Michael Bublé singt delikat. Nur wenn er showmäßig loslegt, leidet die Interpretation etwas.

AP

Im Ticketpreis ist natürlich auch die hautnahe Andeutung tiefer Zuneigung inkludiert. Kaum sind ein paar Lieder abgesungen, beginnend mit seinem Hit Feeling Good, jenem mit dem fetzigen Streicher-Big-Band-Arrangement, hat Michael Bublé auch schon an die hundert schwarze Schweißtücher verbraucht und ins Publikum geworfen, tausend Hände geschüttelt und etliche Menschen umarmt, die er sicher nie wieder vergessen wird.

Das Setting macht es möglich: Ein langer Steg führt von der Bühne bis zur Mitte der vollen Wiener Stadthalle und macht das Bublé-Naherlebnis möglich. In Begleitung eines FFP2-maskierten Bodyguards sucht er engsten Kontakt mit den Massen, als hätte es Corona nie gegeben.

Klar: Selfies für die Ewigkeit werden gemacht, Autogramme auf Zettel gekritzelt. Bublé scheint es zu genießen, gibt den Entertainer, der am liebsten alle mit nach Hause nehmen würde. Auch beherrscht er die Großraumgestik, verbeugt sich tief oder zeigt das Victory-Zeichen, um gleich danach wie ein Soldat zu salutieren.

Scherzhaft Sex verkaufen

Natürlich singt er auch. Um allerdings nicht als braver Junge im Smoking zu wirken, der besonders mit Weihnachtsalben als Christmas-Boy Erfolge feiert, gibt es mitunter den liebevollen Stinkefinger samt der Behauptung, hier zu sein, "um Sex zu verkaufen". Dieses Schauspiel zwischen "böser" und "guter" Junge hat er vielleicht vom sympathischen Popkasperl Robbie Williams abgeschaut. Anyway.

Alles ist deutlich auf den fünf Leinwänden zu sehen, die den Kanadier zum Großformat anschwellen lassen. Keuch. Zwischendurch geht es im Laufschritt wieder zurück auf die Hauptbühne, wo rechts die kleine gute Big Band wartet und links ein Streicherorchester mit in Wien engagierten Musikerinnen. Man sieht: Der Mann leistet neben dem Singsang jede Menge harter Arbeit. Verständlich, dass er einen Teil der Gage gerne spenden würde, damit eine Klimaanlage installiert wird. Der Scherz zieht, der Schweiß rinnt.

Die Evergreenstimme

So verständlich wie bedauerlich aber auch, dass das Vokale oft kurzatmig daherkommt. Bublé singt die Phrasen zwar aus, aber seine Mikrobehandlung ist bisweilen hektisch bis schlampig. Insofern wirkt es mitunter, als würde er die Melodien nicht zu Ende singen, sondern eher zu Ende sprechen oder verschlucken. Schade. Bublé verfügt über eine besondere Evergreenstimme, die mit ihrem gewissen Etwas Klassiker aus den Archiven der Nostalgie holt.

Was möglich wäre, ist zu hören, wenn er am Klavier lehnt und in Gedenken an den verstorbenen Opa nicht Großvater von S.T.S. singt, sondern Charlie Chaplins Ballade Smile. Da kommt er zur Ruhe, da hört man einen Crooner, dessen Töne mehr sind als Schallereignisse. Es schwingt in ihnen ein gewisses ambivalentes Lachweinen mit, das die Substanz des Songs erhellt. In Balladen versunken, wirkt der Mann bei sich und zeigt, warum er schon an die 80 Millionen Alben verkauft hat und mit Higher nun einen Grammy für das beste Traditional-Pop-Album bekommen hat.

Der Trend lebt noch

Um das Phänomen ein bisschen einzuordnen: Er ist Teil jener Generation von Sängern und Sängerinnen, die – am Anfang stand Bublés Landsfrau Diana Krall – begannen, die 1950er- und 1960er-Jahre zu reaktivieren. Namen wie Norah Jones, Melody Gardot und Madeleine Peyroux schwimmen seit Jahren auf der jazzpoppigen Retrowelle, wie aktuell auch Samara Joy, die einen Grammy gewann und wie die große Jazzdame Sarah Vaughn klingt (1924–1990).

In der Herrenabteilung bilden wiederum Gregory Porter, der Brite Jamie Cullum und eben Michael Bublé die kommerzielle Pyramidenspitze. Unser singender Bühnenläufer wirkt wie ein Mix aus Sinatra, Dean Martin mit einem Schuss Elvis, dem er auch ein Medley widmet. Er erinnert daran, dass er vor Jahren mit dem toten King ein technisch ermöglichtes Fever-Duett hauchte.

Der Rampenkünstler

Aus seiner inneren Jukebox kommt aber grundsätzlich vieles, das einen gewissen Schlagertouch aufweist. Da ist When You’re Smiling aus den 1920ern dabei, wie auch To Love Somebody von den Bee Gees und dann auch You’re the First, the Last, My Everything von der tiefsten Stimme, die es je auf Erden und im Discosoul gab.

Also jener von Barry White. Wie gesagt. Der nette Mann ist ein virtuoser Rampenkünstler, eine Art lieber Schwiegersohn außer Rand und Band, dem die Krawatte nie verrutscht. Bublés Interpretationen werden allerdings am besten, wenn er einfach nur Sänger ist. Auch bei Cry Me a River hat er es gezeigt, mit dem er sich kurz in die 1950er-Jahre hinwegbeamte. (Ljubiša Tošic, 8.2.2023)