Die Hausdurchsuchung beim Unternehmer Ihor Kolomojskyj sorgte in den vergangenen Wochen für Aufregung.

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Wie leidig das Thema Korruption in der Ukraine ist, wissen jene am besten, die seit Jahren gegen sie kämpfen. Antikorruptionsaktivistin Olena Haluschka etwa, die als Vorstandsmitglied der ukrainischen Nichtregierungsorganisation AntAC einen reichen Erfahrungsschatz mitbringt. AntAC wurde im Jahr 2012 gegründet, unter dem damaligen Präsidenten Janukowitsch. Seither habe sich viel verbessert.

"Angefangen hat diese Entwicklung mit der Maidan-Revolution. Seitdem gab es einen immensen Digitalisierungsprozess, der ein wichtiges Mittel für mehr Transparenz ist", so Haluschka. Der Krieg setzt einen weiteren wichtigen Anstoß. "In der Ukraine sterben täglich Menschen an der Front – darunter unsere besten Köpfe. Die Gesellschaft hat deshalb mittlerweile null Toleranz für Korruption und Bereicherung."

Im Dezember 2022 führte die Ilko-Kucheriv-Stiftung für demokratische Initiativen (DIF) eine landesweite Umfrage in der Ukraine durch und erhob, ob die Befragten zuletzt mit Beamten zu tun hatten, die illegale Zahlungen im Austausch für bestimmte Dienstleistungen oder Handlungen verlangten. 9,5 Prozent der Umfrageteilnehmer antworteten mit Ja. Vor dem Krieg waren es noch 33 Prozent. Die meisten gaben an, in den Krankenhäusern informell zusätzliches Geld gezahlt zu haben.

Mehr Berichte, mehr Wahrnehmung

"Das Problem im Gesundheitsbereich ist seit dem Krieg nicht nur, dass es viel mehr Verwundete gibt, sondern auch, dass Ärzte und Sanitäter an der Front gebraucht werden", so Haluschka. Jene, die abseits der Front die Stellung halten, arbeiten Tag und Nacht unter schwierigsten Bedingungen – Raketen, Drohnen, Stromausfälle. "Ich könnte mir vorstellen, dass manche Patienten im Krankenhaus auch deshalb ein kleines 'Dankesgeld' zahlen."

Arbeit in einem Antikorruptionsbüro in der Ukraine.
Foto: APA/AFP/National Anti-Corruption

Doch während Korruption im Alltag abnimmt, zeigen die jüngsten Medienberichte, dass im Kampf gegen Korruption auf höchster Ebene mehr Anstrengungen erforderlich sind. Allein die Aufdeckung dieser Fälle zeige, dass die Demokratisierung ihres Landes ein Erfolg sei und dass Journalisten und Aktivisten ihre Arbeit machen können. "Dennoch erleben wir ein Paradoxon. Je mehr über Korruption berichtet wird, desto stärker wird Korruption wahrgenommen. Und das könnte im Ausland den Eindruck erwecken, dass sich die Situation mit der Korruption verschlechtert, obwohl sie sich in Wirklichkeit verbessert", so Haluschka.

Einfluss der Oligarchen schwindet

Eines der eindrucksvollsten Beispiele der vergangenen Wochen war wohl die Durchsuchung des Hauses von Ihor Kolomojskyj in Dnipro durch den Staatssicherheitsdienst (SBU) vor wenigen Tagen. Ein Foto zeigt den Top-Oligarchen, der früher enge Beziehungen zu Selenskyj und Mitgliedern seines Teams unterhielt, mit zerzauster Frisur, in Trainingsanzug und Hausschuhen.

Das staatliche Ermittlungsbüro der Ukraine gab auch bekannt, dass ein ehemaliger Minister für Energie und Kohleindustrie ebenfalls der Korruption verdächtigt wird. Wie ukrainische Medien berichten, handelt es sich bei dem Verdächtigen um Ihor Nassalyk. Ihm wird vorgeworfen, Verträge zugunsten von Unternehmen unterzeichnet zu haben, die mit dem ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch verbunden sind, der seit Jahren in Wien lebt. Die angeblichen Geschäfte sollen der Ukraine 1,5 Milliarden Griwna gekostet haben – umgerechnet etwa 37 Millionen Euro. Die USA beantragen seit 2014 die Auslieferung Firtaschs im Zusammenhang mit angeblichen Schmiergeldzahlungen. Firtasch bestreitet die Vorwürfe.

"Die Oligarchen waren das Haupthindernis für die von der EU geforderten Reformen, einschließlich der Korruptionsbekämpfung und der Justizreform", erklärt Petro Burkovskyi, Exekutivdirektor des DIF, die zu den einflussreichsten ukrainischen Denkfabriken zählt. Seit dem Krieg haben Geschäftsleute, die die ukrainische Wirtschaft kontrollierten und den Gesetzgebungsprozess beeinflussten, laut Burkovskyi 90 Prozent ihrer Macht verloren.

Fehlende Transparenz

Die jüngsten Razzien erfolgten nach einer Reihe von Rücktritten ukrainischer Beamter wegen angeblicher Korruption oder Amtsmissbrauchs. In einer Stellungnahme der Kommission zum EU-Beitrittsantrag der Ukraine vom vergangenen Jahr wurde die Korruptionsbekämpfung als eine der wichtigsten Empfehlungen für weitere Reformen genannt. Für die Regierung dürfte wohl genau dieser Punkt – die Aussicht auf einen möglichen Beitritt – einer der treibenden Faktoren sein.

Doch die jüngsten Skandale werfen auch ein schlechtes Licht auf die Regierung selbst. Außerdem konnten manche Untersuchungen aufgrund des Krieges nicht abgeschlossen werden. So habe die Regierung Selenskyj vor dem Krieg versucht, die Antikorruptionsbehörden zu beeinflussen und sie für eine selektive Justiz gegen politische Gegner wie den ehemaligen Präsidenten Poroschenko einzusetzen.

"Nun scheint Selenskyj endlich beschlossen zu haben, dass es selbst in seinem engsten Umfeld niemanden mehr gibt, der unantastbar ist, wenn ein Politiker oder eine höhere Führungskraft unter Korruptionsverdacht gerät", erklärt Burkovskyi. Die größte Herausforderung bleibe jedoch die Regierung selbst. "Der geschlossene und personalisierte Charakter der Regierung ist in einer Kriegssituation, die eine Zentralisierung der Macht und eine schnelle Entscheidungsfindung erfordert, durchaus verständlich. Dennoch sehen wir nicht, wie das Präsidialamt Entscheidungen vorbereitet, die nicht mit dem Krieg zusammenhängen."

Es gebe nur wenige Beispiele dafür, dass Führungskräfte aufgrund ihrer Verdienste ausgewählt werden, dass Wirtschaftspläne in Absprache mit ukrainischen Wissenschaftern entwickelt werden und dass bei der Aufstellung des Haushaltsplans die Stimmen der Bürgermeister berücksichtigt werden. Burkovskyi: "Das Präsidentenamt muss diesen Ansatz ändern, wenn es sich wirklich der Demokratie verschrieben hat." (Daniela Prugger aus Kiew, 8.2.2023)