Laut jüngsten Prognosen könnten wir die 1,5-Grad-Grenze, die bei der Pariser Klimakonferenz 2015 als Ziel für das Jahr 2100 angepeilt wurde, schon in den nächsten fünf Jahren mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit erreichen. Schuld daran ist das Klimaphänomen El Niño, das vermutlich im Laufe dieses Jahres wieder einsetzen und für eine zusätzliche Erwärmung der durchschnittlichen Temperaturen auf dem Planeten im Vergleich zum Beginn der vorindustriellen Periode sorgen wird.

Da uns der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern nicht mehr rechtzeitig gelingt, sucht die Wissenschaft schon seit Jahrzehnten nach Alternativen, um das Klima künstlich abzukühlen. So wird seit langem diskutiert, ob es möglich wäre, die Sonneneinstrahlung etwa durch riesige reflektierende Schirme im All um rund ein bis zwei Prozent zu reduzieren, um so die Auswirkungen der globalen Erwärmung zu mildern.

Lagrange-Punkt als Ort des Geschehens

Eine Alternative dazu wäre die Einbringung von Staub oder anderen Partikeln, die sich für eine leichte Abschattung der Erde eignen würden. Immerhin kennt die Wissenschaft den Ort, an dem das passieren müsste, nämlich den Lagrange-Punkt L1. Das ist der nächstgelegene Punkt zwischen Erde und Sonne, an dem die Gravitationskräfte ausgeglichen sind. Das bedeutet, dass Objekte an Lagrange-Punkten im Idealfall auf einer Bahn zwischen den beiden Himmelskörpern bleiben.

Das ist auch der Grund, weshalb sich das James Webb Space Telescope (JWST) am Lagrange-Punkt L2 befindet, dem Lagrange-Punkt auf der gegenüberliegenden Seite der Erde. L1 hingegen liegt rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt in Richtung Sonne. Das entspricht etwa dem vierfachen Abstand zwischen Erde und Mond. Ein Blick von L1 zur Erde zeigt permanent auf die Tagseite, L1 von der Erde aus gesehen, befindet sich weit vor dem Mittelpunkt des Bildes der Sonne.

Staub von der Erde als (un)möglicher Schirm

Ein US-Forscherteam um Ben Bromley (Universität von Utah) hat nun zwei Szenarien am Computer durchgespielt: Im ersten positionierten sie eine Art riesige Raumstation am L1-Lagrange-Punkt. In Computersimulationen schossen die Forscher Testteilchen entlang der L1-Umlaufbahn und verfolgten, wo sich die Teilchen verteilten. Die Autoren der Studie, die am Mittwoch im Fachblatt "PLoS Climate" erschien, fanden heraus, dass der Staub sich tatsächlich ein Zeitlang an diesem speziellen Ort zwischen der Erde aufhalten und die Sonneneinstrahlung reduzieren würde.

Simulierter Staubstrom, der zwischen der Erde und der Sonne ausgestoßen wird, von der Erde aus betrachtet. Diese Staubwolke, die von einer Plattform am Langrange-Punkt 1 ausgestoßen werden könnte, würde als vorübergehender Sonnenschutz dienen.
Illustration: Ben Bromley, Universität von Utah

Doch anders als das gut sechs Tonnen schwere Weltraumteleskop an L2 wurde in der Simulation der Staub an L1 durch den Sonnenwind, die Strahlung und die Schwerkraft innerhalb des Sonnensystems leicht vom Kurs abgebracht. Das wiederum bedeutet, dass jede L1-Plattform quasi einen endlosen Vorrat an neuen Staubpartikeln erzeugen müsste, die alle paar Tage in die Umlaufbahn geschleudert werden. Das macht die Sache finanziell und technisch etwas anspruchsvoll, um es höflich zu formulieren. Schließlich wird in etwa so viel Staub gebraucht, wie ein größerer Bergbaubetrieb auf der Erde ausstößt.

Eine der größten logistischen Herausforderungen – die Notwendigkeit des ständigen Erneuerns der Staubströme alle paar Tage – hätte aber immerhin auch einen Vorteil, wie die Simulationen ergaben. Die Staubpartikel werden durch die Sonnenstrahlung nämlich im gesamten Sonnensystem verteilt; der Sonnenschutzschild ist mithin nur vorübergehend, und die Schutzschildpartikel fallen nicht auf die Erde.

Mondstaub könnte theoretisch funktionieren

Für ihr zweites Szenario wandte das Astronomenteam eine Technik an, die zur Untersuchung der Planetenentstehung um ferne Sterne verwendet wird, ihrem eigentlichen Forschungsschwerpunkt. Sie schossen – natürlich nur im Computer – Mondstaub von der Oberfläche des Mondes in Richtung Sonne. Dabei zeigte sich zunächst einmal, dass die Eigenschaften des Mondstaubs sehr gut geeignet sein dürften, um als Sonnenschutzschild zu dienen.

Der Hintergrund für dieses Manöver: Viel Staub vom Mond in Richtung L1 zu bringen braucht viel weniger Energie als von der Erde aus. Und wie weitere Simulationen nahelegten, würde es womöglich gar nicht nötig sein, den Mondstaub erst einmal auf eine Plattform auf L1 zu bringen, um ihn von dort auszustreuen. In den weiteren Simulationen wurde nämlich getestet, wie sich der durch eine Explosion am Mond erzeugte Staub auf verschiedenen Bahnen ausbreitete, bis er den Weg in Richtung L1 findet, um als wirksamer Sonnenschutz dienten. Das klappte erstaunlich gut.

Aber wie realistisch ist es, solche Ideen auch tatsächlich umzusetzen? Darauf antworten die Autoren eher ausweichend: Ihre Studie untersuche nur die potenziellen Auswirkungen eines solchen Eingriffs und nicht, ob er logistisch machbar sei. "Wir sind keine Experten für den Klimawandel oder für die Raketenwissenschaft, die nötig ist, um so viel Masse von einem Ort zu einem anderen zu transportieren", sagt Bromley etwas entschuldigend: " Wir erforschen lediglich verschiedene Arten von Staub auf unterschiedlichen Umlaufbahnen, um zu sehen, wie effektiv dieser Ansatz sein könnte." (tasch, 8.2.2023)