Vor einigen Jahren wäre er noch als Planet durchgegangen: Quaoar ist ein Zwergplanet von der Größe Plutos, der außerhalb der Neptunbahn kreist, etwa 43-mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Dass Quaoar nie eine Chance hatte, als Planet bezeichnet zu werden, ist bis zu einem gewissen Grad seine Schuld: Nachdem in den 90er- und frühen Nullerjahren im Kuipergürtel immer mehr Pluto-ähnliche Objekte entdeckt wurden und man sich fragen musste, ob sie wie ihr bekannterer Nachbar Planetenstatus erhalten sollten, zog die Internationale Astronomische Union (IAU) 2006 die Reißleine. Pluto galt ab sofort nicht mehr als Planet, was heftige Diskussionen auslöste, aber verhinderte, dass die Zahl der Planeten des Sonnensystems ständig angepasst werden muss.

Eine künstlerische Darstellung des Ringsystems von Quaoar.
Bild: Paris Observatory

Quaoars offizielle Entdeckung wird auf das Jahr 2002 datiert, doch erstmals abgebildet wurde er bereits in den 1950er-Jahren. Aber bei früheren Aufnahmen war nicht erkannt worden, dass es sich um einen Zwergplaneten mit Ähnlichkeiten zu Pluto handelt.

Größere Ringe als Saturn

Nun fand ein internationales Team von 59 Forschenden unter Leitung der Universität Rio de Janeiro in Brasilien mehr über das Objekt heraus, das sich in einer ähnlichen Entfernung von der Sonne befindet wie Pluto, aber auf einer beinahe kreisförmigen Bahn. Mithilfe mehrerer Teleskope, darunter das Cheops Weltraumteleskop der Europäischen Weltraumagentur Esa und das Gran Telescopio Canarias mit einer darin verbauten, an der Universität Sheffield entwickelten Kamera, gelang es, die Existenz eines gigantischen Ringsystems zu belegen, dessen Ausmaße sogar jenes von Saturn in den Schatten stellen. Davon berichtet das Team in einer Publikation, die nun im Fachjournal "Nature" veröffentlicht wurde.

Ein reales Bild der neuen Ringe gibt es nicht, sie wurden entdeckt, als sie einen neben Quaoar befindlichen Stern verdunkelten. Das Ereignis dauerte weniger als eine Minute und zeigte nicht eine einzelne, sondern mehrere aufeinanderfolgende Verdunkelungen, die sich nur durch ein Ringsystem erklären lassen.

Jupiter hat das schwächste Ringsystem der Gasplaneten unseres Sonnensystems. Das James-Webb-Weltraumteleskop machte sie trotzdem sichtbar.
Foto: NASA, ESA, CSA, Jupiter ERS Team

Entstehungstheorien für Ringe unter Druck

Das fernste Ringsystem ist jenes von Quaoar nicht. 2015 konnte beim 400 Lichtjahre entfernten Exoplaneten J1407 ein gigantisches Ringsystem entdeckt werden, 200-mal größer als jenes von Saturn. Die Entdeckung gelang, wie bei den Ringen Quaoars, durch Beobachtung einer Verdunkelung eines Sterns, wobei es sich bei den Ringen um J1407 auch um eine protoplanetare Scheibe handeln könnte, die der Planetenentstehung vorausgeht. Für bisherige Theorien zur Entstehung von Ringsystemen könnte die Entdeckung der Ringe von Quaoar jedenfalls zum Problem werden, denn eigentlich sollte es manchen Modellen zufolge so weit draußen keine Ringe mehr geben.

