Die diplomatische Arbeit von drei Monaten zunichtegemacht – so zumindest bezeichnete Vizeminister Xie Feng den Ballonvorfall in einem Kommentar bei der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. Alles, was nach dem Treffen in Bali im vergangenen November erreicht wurde, sei nun wieder zerstört worden. Xie gibt freilich den USA die Schuld daran.

U.S.-Navy-Soldaten haben den abgeschossenen Ballon geborgen.
DER STANDARD

Auch das chinesische Außenministerium bläst in dieses Horn: Den "Wetterballon" abzuschießen sei eine Überreaktion seitens Washington gewesen, die die Beziehungen schwer belaste. Andere Kommentatoren sehen Präsident Joe Biden innenpolitisch schwach und dem Druck von rechten Kräften ausgesetzt.

Tatsächlich sind es derzeit die USA, die den Druck auf China erhöhen. Vor zwei Wochen war es Washington gelungen, Japan und die Niederlande davon zu überzeugen, sich an dem Halbleiterboykott gegen China zu beteiligen. Damit soll Peking von modernster Chiptechnologie abgeschnitten werden. Und erst vergangene Woche erhielten die USA von den Philippinen die Zusage, vier weitere Luftwaffenbasen benutzen zu dürfen. Zudem fanden Luftwaffenübungen mit Südkorea statt. Die Aktionen sollen China im Südchinesischen Meer abschrecken und die Unabhängigkeit Taiwans sicherstellen.

Startsilos für Nuklearwaffen

Zu allem Überfluss platzte am Dienstag noch eine Meldung des "Wall Street Journal" in die Debatte, wonach China wesentlich mehr Startsilos für Nuklearraketen besitze als die USA. Das hatte vor knapp zwei Wochen das U.S. Strategic Command berichtet, welches die Nuklearstreitkräfte des Landes beaufsichtigt. Das betreffe allerdings nur die landbasierten, nicht mobilen Startsilos, von denen einige auch leer sein dürften.

China erhöht seit Jahren sein Militärbudget, in absoluten wie relativen Zahlen, und baut sein Nukleararsenal aus. Allerdings geht es Peking explizit um eine sogenannte Zweitschlagfähigkeit und eine regionale Machtausweitung. Das Centre for a New American Security geht in einem kürzlich erschienenen Report davon aus, dass China die Zahl seiner Atomsprengköpfe von aktuell 400 auf 700 im Jahr 2027 erhöhen will. Die Studie empfiehlt deswegen eine nukleare Bewaffnung Taiwans. Die USA sind im Besitz von 3.750 Nuklearsprengköpfen.

Rekordimporte

Peking ist aktuell eher an einer Verbesserung der Beziehungen interessiert. Die wirtschaftliche Situation im Land ist angespannt: Der Binnenkonsum leidet noch unter der Zero-Covid-Politik der vergangenen Jahre, und die Immobilienkrise schwelt weiterhin. Noch mehr Zölle und eine sich abschwächende Konjunktur kommen da ungelegen.

Nach einem wirtschaftlichen Decoupling sieht es allerdings ohnehin nicht aus: Die USA importierten 2022 chinesische Waren im Wert von 538,8 Milliarden US-Dollar – ein Rekordwert. Dazwischen klafft ein Handelsbilanzdefizit zugunsten Chinas. Die USA exportierten im selben Zeitraum Waren im Wert von nur 153,8 Milliarden Dollar.

Chinesisches Ballonprogramm

Tatsächlich ist nicht ganz klar, warum ausgerechnet dieser Ballonvorfall die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern so beeinträchtigt: Auch während der Präsidentschaft Donald Trumps von 2016 bis 2020 gab es mehrere solcher "Spionageballons" über den USA.

US-Geheimdienste sprechen jetzt von einem chinesischen Ballonprogramm: Mit dem sollen von der Insel Hainan aus jahrelang chinesische Ballons militärische Einrichtungen insbesondere in der Region, aber auch weltweit, ausspioniert haben. Man habe eine "uralte Methode mit modernster Technik kombiniert", hieß es am vergangenen Montag bei einem Briefing von 40 Botschaften.

US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich am Mittwoch bei einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Washington ähnlich. "Die Vereinigten Staaten waren nicht das einzige Ziel dieses breit angelegten Programms, das die Souveränität von Ländern auf fünf Kontinenten verletzt hat." Die USA hätten dazu mit Dutzenden Ländern Informationen ausgetauscht. Konkretere Angaben machte Blinken nicht.

Stoltenberg: "Wir müssen wachsam sein"

Der Außenminister verwies darauf, dass die Bergung von Teilen des abgeschossenen Ballons noch laufe. "Wir analysieren sie, um mehr über das Überwachungsprogramm zu erfahren." Diese Informationen würden verknüpft mit Erkenntnissen, die gesammelt worden seien, während sich der Ballon noch im amerikanischen Luftraum befunden habe. Blinken fügte hinzu: "Wir werden in den kommenden Tagen mehr dazu sagen."

Stoltenberg ergänzte, der Ballon bestätige "ein Muster im chinesischen Verhalten". Die Volksrepublik habe stark in neue militärische Fähigkeiten investiert, einschließlich Überwachung und Aufklärung. Auch in Europa seien verstärkte Geheimdienstaktivitäten zu beobachten. Die Chinesen nutzten Satelliten, Cyberfähigkeiten und eben auch Ballons. "Wir müssen also wachsam sein", mahnte der Norweger. (Philipp Mattheis, red, APA, 8.2.2023)