Auf kaum einem Gebiet ist Brasiliens neuer Präsident Luiz "Inácio" Lula da Silva so aktiv wie auf der diplomatischen Bühne. Seit seinem Amtsantritt am 1. Jänner hat er bereits so viele Staatschefs getroffen wie sein rechter Vorgänger Jair Bolsonaro in den kompletten vier Jahren seiner Amtszeit.

Vielreisender Luiz "Inácio" Lula da Silva (li.) wird am Freitag US-Präsident Joe Biden treffen.
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Einmal pro Monat will Lula im ersten Amtsjahr ins Ausland reisen, um das von Bolsonaro lädierte internationale Image des Landes wieder aufzupolieren. Er belebte bereits die Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (Celac) wieder und will das 2019 geschlossene EU-Mercosur-Abkommen zur Ratifizierung bringen.

Am Freitag wird Lula nun in Washington zu seinem Antrittsbesuch bei US-Präsident Joe Biden erwartet. Es dürfte ein symbolischer, aber kein einfacher Termin werden. Die bilateralen Beziehungen erlebten in den vergangenen Jahren eine Achterbahnfahrt.

Trump/Bolsonaro als schwere Hypothek

Mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump hatte sich Bolsonaro gut verstanden – beide sind eingefleischte Antikommunisten. Bolsonaro holte sich sogar Verstärkung aus Trumps Propagandateam: Er verpflichtete Steve Bannon als Berater. Als dann aber der Demokrat Joe Biden an die Macht kam, brach eine Eiszeit an. Bolsonaro schlug Warnungen aus Washington in den Wind und reiste noch kurz vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine nach Russland. Dort ließ er sich an der Seite Wladimir Putins ablichten. Das hat das Vertrauen zwischen den USA und Brasilien zerrüttet.

Bolsonaro bleibt weiterhin ein Störfaktor: Derzeit hält er sich, geschützt von rechten Kreisen, im US-Bundesstaat Florida auf, während in seiner Heimat Ermittlungen gegen ihn laufen, unter anderem wegen des Sturms seiner Anhänger auf die Institutionen.

Lula verspricht Comeback, aber Peking stört

Lula kommt mit einer klaren Botschaft nach Washington: Brasilien ist auf der internationalen Bühne zurück und gedenkt, in den Konfliktherden dieser Welt eine Mittlerrolle einzunehmen. Schon beim Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz hatte Lula klargestellt, dass sich Brasilien weder an den Sanktionen gegen Russland noch an den Waffenlieferungen an die Ukraine beteiligen wird, sondern für Gespräche plädiert.

In Washington hätte man einen strategisch so wichtigen Partner wie Brasilien lieber klar an der Seite. Doch das wird schwierig. Denn da ist nicht nur Russland, sondern auch Peking im Weg. Mittlerweile ist China der wichtigste Wirtschaftspartner Brasiliens. Die Kooperation beschränkt sich nicht nur auf Soja und Rohstoffe, sondern auch auf heikle Technologien wie den 5G-Mobilfunk-Standard, wo der chinesische Konzern Huawei einige Konzessionen in Brasilien ergattern konnte. Sehr zum Ärger Washingtons, das Spionageabsichten Pekings fürchtet.

In Lateinamerika hingegen kann Lula in der Vermittlerrolle durchaus nützlich sein – vor allem, wenn es um die Krisen in den autoritären Staaten Nicaragua, Venezuela und Kuba geht. Washington wird dort als Erzfeind gesehen und hat zahlreiche Politiker der Länder wegen Korruption, Menschenrechtsverletzungen und Drogenhandels sanktioniert. Die Brücken sind zerschlagen.

Vermittlerrolle in Lateinamerika

Lula hingegen unterhält zu allen drei Staatschefs gute Beziehungen. Genau das aber ist für die US-Regierung auch fragwürdig. Lula gehört einer Generation linker Politiker an, die aus eine reflexartige Solidarität zu allem Antiamerikanischen pflegen. So drückte er sich immer wieder davor, bei seinen Gesinnungsgenossen Menschenrechtsverletzungen und autoritäre Praktiken zu kritisieren. Ob er damit letztlich diplomatischen Erfolg hat, muss sich zeigen.

In Sachen Klimawandel und Energiewende gibt es zwischen Brasilien und den USA zahlreiche gemeinsame Interessen, etwa bei der Entwicklung einer Bioökonomie und der Ausbeutung seltener Erden. "Während die Europäische Union mit ihrer Null-Entwaldungs-Initiative einen starren gesetzlichen Rahmen geschaffen hat, sagen die USA: Lass uns gemeinsam über ökologische Lösungen und Investitionen nachdenken", so der deutsch-brasilianische Unternehmer Ingo Plöger, der diesen "pragmatischen Ansatz" für intelligent hält.

Studien zufolge sind bis zu 20 Prozent der brasilianischen Soja- und Fleischexporte direkt auf Abholzung zurückzuführen. Die Entwaldung hat unter Bolsonaro stark zugenommen. Doch auch unter Lula hatte der Umweltschutz keine Priorität. In seinen zwei früheren Amtszeiten vorrangig waren Megaprojekte wie Staudämme, Flussumleitungen und Tiefsee-Erdölbohrungen – mit zum Teil verheerenden Folgen für die Natur und die Ureinwohner.

Lulas Washington-Reise ist auch ein Befreiungsschlag von den Problemen daheim. Denn da türmen sich dunkle Wolken: Der Ressourcenboom ist abgeflaut, die Armut gestiegen, die Gesellschaft polarisiert, und seine Regierungskoalition ist ein labiles Patchwork-Gebilde. Gut möglich, dass Lula von der internationalen Bühne schon bald zurückkatapultiert wird in die komplexen Probleme Brasiliens. (Sandra Weiss, 10.2.2023)