Im Gegensatz zu dieser Demonstrantin in Berlin sind Immobilieneigentümer sehr wohl der Meinung, dass für einen Wohnsitz Geld fließen muss. Ein 42-Jähriger konnte sich die Miete nicht mehr leisten, nun ist er vor Gericht.

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Wien – Welche konkreten Auswirkung die Überlastung der Wiener Magistratsabteilung 35, zuständig für Einwanderung und Staatsbürgerschaft, hat, kann Richterin Danja Petschniker aus erster Hand erleben. Vor ihr sitzt der 42 Jahre alte Herr A., ein Pakistani, der vor 22 Jahren nach Österreich gekommen ist. "Was arbeiten Sie?", fragt die Richterin den Angeklagten bei der Überprüfung der Generalien. "Ich darf nichts arbeiten", antwortet A. betrübt und erklärt auch, wieso: "Ich habe im Jahr 2019 einen Antrag auf Visaverlängerung bei der MA 35 eingereicht, da mein Arbeitgeber das verlangt hat. Bis zum heutigen Tag warte ich auf die Bearbeitung", berichtet der unbescholtene vierfache Vater.

Die Konsequenzen der langsamen Bearbeitung waren für A. verheerend: Ohne Visum verlor er seinen Job, er bekommt keine staatlichen Unterstützungsleistungen, musste daher fast alle Habseligkeiten verkaufen und im vergangenen November wurde er wegen Mietrückstandes aus seiner Gemeindewohnung delogiert. Das ist auch der Grund, warum er sich vor Gericht verantworten muss: Die Staatsanwältin wirft dem Angeklagten versuchte Nötigung vor. Er soll am 30. November der Gerichtsvollzieherin, einem Schlosser und Mitarbeiterinnen von Wiener Wohnen mit einem "Blutbad" gedroht haben, falls er die Wohnung räumen müsse.

Morgendlicher Besuch der Gerichtsvollzieherin

A. erzählt die Geschichte so: Er habe vom Räumungstermin gewusst, die Wohnung war bereits übergabefertig, als es um 7.30 Uhr an der Tür klopfte. "Ich war im hinteren Zimmer, und als ich nach vorne ging, wurde bereits versucht, die Tür gewaltsam zu öffnen", erinnert er sich. "Ich habe selbst Angst gehabt, ich wusste ja nicht, dass die gleich die Tür kaputt machen!", beteuert er. Er öffnete also die Eingangstür mit aktivierter Sicherheitskette und sah einen unbekannten Mann – den Schlosser – und mehrere Frauen, darunter die ihm bereits bekannte Gerichtsvollzieherin, im Gang.

Er habe versucht, mit der Gerichtsvollzieherin zu reden, und sei etwas lauter geworden, gibt er zu. "Laut Anklage sollen Sie gesagt haben: 'Wenn ich heute delogiert werde, gibt es ein Blutbad. Entweder ich sterbe oder alle anderen.'", hält Petschniker A. vor. "Ich habe nur gesagt, ob sie mich umbringen wollen, ich wusste ja nicht, was sie da machen", widerspricht der Angeklagte. Angesichts der eher simplen Deutschkenntnisse des Angeklagten ist auch die Richterin skeptisch. "Kennen Sie das Wort 'delogieren' überhaupt?", will sie wissen. "Nein, das habe ich noch nie gehört", gibt A. zu. Um dann einzugestehen, es könne sein, dass er in seiner Angst auch etwas Bedrohliches gesagt haben könnte.

Zeugin ortete Verzweiflung beim Angeklagten

Die drei Zeuginnen schwächen ihre Aussage dann etwas ab. Den Begriff "Blutbad" will nur eine vernommen haben, eine andere erinnert sich nur an den Ausdruck "Entweder ich oder andere". Wirklich gefürchtet hat sich keine der Damen von Wiener Wohnen, da es öfter vorkomme, dass Mieter, die ausziehen müssen, schreien oder schimpfen, schildert eine. "Können Sie sagen, wieso der Angeklagte das gesagt hat?", will Petschniker von der letzten Zeugin wissen. "Ja, sicher aus Verzweiflung", antwortet diese Frau, ohne zu zögern. Die Gerichtsvollzieherin alarmierte damals wegen der unklaren Lage die Polizei, die Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung, die Wega, rückte aus und nahm A. kurzfristig fest.

In seinem Schlusswort fasst der ohne Verteidigerin erschienene Angeklagte seine Lage nochmals zusammen. "Ich habe genug Probleme in den letzten vier Jahren gehabt. Ich will keine weiteren. Nach 22 Jahren bin ich abgestiegen", verweist er auf seine triste Situation.

Die bemerkenswert empathische Richterin verschont den 42-Jährigen vor weiteren Problemen und spricht ihn nicht rechtskräftig frei. "Dass bedrohliche Worte gefallen sind, daran habe ich keinen Zweifel", hält sie zwar fest. Allerdings seien die Aussagen zu unkonkret gewesen, die Zeuginnen hätten ja auch unisono angegeben, sich nicht gefürchtet zu haben. "Ihre Gesamtsituation ist so grundbelastet, dass Sie einen Zornausbruch hatten, als der Schlosser an Ihrer Tür bohrte", ist Petschniker überzeugt. "Es geht insgesamt um Ihre Existenz. Ich glaube, das war damals eine Ausnahmesituation", begründet sie ihr Urteil. (Michael Möseneder, 8.2.2023)