Andrew (links) und Tristan Tate Anfang Februar am Weg zum Gericht.

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"Ich dachte, er sieht gut aus, ist sportlich. Das ist mein Typ", meinte Lisa, als sie auf dem Tinder-Profil eines gewissen "Andrew" nach rechts wischte. Ein Match. Was die Frau, heute in ihren 30ern, damals nicht wusste: Sie war Andrew Tate in die Falle gegangen. "Ab da wurde alles verrückt", sagt Lisa. "Ich hätte nie gedacht, wozu das führen kann, wenn man mit jemanden auf Tinder chattet."

Lisa begann also mit ihrem neuen Match zu chatten. Ihren echten Namen nennt sie im Gespräch mit "Vice" nicht, zu groß ist ihre Angst vor Racheaktionen der Tate-Army – der Anhänger des mutmaßlichen Menschenhändlers und Frauenhassers. Die sind immer noch zahlreich, oft "Absolventen" der Hustlers University, Tates Onlinekurse, in denen er seine krude Weltsicht weitergab.

Tate Enterprises: Kickboxer und Millionär-Lifestyle

Doch davon ahnte Lisa nichts, als Andrew Tate sie nach einigen Nachrichten nach einem Date fragte. Kurz darauf stand der jüngste Tinder-Match vor ihrer Haustür, holte Lisa ab und führte sie in ein feines Londoner Restaurant aus. Wirklich charmant und sehr nett sei er gewesen, wird die Frau nachher sagen. Aber: Er war auch anders als andere Männer.

So gab er ihr eine Visitenkarte, auf der "Tate Enterprises, Kickbox-Weltmeister und Millionär und ganz netter Typ" stand. Auf der Rückseite befand sich eine Aufzählung wie im Lebenslauf über die vermeintlichen Großtaten des Kickboxers. Darunter "Millionär Lifestyle", "Sexualathlet" und "Orgienorganisator".

Lisa traf sich trotz der eigenartigen Visitenkarte weiterhin mit ihrem neuen Schwarm, doch dann stieß sie auf die Social-Media-Posts von Tate, in denen er sich selbst mit vielen unterschiedlichen Frauen zeigte. Als Lisa ihn zur Rede stellte, meinte er nur, wenn sie seine Freundin sein wolle, müsse sie bei ihm wohnen und für ihn arbeiten.

Schließlich kam Lisa hinter Tates Geschäftsmodell: Er betrieb ein Webcam-Sex-Geschäft mit Sitz in Rumänien und wollte damit in andere Länder expandieren. Der Job, zu dem er sie drängte, würde darin bestehen, vor der Kamera sexuelle Handlungen zu vollziehen oder online mit Männern zu chatten. Sie würde auch dabei helfen, die anderen Frauen in der Firma zu "managen", obwohl Tate darauf bestand, dass sie immer selbst vor der Kamera auftreten müsste, um das Geschäft richtig zu verstehen.

Die Loverboy-Methode

Bei der sogenannten "Loverboy"-Methode machen sich Täter an Frauen via Social Media oder Dating-Apps heran und gaukeln ihnen eine gemeinsame Zukunft vor. Haben die Täter erst einmal das Vertrauen des Opfers gewonnen, finden die Täter einen Grund, die Frauen in die Prostitution zu drängen – das können vorgespielte finanzielle Notlagen oder wie im Fall von Tate die Aussicht auf eine lebenslange Beziehung sein. Die rumänischen Behörden sind aktuell dabei, Chatverläufe und Social-Media-Posts einer Frau aus Moldawien auszuwerten, die Tate aus London verschleppt und zweimal vergewaltigt haben soll. In diesen Nachrichten sprach Tate auch davon, dass er sein Webcam-Geschäft nur für Geldwäsche nutzt.

Tate ist britischer und US-Staatsbürger und in Großbritannien aufgewachsen. In einem Podcast erzählte er, dass er sein Geschäft vom Vereinigten Königreich nach Rumänien verlegen musste, nachdem die Polizei eine Razzia durchgeführt hatte. Eine seiner "Angestellten" hatte ihn wegen Körperverletzung angezeigt. Tate beschrieb, wie er sein Telefon die Toilette hinunterspülte, während die Polizei anklopfte.