Konkret geht es hier um die sogenannte Roche-Grenze. Je näher ein Himmelskörper an einer zentralen Massenansammlung liegt, desto größer sind die Gezeitenkräfte, die auf ihn wirken. Beim Jupitermond Io etwa sind diese Kräfte so groß, dass der Mond ständig gewissermaßen durchgeknetet wird, was zu vulkanischer Aktivität führt. Der Effekt nimmt mit der Entfernung ab und sollte ab der Roche-Grenze keine Rolle mehr spielen. Die bisher gefundenen Ringsysteme im Sonnensystem befinden sich alle innerhalb dieser Grenze. Die Erklärung dafür war, dass die Gezeitenkräfte die Entstehung von Monden aus dem Material der Ringe verhinderten. Außerhalb sollte der Bildung von Monden aber nichts im Weg stehen und damit keine Ringe mehr vorkommen.

Doch Quaoars Ringe befinden sich in einer Entfernung von 4.100 Kilometern von seinem Zentrum, während sich die Roche-Grenze bei etwa 1.780 Kilometern befindet. Warum das Material nicht längst zu Monden verklumpte, ist unklar. Eine Erklärung dafür ist, dass das Material der Ringe erst kürzlich von einem weiteren Objekt ausgestoßen wurde und noch keine Zeit hatte, sich wieder zu verbinden. Allerdings schätzen die Forschenden, dass dafür nur einige Jahrzehnte nötig wären. Dass dieser Prozess zufällig vor astronomisch so kurzer Zeit passierte, erscheint nicht besonders plausibel. Eine andere Erklärung könnte eine ungewöhnlich hohe Elastizität der Teile sein, die bei einem Zusammenstoß voneinander abprallen, statt sich zu verbinden. Besonders plausibel erscheint aber die Existenz eines bisher unbekannten Mondes, der durch seinen störenden Einfluss das Material der Ringe immer wieder in Unruhe bringt.

"Es war unerwartet, dieses neue Ringsystem in unserem Sonnensystem zu entdecken, und es war doppelt unerwartet, die Ringe so weit entfernt von Quaoar zu finden, was unsere bisherigen Vorstellungen über die Entstehung solcher Ringe infrage stellt", sagt Co-Autor Vik Dhillon von der Universität Sheffield. In jedem Fall könnte die Entstehung von Monden länger dauern als bisher vermutet.

Im Gegensatz zu Quaoar gibt es von Pluto seit dem Besuch der Raumsonde New Horizons spektakuläre Bilder, die eine bis dahin unbekannte Komplexität der Oberfläche durch Eisvulkanismus zeigten – hier zu einer Computeranimation verarbeitet, die einen fiktiven Überflug zeigt.
NASA.gov Video

Mysteriöses jenseits der Neptunbahn

Die Objekte jenseits von Neptun bleiben damit für Überraschungen gut. Schon ihre späte Entdeckung zeigt, wie schnell auch Hochleistungsteleskope hier an ihre Grenzen kommen. So ist etwa die Existenz eines weiteren Großplaneten außerhalb der Plutobahn, wie ihn verschiedene Modelle vorhersagen, nach wie vor nicht ausgeschlossen. Allein der Kuipergürtel enthält laut Schätzungen etwa 70.000 Objekte, die größer als 100 Kilometer sind.

Für Musikliebhaberinnen und -liebhaber war die Aberkennung des Planetenstatus von Pluto übrigens eine gute Nachricht, verliert doch das monumentale Orchesterwerk "Die Planeten" von Gustav Holst, das für die bekannte Filmmusik von "Star Wars" Modell stand, damit seinen Makel. Zur Zeit des Entstehens der Orchestersuite war Pluto noch nicht entdeckt und fehlte, weshalb sie nur aus acht Stücken bestand. Mehrere Komponisten versuchten sich daran, ein Stück für Pluto zu komponieren. Seit 2006 ist die kosmische Ordnung, die Holst einzufangen versuchte, wiederhergestellt. Quaoars Ringe gehören wie Pluto zur mysteriösen Welt weiter draußen, die Holst mit dem langsamen Verklingen der letzten Akkorde seines "Neptun" andeutet. (Reinhard Kleindl, 8.2.2023)