Am Aschermittwoch gehen die einen im Faschingskostüm am Walk of Shame nach Hause, die anderen in die Kirche, um sich das Aschenkreuz zu holen. Das Kreuz, eines der Hauptsinnzeichen des Christentums, ist als Accessoire in jedem noch so kleinen Schmuckladen zu finden. Aber wer kauft diese ganzen Kreuzketten eigentlich, und sind die nicht total aus der Mode?

Ein Gastkommentar in der "New York Times" bezeichnete die katholische Kirche kürzlich als "New York's Hottest Club". Besonders der "Dimes Square", eine zwischen China Town und Lower East Side gelegene Mikronachbarschaft in Manhattan, soll die Hochburg dieses heißesten Clubs sein. Der gentrifizierte Ministadtteil wird mittlerweile mit einer postliberalen und antiwoken politischen Bewegung synonym gesetzt. Vor allem junge pandemiemüde Vertreter der Generation Z begründeten die "Dimes Square"-Szene.

Ein typischer Sommerabend am Dimes Square im ersten Pandemiejahr.

Eine von ihnen ist die 23-jährige Autorin und Podcast-Host Honor Levy. In ihrem Podcast "Wet Brain" thematisiert die aus Los Angeles stammende Levy unter anderem ihren Übertritt zum Katholizismus. Dabei spricht sie auch über ihre vergangenen "Todsünden" und darüber, wie sie religiöse Rituale praktiziert. Einen der wohl beliebtesten Podcasts dieser Szene moderiert die nahe dem Dimes Square lebende Schauspielerin Dasha Nekrasova (bekannt aus der HBO-Serie "Succession"). In "Red Scare" spricht die zum Katholizismus rückkonvertierte gebürtige Belarussin über esoterisch-katholische Themen wie Sedisvakantismus, also die Auffassung, dass es derzeit keinen rechtmäßigen Papst gebe.

It-Girl Honor Levy bezeichnet die Bibel als "the best book ever".

Angeeignet

Wie lässt sich diese neuerliche Hinwendung weißer privilegierter junger Menschen zum Katholizismus als Lifestyle erklären? Eine Erklärung findet sich im Wandel der alternativen Modeszenen. Vor gut einem Jahrzehnt konnten sich (die meist weißen) Hipster noch an den traditionellen Stilelementen indigener und unterdrückter Kulturen bedienen. Tribal-Muster und Federschmuck verschwanden zusehends mit dem Aufkommen der Diskussion über kulturelle Aneignung Mitte der 2010er-Jahre.

Wie sollen sich die weißen alternativen Kids also von den Normalos abgrenzen, ohne Minderheiten zu beleidigen? Frauen können mit der "Catholic Girl Aesthetic" aus dem vollen Schöpfen: Haarschleifen, lange Röcke, helle Spitzenblusen, Seidenkleider und natürlich Kreuzkettchen als Accessoire. Aber bitte die Rosenkränze nicht um den Hals tragen, denn das würde die "echten" Katholiken beleidigen!

Klassische Catholic Girl Aesthetic: Kreuz und Marienbild um den Hals.

Die Alternative

Eine andere Erklärung für diesen Trend lässt sich wiederum in der Vereinigung der Identität vieler großer US-amerikanischer Communitys durch den Katholizismus erklären: Irische, italienische und lateinamerikanische Migranten finden durch ihren oder den Glauben ihrer Vorfahren einen gemeinsamen Nenner. Der Protestantismus hingegen hat das Land "gegründet" und kann somit als die Basis verstanden werden – der Katholizismus ist die Alternative.

Profile wie "I need God in every moment of my life" posten Memes und bewerben ihre Modekollektionen auf Instagram.

Himmlisch

Ein Auslöser für den katholischen Trend lässt sich aber auch in der Couture finden. Die Met-Gala 2018 unter dem Motto "Heavenly Bodies: Fashion and the Catholic Imagination" war für die aufkommende "Catholic Aesthetic" ein Katalysator. Stars wie Rihanna, Sarah Jessica Parker und Gigi Hadid schritten in opulenten Gewändern als Päpstinnen, Engel und Madonnen über den roten Teppich der Gala, zu der "Vogue"-Chefin Anna Wintour jährlich ins New Yorker Metropolitan Museum einlädt. Die katholische Kirche segnete das Motto ab und lieh dem Kostüminstitut des Met mehr als 50 Kleidungsstücke früherer Päpste.

Päpstin Rihanna I. bei der Met-Gala 2018.

Mamma Mia!

Einen weiteren popkulturellen Moment in katholischer Ästhetik bescherten uns vergangenen Sommer Kourtney Kardashian und Travis Barker bei ihrer Hochzeit im italienischen Portofino. Das Promipaar vermählte sich bei einer Zeremonie nach katholischer Tradition, und die Braut trug ein Outfit mit eindeutiger Symbolik. Kourtneys Schleier mit dem Emblem der heiligen Maria und dazu das kurze Dolce-&-Gabbana-Brautkleid wurden online heftig diskutiert und von so manchem katholischem Onlinemagazin als Provokation empfunden.

