Harte Prüfung für die aufstrebende Lara Colturi.

Foto: APA/AFP/PIERRE TEYSSOT

Man kann sich in etwa ausmalen, welch Aufschrei hierzulande erfolgen würde, wenn ein Riesentalent des Skirennsports auf die Idee käme, nicht für Österreich zu starten. Man erinnere sich an den Vorarlberger Marc Girardelli, der 1976 als Zwölfjähriger zum luxemburgischen Verband wechselte, weil Vater Helmut seinen Sohn im ÖSV zu wenig gefördert sah. Der Allrounder wurde später einer der erfolgreichsten Skirennläufer, gewann 46 Weltcuprennen in fünf Disziplinen und holte vier Goldmedaillen bei Weltmeisterschaften.

Wie erfolgreich Lara Colturi einmal werden wird, bleibt abzuwarten, aber die 16-Jährige aus Cesana Torinese im Susatal hat schon in sehr jungen Jahren für Italien abgeräumt, was es abzuräumen gibt. Sie gilt als größtes Talent, seit Mikaela Shiffrin begonnen hat, den Weltcup aufzumischen. Und sie hat bereits für Furore gesorgt.

Mit ihrer Entscheidung, für Albanien und nicht für ihr Herkunftsland anzuschnallen, hat die Tochter der Olympiasiegerin Daniela Ceccarelli (47; Super-G-Gold 2002 in Salt Lake City) südlich des Brenners für helle Aufregung gesorgt. Damit war aber für Colturi ein ungewöhnlich früher Start im Weltcup ohne Umweg Europacup möglich, was letztlich ausschlaggebend für die Entscheidung war. Zudem ersparte sie sich Verhandlungen mit dem italienischen Verband Fisi bezüglich ihres Wunsches, in einem Privatteam zu trainieren, wie es üblicherweise bestenfalls arrivierten Spitzenläufern ermöglicht wird.

Geballte Kompetenz

Colturi wird von ihrer Mutter, die einen albanischen Pass hat und als Sportdirektorin in Albaniens Verband fungiert, sowie von ihrem Vater Alessandro (50) und Javier Simari Birkner aus der argentinischen Skidynastie betreut und trainiert. Sie ist die erste Frau, die den Balkanstaat im alpinen Weltcup vertritt. Dem Olympiateilnehmer Erjon Tola ist dies als erstem Albaner 2013 gelungen. Die nötigen Fis-Punkte für die Starterlaubnis im Weltcup holte sie sich beim Südamerika-Cup, wo sie sechs Rennen und die Gesamtwertung gewann.

Foto: Reuters/LEUTNER

Der Nationenwechsel sorgte lange für Ärger. "Ich habe all diese Kommentare über mich ergehen lassen müssen. Meine Mutter und mein Vater sind immer noch wütend", sagte Colturi in einem Interview mit der Zeitung "Il Foglio". Auf den Rennpisten zeigte sie sich bisher davon aber unbeeindruckt. Sie spüre keinen Druck, habe einfach nur Spaß, für sie sei das alles wie ein Spiel.

Der Spaß aber hatte für Colturi am Dienstag jäh ein Ende. Beim Einfahren für das erste Abfahrtstraining zog sie sich einen Kreuzbandriss zu und verpasst damit die angestrebte WM-Premiere. Der Ausfall noch vor dem ersten Start befeuert die Argumente jener, die einen derart frühen Einstieg in die höchste Leistungsklasse kritisieren. Sie selbst sagte vor dem Malheur dazu, dass sie nicht so viel über ihr Alter nachdenke und es vorziehe, keine Vergleiche mit anderen zu ziehen: "Für mich ist es eine große Chance, Erfahrungen zu sammeln." Sie wolle sehen, was sie könne, ganz ohne Druck.

Debüt in der Elite mit 16

Ihr Debüt im Weltcup gab sie diese Saison bei den Slaloms in Levi. Wenig später holte sie im Riesentorlauf von Killington mit Platz 17 ihre ersten Weltcuppunkte. Fünf Tage davor hatte sie ihren 16. Geburtstag gefeiert. Ähnlich früh startete die Karriere von Mikaela Shiffrin, die zwei Tage vor ihrem 16. Geburtstag begann. Am Semmering bestätigte Colturi nach einem Ausfall mit Platz 20 ihr Können, beeindruckte mit der neuntbesten Laufzeit in der Entscheidung und legte am Kronplatz mit zwei 17. Plätzen nach. Zwischendurch holte sie bei der Junioren-WM in St. Anton Super-G-Gold und Bronze im Riesentorlauf und hievte damit Albanien auf Platz vier im Medaillenspiegel, während Österreich etwa mit zwei Bronzenen nicht über Rang neun hinauskam. Dabei verfügt Albanien trotz hohen Gebirgsanteil nicht einmal über erschlossene Skigebiete.

Foto: Reuters/LEUTNER

Gut möglich, dass sie ihrem Vorbild einmal die Stirn bieten kann. Das hofft wohl auch ihr Kopfsponsor, zuletzt war sie schon mit einem Helm des Salzburger Brauseimperiums unterwegs. "Schon als Kind habe ich Shiffrin bewundert. Sie hat es nahe an die Perfektion geschafft. Beinahe deshalb, weil perfekt zu sein in dem Sport nicht möglich ist", sagte sie vor ihrem Debüt.

Bereits mit 13 Monaten soll sie das erste Mal auf Skiern gestanden sein. Mit drei Jahren war es bei einem Rennen ihrer Mutter definitiv so weit. Später machte sie aber auch auf Kufen gute Figur. Mit 13 wurde sie bei den französischen Eiskunstlaufmeisterschaften in Briançon dritte ihrer Klasse. Heute praktiziert sie diesen Sport nur noch "zum Spaß und Dampfablassen". (Thomas Hirner aus Méribel, 9.2.2023)