Im Gastblog gibt Max Volgger einen Einblick in das seit rund 25 Jahren jährlich stattfindende rechtsextreme Vernetzungstreffen in Budapest und die Gegenkampagne "NS-Verherrlichung Stoppen".

11. Februar 1945: Die ungarische Hauptstadt Budapest ist von der Roten Armee umschlossen, bereits seit Wochen ist die Stadt eingekesselt. Im Kessel befinden sich neben noch etwa 800.000 verbliebenen Einwohnern und Einwohnerinnen auch 70.000 Soldaten, davon 37.000 ungarische und etwa 33.000 deutsche Angehörige von Kampftruppen. Am Abend des 11. Februar beschließt die deutsche Heeresleitung einen Ausbruch zu unternehmen. Beim Versuch, die feindlichen Linien zu durchbrechen, sterben fast alle der eingekesselten Soldaten, nur ein paar Hundert gelingt der sogenannte "Ausbruch". Zwei Tage später wird Budapest von der Roten Armee befreit.

Faschistisches "Gedenken"

Seit 1997 "gedenken" Rechtsextreme aus Ungarn und ganz Europa mit einem jährlichen Aufmarsch der deutschen Wehrmacht, Einheiten der Waffen-SS und ihren ungarischen Kollaborateuren. Seit Beginn ist die Veranstaltung für die rechtsextreme Szene in Europa ein wichtiges Event, das auch zur Vernetzung dient. Mal größer, mal kleiner, versammelten sich besonders in den letzten Jahren zwischen 1000 und 2000 Neonazis in Budapest. Getragen und ausgerichtet wurde das faschistische "Gedenken" zu Beginn durch die Nationalistische Front, seit 2003 übernahm der ungarische Ableger von Blood and Honour (ein in Deutschland bereits im Jahr 2000 verbotenes, rechtsextremes Netzwerk) und Légió Hungária (eine paramilitärisch organisierte rechtsextreme Gruppierung) die Organisation des rechtsextremen Großevents. Hauptorganisatoren der Veranstaltung waren und sind daneben vor allem die Hammerskins Ungarn, der rechtsextreme Verband Jugendbewegung der 64 Grafschaften und die Skinheadgruppe Skins4Skins Ungarn.

Mitglieder des Neonazi-Netzwerks "Blood & Honour Hungary" posieren neben dem Rednerpult.
Presseservice Wien, 2019

Geschichtsrevisionismus von oben

Wenngleich das "Gedenken" zum "Tag der Ehre" und an den Ausbruchsversuch aus dem Kessel von Budapest von ungarischen Neonazi-Gruppierungen organisiert und getragen wird, ist es nicht allein die außerparlamentarische ungarische Rechte, die versucht die Geschichte umzudeuten. Eine der treibenden Kräfte des Geschichtsrevisionismus in Europa ist die ungarische Regierung. Zusammen mit den baltischen Staaten hat Ungarn 2019 eine Resolution in das europäische Parlament eingebracht, in der der Sowjetunion eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gegeben wird. So kann es nicht überraschen, dass auch staatliche Einrichtungen das Begleitprogramm des "Tag der Ehre" unterstützen, etwa durch die Zurverfügungstellung von Abzeichen und Devotionalien aus dem ungarischen Militärmuseum sowie mittels Förderungen durch Ministerien.

Die Gleichsetzung von Faschismus mit Kommunismus, dient dazu, dass sich die Staaten, die mit dem nationalsozialistischen Deutschland kollaborierten, nicht mit dem eigenen Nationalismus, Antisemitismus und mit der Beteiligung von Kollaborateuren und Kollaborateurinnen aus ihren Ländern am NS-Massenmord auseinandersetzen müssen. Stattdessen erklären sie sich zu Opfern zweier Regime.

Rahmenprogramm für anreisende Neonazis

Das Wochenende rund um den "Tag der Ehre" wird mit verschiedenen Veranstaltungen umrahmt. So gibt es beispielsweise seit vielen Jahren ein Konzert am Vorabend. Für das Wochenende dient es als eine Art "Welcome"-Veranstaltung mit Musik. Im Jahreskalender der europäischen RechtsRock-Szene gleicht es quasi einer Saisoneröffnung – trotz der Tatsache, dass die Konzerte in Budapest in den letzten Jahren nie so groß waren wie andernorts.

Samstags findet dann eine öffentliche Neonazikundgebung auf der Burg in Buda statt. In den letzten Jahren musste der eigentliche Aufmarsch zum "Tag der Ehre" im Budapester Városmajor-Park abgehalten werden, da er am Burgberg verboten wurde. Im Anschluss laden die Veranstalter zu einer 60 Kilometer langen Wanderung, die dem historischen Weg der Eingekesselten aus der Stadt in die Budaer Hügel folgt. Die Route führt an Wegposten vorbei, welche militärische Posten aus dem 2. Weltkrieg nachstellen sollen und bei der unzählige Wehrmachts- und NS-Devotionalien zur Schau gestellt werden. Die Zahl der Teilnehmenden dieser NS-Folklore-Wanderung stieg über die Jahre kontinuierlich an. Waren es 2009 zunächst 150 Personen, beteiligten sich 2012 schon knapp über 1.000. 2020 waren es etwa 3.300 Neonazis, die sich auf dem zentral gelegenen Kapisztrán-Platz in Budapest trafen, um über Nacht in das westlich der Hauptstadt gelegene Dorf Szomor zu wandern. Die Wanderung ist dabei als Mischung aus "historischem Bildungsprogramm" (Reenactment) und sportlichem Event getarnt, was nicht nur ein Verbot verunmöglicht, sondern sogar staatliche Förderungen ermöglicht. 

