, darunter des Thronfolgers William und seiner Frau Kate, vor Ort wahrgenommen. Da habe man sehen können, "wie unvorbereitet auf bevorstehende Veränderungen das Königshaus noch ist", glaubt Charles-Kennerin Catherine Mayer.

Die große Harry-Frage

Die Verfasserin der nachdenklichen Charles-Biografie "Mit dem Herzen eines Königs" sieht auf den Monarchen im Vorfeld der Krönung drei Probleme zukommen. Zum einen gebe es weiterhin große Unklarheit um den skandalträchtigen früheren engen Berater des Königs, Michael Fawcett; diesem hatte die "Sunday Times" vorgeworfen, er habe als Belohnung für Millionenspenden an Charles' gemeinnützige Organisationen einem saudischen Geschäftsmann royale Ehrungen verschafft. Zum anderen werfen die Verbindungen des 62-jährigen Problemprinzen Andrew zu verurteilten Sexualverbrechern weiterhin lange Schatten aufs Königshaus.

Vor allem aber bleibt die Teilnahme von Charles' jüngerem Sohn Harry und dessen Gattin Meghan an der Krönungszeremonie im Mai ungeklärt. Harrys Autobiografie "Reserve" habe durch den intimen Einblick in Palastvorgänge der Monarchie "großen Schaden" zugefügt, analysiert Mayer. Dennoch wolle Charles' Team die Teilnahme des kalifornischen Paares ermöglichen – "und Harry wird das zu seinem Vorteil nutzen". (Sebastian Borger aus London, 6.2.2023)