Maria Stuart etwa zwischen 1560 und 1565.
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Wer ein Fußballspiel zwischen Simmering und Kapfenberg für brutal hält, der hat sich noch nie mit dem Konflikt zwischen Königin Elizabeth I. und ihrer Konkurrentin auf den Thron Maria Stuart beschäftigt. 18 Jahre hielt die englische Monarchin Maria gefangen, die ihrerseits die Ermordung der Königin plante. Die Geschichte endete mit der Enthauptung Marias.

Maria Stuarts Totenmaske bei einer Ausstellung im Jahr 2006.
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Aufschluss darüber geben unter anderem Maria Stuarts viele Briefe. Die daraus gewonnenen Einblicke in ihr Leben haben wohl wesentlichen Anteil an ihrer Popularität, die sich in unzähligen Büchern und Filmen niederschlug. Dabei hätte der Inhalt vieler von ihnen nie bekannt werden sollen: Maria war bekannt dafür, für sensible Korrespondenz eine Geheimschrift zu verwenden. So auch bei der sogenannten Babington-Verschwörung, die eine Ermordung Elizabeths zum Ziel hatte. Die Briefe wurden wasserdicht verpackt in Bierfässern geschmuggelt. Doch schon damals fing Englands oberster Spion Francis Walsingham sie im Auftrag Elizabeths ab und kompromittierte damit die Geheimhaltung auf eine Weise, die man heute als "man-in-the-middle attack" bezeichnen würde.

Dem eigens dafür engagierten englischen Spion Thomas Phelippes gelang es, den Code durch Vergleich der Häufigkeit von Buchstaben zu knacken. Die Briefe wurden daraufhin mit gefälschtem Siegel sorgfältig in die Fässer zurückgesteckt, damit niemand der Verschwörer Verdacht schöpfte. Doch es gab auch Manipulationen: Einmal ist das Anfügen einer Passage durch Walsingham belegt, mit dem Ziel, Marias Mitverschwörer aufzudecken.

Maria Stuart nutzte für ihre Korrespondenz verschiedene Geheimschriften.
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Nun schaffte es ein interdisziplinäres Team von Codeknackern, eine Reihe bisher unbekannter Briefe der legendären Frau zu entdecken und zu entschlüsseln. Der Historiker John Guy, der eine erfolgreiche Biografie Maria Stuarts verfasste, spricht vom wichtigsten Fund über sie seit einem Jahrhundert.

Fehlerhafte Zuordnung

Die drei Männer, ein Computerwissenschafter, ein Musikwissenschafter sowie ein Physiker und Patentexperte, stöberten im Onlinearchiv der französischen Nationalbibliothek BnF nach verschlüsselten Briefen. Ein Teil dieses Archivs widmet sich speziell solcher codierter Korrespondenz. Sie stießen dort auf Briefe, die laut Beschreibung mit italienischen Angelegenheiten zu tun hatten. Doch eine Analyse der Schrift ergab schnell, dass es sich bei der Sprache um Französisch handelte. Die Entzifferung von Wörtern wie "Gefangenschaft" und dem Namen Walsingham ließ den Verdacht aufkommen, dass es sich bei der Verfasserin um Maria Stuart handelte. Die vollständige Entzifferung erhärtete diesen Verdacht.

Der von ihr verwendete Code ist eine Kombination aus Buchstaben- und Bilderschrift. Für viele Buchstaben gab es mehrere Zeichen, auch die Verdopplung von Buchstaben wurde durch ein eigenes Symbol angezeigt.
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"Wir haben schon früher Geheimcodes von Königen und Königinnen geknackt, und die sind sehr interessant, aber bei Maria, der Königin der Schotten, war es bemerkenswert, weil wir so viele unveröffentlichte Briefe entziffert haben", sagt Computerwissenschafter George Lasry, der Erstautor der nun im Fachjournal "Cryptologia" erschienenen Studie.

"Zusammen bilden die Briefe eine umfangreiche Sammlung neuen Primärmaterials über Maria Stuart – insgesamt etwa 50.000 Wörter, die ein neues Licht auf einige ihrer Jahre der Gefangenschaft in England werfen", freut sich Lasry. Er ist Teil eines interdisziplinären Projekts namens Decrypt, das sich der Dokumentation und Entzifferung historischer Geheimcodes widmet und an dem Universitäten aus ganz Europa beteiligt sind.