Teilnehmer machen sich in SS-Uniform auf dem Weg zur Wanderung.
Presseservice Wien, 2020

Ein europäisches Vernetzungsevent

Der neonazistische "Tag der Ehre" war auch in den letzten Jahren ein zentrales Vernetzungsevent der europäischen Rechtsextremen, trotz Corona-Reisebeschränkungen und halbherzigen Verboten durch die ungarische Verwaltung. Besonders für Neonazis aus dem deutschsprachigen Raum ist der "Tag der Ehre" attraktiv. Neben den verschiedenen Ablegern des Blood and Honour-Netzwerks nehmen aus Deutschland die rechtsextreme Kleinpartei Die Rechte, Mitglieder von Der III. Weg oder auch ehemalige Mitglieder der in Deutschland mittlerweile verbotenen Kameradschaft Freies Netz Süd (FNS) sowie ehemalige Funktionäre der Identitären am Event teil. Die Beteiligung aus Österreich fiel – jedenfalls in den letzten Jahren – geringer aus. Nur einzelne Neonazis aus dem Umfeld der Tanzbrigade Wien – einer neonazistischen Gruppe mit Kontakten zu den Identitären, zum Shoahleugner und Neonazi Gottfried Küssel und der Fanszenen von Austria Wien und Sparta Prag – beteiligten sich an den Aufmärschen in Budapest.

Offene NS-Verherrlichung

Der Reiz für die anreisenden Neonazis lag und liegt in der Möglichkeit der offenen und öffentlich zur Schau getragenen NS-Verherrlichung inmitten einer europäischen Großstadt. So sind beim "Tag der Ehre" neben Portraits vom Adolf Hitler, Hakenkreuzen, SS-Runen, Uniformen und Waffen auch Symbole des historischen, ungarischen Faschismus zu finden. Die Polizei verfolgt diese Symbole nur in den wenigsten Fällen, zumeist wird das Tragen nationalsozialistischer und faschistischer Symbole hingenommen und akzeptiert.

"Nazi-Verherrlichung stoppen!"

Seitdem alljährlich im Februar Neonaziaufmärsche in Budapest organisiert werden, gibt es auch antifaschistische Gegenproteste gegen den "Tag der Ehre": Zunächst waren diese sehr klein und wurden von wenigen Dutzend Menschen aus Budapest getragen. Seit einigen Jahren werden die Proteste auch international organisiert, etwa durch die Kampagne "NS-Verherrlichung Stoppen" (bestehend aus linken Gruppen aus Österreich und Deutschland) oder dem Berliner Verband der Verfolgten des Nationalsozialismus - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). In den vergangenen Jahren beteiligten sich auch Personen aus der Community der Sinti und Sintizze und Roma und Romnja in Budapest an den antifaschistischen Gegenprotesten. Die Kundgebungen sind mittlerweile zum Teil auf mehrere hundert Personen angewachsen.

Die Kampagne "NS-Verherrlichung Stoppen" hat es sich zum Ziel gesetzt, die größten neonazistischen und geschichtsrevisionistischen Aufmärsche und "Gedenkfeiern" in Europa zu thematisieren, sich an antifaschistischen Protesten dagegen zu beteiligen – mit dem Ziel sie ein für alle Mal zu beenden. Neben dem "Tag der Ehre" in Budapest zählen dazu Veranstaltungen in Deutschland ("Rudolf-Heß-Gedenkmarsch"), Österreich/Kroatien ("Bleiburg -Gedenken"), Sofia ("Lukov-Marsch") und Riga ("Tag der Legionäre"). Zentrales Thema dieser geschichtsrevisionistischen Aufmärsche ist die Verherrlichung des Nationalsozialismus und seiner Verbündeten nebst der Relativierung und Leugnung der Shoah.

Gegendemonstrat:innen versuchen sich den anreisenden Neonazis in den Weg zu stellen.
Presseservice Wien, 2020

"Tag der Ehre" 2023

Auch in diesem Jahr ist der neonazistische Aufmarsch durch die ungarischen Behörden verboten worden. Aller Voraussicht nach werden sich trotzdem am 11. und 12. Februar 2023 erneut hunderte, möglicherweise über tausend Neonazis aus Ungarn und halb Europa in der ungarischen Hauptstadt versammeln. Gleichzeitig mobilisieren auch antifaschistische Gruppen aus Budapest und anderen europäischen Ländern wieder zu Gegenprotesten. Ob Stadt, Regierung und Polizei das Verbot des geschichtsrevisionistischen Aufmarsches tatsächlich exekutieren werden, ist wie in den Vorjahren fraglich. Antifaschistischer Protest jedenfalls bleibt notwendig. (Max Volgger, 10.2.2023)

Max Volgger studierte Judaistik und Zeitgeschichte an der Universität Wien, arbeitet als Kulturvermittler im Jüdischen Museum der Stadt Wien und für den Verein Gedenkdienst.

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