Die Trauung in Italien war die dritte Hochzeit von "Kravis"– zuvor wurde im kalifornischen Santa Barbara standesamtlich und dann "zur Probe" auch noch in Las Vegas (Nevada) geheiratet.

Dabei wurde beim Design des Brautschleiers lediglich die Kopftätowierung des Bräutigams als Vorlage verwendet. Barker bezeichnet sich selbst als katholisch. Der Blink-182-Drummer sei so aufgewachsen, er habe sich das Maria-Tattoo schon als Teenager stechen lassen.

Kardashian ging zwar auf eine katholische Privatschule und bekennt sich zum Christentum, Gottesdienste hat sie aber, wenn, dann eher in der California Community Church besucht. Die kalifornische Gemeinschaftskirche wurde von ihrer Mutter Kris Jenner mitbegründet. Die Promikirche verlangt hohe Mitgliedsbeiträge (1.000 Dollar pro Monat) und ist als Steueroase des Kardashian-Jenner-Clans in Verruf geraten. Die durch ihre Realityshow "Keeping up with the Kardashians" bekannt gewordene Familie bezeichnet sich dennoch als sehr gläubig, jeder Tag beginnt bei ihr angeblich mit einem Gebet.

Auch Kourtneys "Pre-Wedding Look" sorgte für Kritik.

Wie ein Gebet

Die Mutter des Spiels mit der katholischen Ästhetik, Madonna, hat den Trend schon in den 1980er-Jahren vorgemacht und wurde dafür von klerikaler Seite heftig kritisiert. Die Pop-Ikone mit italienischen Wurzeln löste mit ihrem 1989 veröffentlichten Song "Like a Prayer" und vor allem mit dem dazugehörigen Musikvideo einen regelrechten Skandal aus. Die Queen of Pop machte darin mehrdeutige Anspielungen hinsichtlich Religion und Sexualität. Brennende Kruzifixe, Stigmata und andere katholische Symbole im Musikvideo erzürnten konservative Gemüter.

Madonna machte ihren Namen, der tatsächlich ihr erster Vorname ist, zu ihrem Image und spielte besonders zu Beginn ihrer Karriere mit dem Klischee des katholischen Mädchens ("Like a Virgin"). Die Welt ist mittlerweile eine andere, und die Rolle der katholischen Kirche auch, wie die folgenden Zahlen zeigen.

Offizielles Musikvideo zu Madonnas "Like a Prayer" von 1989.

Alles eine Frage der Kultur

Laut einer Erhebung des Pew Research Center aus dem Jahr 2021 waren 23,5 Prozent der US-Amerikaner Katholiken und 42,4 Prozent protestantischen Glaubens. Auf den ersten Blick ein Sieg für die Protestanten, aber im Vergleich zur katholischen Kirche hatten sie in den vergangenen Jahren weit größere Verluste an Mitgliedern zu verbuchen (siehe Grafik unten). Außerdem erhob das nichtstaatliche Meinungsforschungsinstitut, dass fast die Hälfte der US-Amerikaner einmal oder öfter die Religion gewechselt hat.

Hierbei verschwimmen auch die Grenzen zwischen der Religion auf dem Papier und dem jeweiligen kulturellen Verständnis von Glaube. So kam eine Pew-Studie von 2015 (aktuellere Daten liegen nicht vor) zu dem Ergebnis, dass einer von zehn US-Amerikanern sich als "katholisch" bezeichnet, obwohl sie/er keiner oder einer anderen Religion angehört. Man spricht hierbei von "Cultural Catholics", die sich aufgrund ihrer Erziehung oder ihres Umfelds katholisch "fühlen" – ein Umstand, der auch den "Catholic Aesthetic" -Trend erklären könnte.

Rückläufigkeit bei der protestantischen Glaubensgemeinschaft, starke Zunahme der "religiös Ungebundenen" und konstante Zahlen bei den Katholiken in den USA.

Und hierzulande?

In Österreich dürfen seit der Volkszählung 2001 keine Daten zur Religionszugehörigkeit mehr erhoben werden. Deswegen gibt es keine aktuellen staatlich erfassten Mitgliederzahlen von in Österreich vertretenen Glaubensrichtungen. Einige Religionsgemeinschaften veröffentlichen aber auf eigener Zählung basierende Statistiken zu ihren Mitgliederzahlen.

Sicher erhoben ist jedoch die Zahl der Kirchenaustritte: 90.808 Personen haben 2022 die katholische Glaubensgemeinschaft verlassen – ein neuer Rekord. Von 4,83 Millionen auf 4,73 Millionen schrumpfte die Zahl der Katholiken im Land, und somit um knapp zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Gründe dafür sind vielfältig, trotzdem bleibt mit 51 Prozent die katholische Kirche die größte Glaubensgemeinschaft in Österreich. Konfessionslose machen mit 22,4 Prozent den zweitgrößten Anteil aus. Katholisch zu sein ist hierzulande also immer noch "basic" und daher eher keine Ästhetikvorlage für alternative Trends. (Anna Caroline Kainz, 22.2.2023)