Vorwurf des Menschenhandels und der zweifachen Vergewaltigung

Andrew Tate und sein Bruder Tristan sitzen seit 29. Dezember in Rumänien in Untersuchungshaft. Ihnen wird vorgeworfen, aus dem Familien-Domizil in Voluntari einen Menschenhändlerring betrieben zu haben. Laut der Staatsanwaltschaft in Bukarest sollen die Tates darüber hinaus mindestens sechs Frauen in ihr Webcam-Geschäft gezwungen haben. Die Frauen seien in Wahrheit "Sklavinnen" der Tates gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Die Dunkelziffer könnte noch höher sein, denn Tate prahlte im März letzten Jahres damit, dass insgesamt 75 Frauen für ihn arbeiten würden, was ihm rund 600.000 Dollar im Monat einbringe.

Tina Glandian ist Teil des Anwaltsteams der Tates. Sie vertrat bereits Mike Tyson und Chris Brown vor Gericht.
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Die Tates haben mittlerweile Anwältin Tina Glandian angeheuert, die bereits Mike Tyson und Chris Brown vertreten hat. Sie ließ gegenüber der "Washington Post" ausrichten, dass ihre Mandanten sämtliche Vorwürfe abstreiten.

Tate und die "echte" Welt

Vom Gefängnis aus ist "Cobra", wie Andrew Tate sich selbst nennt, noch immer höchst geschäftstüchtig. Am 17. Jänner, als er bereits im Gefängnis war, veröffentlichte er ein Video auf Twitter, in dem er seinen 5,9 Millionen Followern einen Weg aus der "Matrix" heraus versprach. Diese Verschwörungserzählung basiert auf dem gleichnamigen Kultfilm aus dem Jahr 1999. Demnach würde die Menschheit in einer Art Simulation leben. Deshalb bietet Tate nun ein Programm namens "The Real World" an, dessen Server sich "in den Bergen, gepanzert und geschützt von bewaffneten Wachen", befinden würden.

Dass Tate unter die Verschwörungsanhänger gegangen ist, darf aber bezweifelt werden. Viel eher hat er ein neues Geschäft ähnlich der "Hustlers Academy" gestartet, denn die monatliche Abogebühr für "The Real World" beträgt 49,99 US-Dollar und bietet unter anderem Tipps, wie man sein Geld in Kryptowährungen anlegt. "Deren größter Fehler war es, mich zu bannen, denn das hat Gott verärgert", sagt Tate.

Tate: "Die Matrix hat mich eingesperrt."
Foto: Screenshot Twitter

Daneben betreibt Tate auch noch den "The War Room". Dieser soll ein "Inkubator für Erfolg" junger Männer sein und verspricht der zahlenden Kundschaft, deren Lebensweg dank eines Kriegs gegen die Mittelmäßigkeit "sofort und rücksichtslos" zum Besseren zu verändern. Auch dieser ist an einen Filmklassiker aus den 90er-Jahren angelehnt – diesmal "Fight Club".

Tate will MeToo-Bewegung für Männer starten

Tates neuestes Projekt ist ein Wohltätigkeitsprojekt – so nennt er es zumindest. Er habe sein Testament vom Gefängnis aus geändert und werde 100 Millionen für ungerechtfertigt beschuldigte Männer spenden. Die Währung ließ Tate offen, weshalb in sozialen Medien schon gescherzt wird, ob es sich dabei um rumänische Leu handelt, was aber immer noch 20,4 Millionen Euro wären. Ob das Geld noch zu Tates Lebzeiten oder erst nach seinem Tod ausbezahlt wird, ließ der mutmaßliche Menschenhändler und Vergewaltiger offen.

Das rumänische Gericht hat unterdessen eine neuerliche Haftbeschwerde der Tate-Brüder abgelehnt. Sie dürften nun bis 27. Februar 2023 in Haft bleiben. (pez, 7.2.2023)