Die Wiener Zuwanderung ist divers. Aber woher stammen die Mehrheiten?

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Vergangene Woche sorgte ein Sager des niederösterreichischen Landesrats Gottfried Waldhäusl für Aufsehen. Auf die Feststellung einer Schülerin, dass durch einen Migrationsstopp ein Großteil ihrer Klasse nie in ihre Schule gekommen wäre, sagte der FPÖ-Politiker in einer Diskussionsrunde des Nachrichtensenders Puls 24: "Ja, wenn das schon lange geschehen wäre, dann wäre Wien noch Wien."

Wir wollten in der Folge wissen, ob Waldhäusls verklärtes Wien-Bild jemals historische Realität war. Also haben wir in jüngeren Zeitreihen der Statistik Austria und Volkszählungsergebnissen aus der Monarchie recherchiert und abgebildet, dass zu den meisten Zeitpunkten in den vergangenen Jahrhunderten stets ein beträchtlicher Anteil der Wiener Wohnbevölkerung im Ausland geboren war: 1880 lag die Rate mit etwas über 40 Prozent nahezu gleich hoch wie 2022.

(Un-)Vergleichbare Zuwanderung

Der Artikel mit diesem Vergleich gewann an Traktion, in mehr als 1.600 Postings äußerten sich die Userinnen und Leser. Dabei lautete das überwiegende Credo: Die damalige Zuwanderung aus den Kronländern der Monarchie mit ihrem ähnlichen und also "kompatibleren" Kulturkreis lässt sich mit der Zuwanderung von heute, die überwiegend aus fernen und ethnisch divergenten Regionen stattfindet, nicht vergleichen.

Nun lässt sich schon der erste Teil dieser Feststellung nicht ohne weiteres verifizieren. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Immigration nach Wien von den Ansässigen alles andere als verträglich wahrgenommen. Selbst die Zuwanderung aus dem benachbarten Böhmen, teilweise nur über eine Distanz von wenigen Dutzend Kilometern, sorgte ob der Fremdartigkeit der Neo-Wiener bei der deutschsprachigen Mehrheit für massive Irritation und Spannung. Schon 1848 flatterten Flugschriften durch Wien, auf denen zu lesen war:

Tschechische Studenten in Wien verletzen das Nationalgefühl der Wiener durch freche Beschimpfungen und sollen raschest ausgewiesen werden.

Und 1918 reimten die ideellen Ahnen der FPÖ-Plakatslogandichter voll triefendem Zynismus:

Wer wird uns in Wien jetzt regier'n?
Wer wird uns in Wien jetzt regier'n?
Der Tschechoslowak mit dem Zylinder und Frack.
Der wird uns in Wien jetzt regier'n.

Auch in der Jahren zwischen Vormärz und Erstem Weltkrieg stolzierte kaum ein "Tschechoslowak" mit Zylinder und Frack über die Ringstraße – vielmehr schufteten sich die vielen zugewanderten "Ziegelböhmen" am Wienerberg ab, um die Bausubstanz für die Ringstraßenpalais abzutragen. Ausgebeutet drängten sie sich als Bettgänger in Favoritener Baracken am Rand der Stadt und der Gesellschaft. Bürgerliche Grundrechte wurden ihnen verwehrt, wenn sie ihre Sprache nicht aufgaben; "Integration" war damals weder als Begriff noch als Konzept in Verwendung.

Bitte um Vervollständigung

Wie aber steht es um den zweiten Teil der Feststellung, jene zum Zustand der aktuellen Zuwanderung? Stammen heute tatsächlich die meisten Migranten aus fernen Weltgegenden, in denen die Sozialisierung anders abläuft? Lassen Sie uns diese Frage spielerisch beantworten: Wir haben für die 15 am häufigsten in der Wiener Wohnbevölkerung vertretenen Nationen Grafiken vorbereitet und bitten Sie, sie zu vervollständigen. (Die Herkunftsstaaten sind übrigens nicht nach der Zahl der Staatsangehörigen sortiert, sondern alphabetisch.)

Zufrieden mit dem Abschneiden? Es mag Sie vielleicht überrascht haben, dass in den Top 15 nur zwei Länder vorkommen, die zur Gänze auf einem anderen Kontinent liegen. Alle anderen nicht europäischen Staaten rangieren unter "ferner liefen".

Und nicht nur der momentane Bevölkerungsstand, auch der laufende Zuzug wird – anders als in der breiten Wahrnehmung – von kulturell ähnlichen und geografisch nahegelegenen Ländern dominiert: Aus den Staaten der EU sind seit 2002 durchschnittlich 10.000 Menschen pro Jahr netto zugewandert; aus europäischen Drittstaaten rund 2.500; aus Asien 4.200; aus dem Rest der Welt weniger als 1.500.

Freilich beschränkt sich die Migration im Zeitalter der globalen Mobilität nicht mehr gänzlich auf wenige Tagesmärsche oder -fahrten mit dem Lastkarren. Dennoch erfolgt der Zuzug in die Bundeshauptstadt auch heute noch zum überwiegenden Teil aus Europa, sogar aus Zentraleuropa. An einem durchschnittlichen Tag stammen deutlich mehr als die Hälfte der ausländischen Mitbürger, die in Wien Ihren Weg kreuzen, entweder aus Deutschland oder einem Staat, über den die Habsburgermonarchie zumindest teilweise eine Hoheit hatte. (Michael Matzenberger, 8.2.2023)