Briefe an den Botschafter

Die über 50 Briefe bargen auch Überraschungen. So war etwa bekannt, dass Maria mit dem französischen Botschafter in England, Michel de Castelnau de Mauvissière, in Kontakt war. Doch dass dieser Kontakt bereits seit Mai 1578 bestand, ist neu. Es ging um das Einrichten eines direkten Informationskanals nach Frankreich, der nicht von England überwacht wurde.

Der Inhalt der Briefe gibt zudem weitere Aufschlüsse über Marias Haft. Maria wurde in Schlössern in sicherer Entfernung zu London festgehalten, meist durchaus komfortabel. Trotzdem klagt sie in den Briefen über schlechte Haftbedingungen.

Warnung vor Intrige

Die Schriftstücke zeigen weiters Marias Feindschaft zum Grafen von Leicester, einem langjährigen Günstling der Königin. Sie unterstellt ihm, gegen Königin Elizabeth zu intrigieren, und bittet Castelnau, diesen Verdacht Elizabeth gegenüber zu erwähnen, ohne Maria als Quelle zu nennen. So unterstellt sie ihm etwa, seinen Sohn mit Arbella Stuart – der Enkelin von Marias Gastgeberin, der Gräfin von Shrewsbury – verheiraten zu wollen, um Anspruch auf die englische Thronfolge zu erlangen.

Ihren Gegner Walsingham beschreibt sie als gerissene Person, der seine Freundschaft anbietet, obwohl er eigentlich andere Absichten hegt. Als Marias Sohn James durch die schottische Ruthven-Raid-Gruppe entführt wird, schreibt sie offen über ihre Verzweiflung und wirft Frankreich vor, sie im Stich zu lassen, obwohl der französische König dafür Leute nach Schottland schickte.

Verzicht auf englischen Thronanspruch

Schließlich forciert Maria den Plan, gegen einen Verzicht auf alle Ansprüche am englischen Thron zumindest wieder als schottische Königin eingesetzt zu werden. Verschiedene Beauftragte Elizabeths besuchten sie deswegen, doch nach anfänglichen Hoffnungen zweifelte Maria zunehmend an der Aufrichtigkeit der Verhandlungen und hegte den Verdacht, dass man sie nur hinhalten und aushorchen wollte.

Der Machtkampf zwischen Elizabeth I. und Maria Stuart endete mit der Unterzeichnung des Todesurteils durch die Königin. 1587 wurde es im Fotheringhay Castle außerhalb Londons vollstreckt.
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Lasry und seine Partner Norbert Biermann und Satoshi Tomokiyo vermuten, dass noch weitere Briefe von Maria Stuart unentdeckt in Archiven schlummern könnten, und wollen ihre Suche fortsetzen.

Das Verwenden von Geheimschriften war in historischer Zeit keine Seltenheit, und immer wieder können bei der Entschlüsselung historischer Korrespondenz neue Einsichten gewonnen werden. Erst im vergangenen Jahr entschlüsselte ein Team codierte Briefe von Kaiser Karl V., die seine Furcht vor einem Mordkomplott durch seinen französischen Widersacher Franz I. zeigten.

Geheimnisse des Briefverschlusses

Ein weiteres interessantes Faktum: Nicht nur Geheimschriften wurden genutzt und im Falle der "Mary Queen of Scots" in Bierfässern geschmuggelt. Auch Faltung und Verschluss der Briefe sollten in der Geschichte immer wieder dafür sorgen, dass ein wichtiges Dokument nur von jener Person geöffnet und gelesen wurde, die mit dem Öffnungsmechanismus vertraut ist. Nachweise solcher Briefe gibt es für die französische Königin Katharina von Medici und die britische Queen Elizabeth.

Auch Maria Stuart verfügte über eine spezielle Technik, um ihre Briefe zu verschließen – unter anderem den wohl letzten, die sie kurz vor dem düsteren Ende ihrer Gefangenschaft verschickte. Sie präparierte das Dokument durch geschickt eingeritzte Schlitze im Papier, durch die ein Papierstreifen gewoben und versteckt wurde. Dadurch konnte sich der Empfänger – neben ihrer Hand- und Unterschrift – auch der Authentizität des Briefes versichern.

Auf dem Account "Letterlocking videos" werden mehrere historische Verschlussvarianten demonstriert, hier der letzte Brief der Maria Stuart.
Letterlocking videos

Maria Stuart bezahlte letztlich für das Versagen des von ihr verwendeten Codes mit ihrem Leben. Nach dem Aufdecken des Komplotts wurde sie 1587 hingerichtet. (Reinhard Kleindl, Julia Sica, 8.2.2023)