Wo er auftaucht, wird gestritten. Landwirtinnen und Bauern sorgen sich um ihre Nutztiere. Umweltorganisationen pochen auf seinen Schutzstatus. Der Wolf polarisiert. Es ist ein Kampf von Tierschützern gegen Tierhalter. Ein Kampf, der am politischen Parkett und über Bilder ausgetragen wird: Der Verein Weidezone Tirol, der im Juni über 15.000 Mitglieder zählte, zeigt aufgeschlitzte Lämmer und Raubtiere mit gefletschten Zähnen. Treuherzig blinzelt der Wolf indes aus Aussendungen der Umweltorganisation WWF. Auch zerzauste Wolfsbabies sind ein beliebtes Motiv.

Fest steht: Der Wolf ist zurück. Erst Anfang Februar wurden mehrere Tiere im oberösterreichischen Bezirk Rohrbach gesichtet. In Kärnten wurde vergangene Woche eine Wölfin erlegt. Es ist das dritte Opfer nach mehreren Dutzend Abschussgenehmigungen.In Tirol folgt man nun dem Kärntner Beispiel. Mit breiter Mehrheit und unter kollektivem Schulterklopfen beschloss der Landtag am Mittwoch eine Änderung des Jagdgesetzes. "Ein Tag der Freude für das Land und die Bauernschaft", frohlockte Landeshauptmannstellvertreter Georg Dornauer (SPÖ), man habe in dieser "sehr zentralen" Frage "geliefert".

Per Verordnung sollen Problemwölfe in Tirol künftig rasch und unbürokratisch entnommen – also abgeschossen – werden können.
Foto: Jeff Roberson/AP

19 Wölfe und drei Bären allein in Tirol

Schließlich sind die Schäden, die auf das Konto sogenannter großer Beutegreifer gehen, beträchtlich. Allein in Tirol wurden im vergangenen Jahr 19 Wölfe und drei Bären nachgewiesen. Die Nutztierverluste stiegen im Vergleich zum Vorjahr um die Hälfte. 413 Weidetiere wurden getötet, 527 gelten als vermisst. Das Land beziffert den entstandenen Schaden auf 235.000 Euro. Der politische Handlungsdruck ist groß.

Unter schwarz-grüner Ägide hatte der Wolf immer wieder zu Verwerfungen innerhalb der Koalition geführt. Die ÖVP sprach sich – den Bauernbund im Nacken – für einen rascheren Abschuss aus. Die Grünen pochten indes auf Herdenschutzmaßnahmen und warteten mit dem Vorschlag auf, doch alle Wölfe zu besendern. Als Kompromiss wurde ein Fachkuratorium eingesetzt, das sich mit aktuellen Problemwölfen auseinandersetzte. Kamen die Expertinnen und Experten zum Schluss, dass eine Entnahme gerechtfertigt ist, wurde eine Gefährdungsverordnung und anschließend ein Abschussbescheid erlassen. Das dauerte seine Zeit. Fünf Bescheide kamen so zustande. Allerdings wurden diese stets von Naturschutzorganisationen erfolgreich beeinsprucht. Legal wurde in Tirol noch kein einziger Wolf geschossen.

ÖVP und SPÖ, die bekanntlich seit Oktober die landespolitischen Fäden ziehen, unterbreiteten nun – unterstützt durch die FPÖ – den Abgeordneten einen dringlichen Antrag auf Änderung des Jagdgesetzes. "Schad- und Risikowölfe" sollen künftig mit einer Gefährdungsverordnung für einen bestimmten Zeitraum in einem definierten Gebiet zum Abschuss freigegeben werden. Eine Verzögerung durch Einsprüche ist nicht mehr möglich.

Ist der Wolf noch immer schützenswert?

Der Umgang mit dem Wolf ist in der EU seit 30 Jahren in der sogenannten Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH), die den Artenschutz gewährleisten soll, geregelt. Der Wolf ist darin als "streng zu schützende Tierart von gemeinschaftlichem Interesse" gelistet und darf damit nur in ganz wenigen Ausnahmen abgeschossen werden.

Im November verabschiedete das EU-Parlament eine rechtlich nicht bindende Resolution, in der die Mehrheit der EU-Abgeordneten eine "Überprüfung des Schutzstatus von Wölfen" fordert. In einem gemeinsamen Schreiben kritisierten daraufhin zwölf EU-Umweltministerinnen und -minister, darunter auch Leonore Gewessler (Grüne) diesen Vorstoß scharf.

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) machte sich auf EU-Ebene für den Schutz des Wolfs stark. Sie verweist auf die Biodiversitätskrise.
Foto: IMAGO/SKATA

ÖVP und SPÖ schießen scharf gegen Gewessler

Es gebe zahlreiche Expertinnen und Wissenschaftler, die den Wolf nicht mehr als schützenswert erachteten, argumentierte ÖVP-Agrarlandesrat Josef Geisler vor den Abgeordneten. Mit Unverständnis quittierte er besagten Brief, den Gewessler mit Verweis auf die Biodiversitätskrise unterzeichnet hatte. Noch härter fiel die Kritik Dornauers aus: Wenn eine Ministerin in die Slowakei fliege, elf weitere Minister "aufstachelt" und gegen die Interessen Tirols agiere, "muss ich mir schon die Frage stellen, ob solche Personen noch richtig im Amt sind".

Wenig erfreut über den Tiroler Vorstoß zeigte sich am Mittwoch unterdessen der WWF. "Die Jagdgesetz-Novelle, mit der Wölfe schneller und ohne Debatte getötet werden sollen, ist klar europarechtswidrig" warnte ein Vertreter auf Nachfrage des STANDARD. "Streng geschützte Wölfe per Verordnung quasi pauschal zum Abschuss freizugeben" widerspreche dem europäischen Artenschutzrecht, das auch in Österreich gilt. Es brauche immer eine Einzelfallentscheidung per Bescheid, so die Organisation.

Rechtlicher Grenzgang oder Grenzüberschreitung?

Auch in den politischen Reihen schien man sich bewusst zu sein, dass es Zweifel in puncto Rechtssicherheit gibt. Geisler, im Übrigen seines Zeichens auch Obmann des Tiroler Bauernbundes, hatte schon im Vorfeld der Landtagsdebatte eingeräumt, dass es sich um einen "rechtlichen Grenzgang" handle. "Nein", tönte Markus Sint, Landtagsabgeordneter der oppositionellen Liste Fritz. Es handle sich vielmehr um eine "bewusste und politisch gewollte Grenzüberschreitung". Doch auch wenn die Entscheidung europarechtlich vielleicht nicht halte, so sei es doch ein "Fingerzeig an die Kommission". Es brauche europäische Lösungen – der Schutzstatus solle nicht mehr auf nationalstaatlicher, sondern auf regionaler Ebene gelten. Trotz geübter Kritik stimmten Sint und die Seinen schließlich für den Vorstoß – wie auch ÖVP, SPÖ, FPÖ und Neos. Lediglich die Grünen stimmten dagegen.

Deren Klubobmann Gebi Mair stieß sich an dem Umstand, dass die Novelle keiner Begutachtung unterzogen worden war und sah durch den Wegfall der Beschwerdemöglichkeit die "Rechte der Bürgerinnen und Bürger" ausgehebelt. "Kaufen Sie nicht den Wolf im Schafspelz in diesem Gesetz", appellierte er an die Abgeordneten und übergab Geisler einen Sack voll Sand, den dieser den Bäuerinnen und Bauern in die Augen streue. (Maria Retter, 8.2.2023)